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Der Mittelstand soll es büßen

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In ihrer jüngsten Ausgabe freut sich die ÖGB-Zeitschrift „Solidarität“ darüber, daß „unwiderlegbare statistische Zahlen beweisen: Der Konjunkturaufschwung hat begonnen“. Finanzminister Dr. Androsch sieht das anders: „Es ist noch lange nicht so, daß wir von einem gefestigten, sich selbst tragenden Aufschwung sprechen können“. ÖGB-Präsident Benya ist strikt gegen eine Zinssatzsenkung für täglich fällige Spareinlagen; zahlreiche sozialistische Zeitungen — auch die „Arbeiter-Zeitung“ vom 31. Mai — kritisieren alle einschlägigen Absichten des Finanzministers als „unsozial“. In aller Öffentlichkeit werben die Minister Leodolter, Lütgendorf, Weihs, Sinowatz, Firnberg — und nicht nur sie — für eine bedeutend höhere Budgetdotation ihrer Ressorts, um wenigstens die dringlichsten Maßnahmen erfüllen zu können, doch Finanzminister Androsch sagt: „In diesen Bereichen muß die Eindämmung der Ausgabenexplosion gelingen... bis 1980 wird das budgetäre Erbe der Rezession abzubauen sein“. Mutig widerlegt er auch die Behauptung von Bundeskanzler Kreisky, ÖGB-Prä-sident Benyas, ja selbst eigene Äußerungen, wonach in Österreich „relative Stabilität“ herrsche: „Die österreichische Inflationsrate ist jetzt mit 7,7 Prozent dreimal so hoch wie in der Schweiz und um 50 Prozent höher als in der Bundesrepublik Deutschland“.

In allen Punkten hat der Finanz-minister recht. Nur: Er hat recht gegen seine eigene Partei und auch gegen seine eigene Wirtschaftspolitik. Die Konjunktur ist tatsächlich noch nicht angelaufen, und da und dort gibt es schon Zweifel, ob sie noch anlaufen wird, ehe in den Vereinigten Staaten schon wieder der Marsch in die Niederungen des „Nullwachstums“ • angetreten - wird. •11 Der- Welthandel stagniert-'näch'-wie' vor, die Zuwachsraten der österreichischen Exporte lagen im ersten Quartal dieses Jahres sogar unter der Inflationsrate, die Bereitschaft der Unternehmer, zu investieren, ist leider denkbar gering, der Konsum läuft nur deshalb auf hohen Touren, weil die Konsumenten glauben, mit Vorratseinkäufen der nächsten Teuerungswelle zuvorzukommen.

Und die nächste Teuerung kommt bestimmt. Finanzminister Androsch hat sie schon mit zahlreichen Ankündigungen eingeleitet: Schon in der nächsten Zeit sollen die Tarife der Bahn und Post wieder erhöht werden, die Stempelgebühren werden noch in diesem Jahr angehoben und Steuererhöhungen, so Androsch, „kann es dort geben, wo das Steueraufkommen der wirtschaftlichen Entwicklung nicht entspricht“. Das ist eine Kautschuk-Formel: Dem Vernehmen nach überlegt man im Finanzministerium bereits eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes auf 20 Prozent. Das Tempo, in dem sich Österreich zu einem der höchstbesteuerten Staaten der westlichen Welt entwickelt, hält unvermindert an; es erinnert an Niki Lau das Grand-Prix-Erfolge.

In einem entscheidenden Punkt aber irrt Androsch. Offensichtlich glaubt er, man könne eine stabile wirtschaftliche Entwicklung auf der Basis ständig und rasch steigender Steuern, Tarife und Gebühren aufbauen. Das ist nach allen Regeln Wirtschaftspolitischer Kunst völlig unmöglich. Am unmöglichsten aber dann, wenn die höheren Einnahmen des Bundes fast ausschließlich zur Abdeckung der hohen Bundesschuldenlast verwendet werden sollen. Denn ein Gutteil der steigenden Einnahmen fließen an die Kreditoren ins Ausland zurück, sind damit für die österreichische Wirtschaft so gut wie verloren. Auf der einen Seite glaubt Androsch nicht, daß die Konjunktur bereits angelaufen ist, oder anlaufen wird; anderseits will er für die Jahre zwischen 1977 und 1980 einen sehr restriktiven „neuen Budgetkurs“ verfolgen. Dann, so sagt er, „kann der Ausgabenzuwachs im Budget eingedämmt und der Staatshaushalt entlastet werden“.

Im Klartext heißt das: Der Finanzminister will in den nächsten Jahren auf das Budget als Instrument zur Glättung der wirtschaftlichen Entwicklung völlig verzichten, koste es, was es wolle — möglicherweise die Vollbeschäftigung. Dafür, so sagte er, ist vor allem die „Industriekommission“ somit ihren „Rezepten“ zuständig. Wie das funktionieren soll, weiß noch keiner. An Rezepten hat es in Österreich noch nie gefehlt, eher schon an den finanziellen Möglichkeiten, diese Rezepte auch zu realisieren. Insofern wird es der „Industriekommission“ kaum gelingen, auch nur einen Arbeitsplatz sicherzustellen oder gar zu schaffen — solange es an finanziellen Mitteln fehlt.

Sollte die österreichische Wirtschaft wieder den Stabilitätspfad erklimmen, wäre ein steiler und lang anhaltender Aufschwung notwendig; ein Aufschwung, der, wie die Dinge liegen, bestenfalls sanft und kurz ausfallen wird. Zu sanft und zu kurz jedenfalls, als daß man hoffen könnte, er würde etwa die Probleme im Zusammenhang mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Budgetsanierung lösen. In dieser Situation appelliert man an die „Opferbereitschaft“ der Österreicher, vor allem aber an den Mittelstand, der den Hauptteil der neuen Steuerlasten zu zahlen und den geplanten Abbau der Sparförderung zu büßen hätte. Der sich in sein Schicksal fügen soll, ohne zu wissen, wohin die Fahrt weitergehen wird. Denn darüber ist man sich weder in der Bundesregierung noch im Gewerkschaftsbund einig.

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