6816471-1973_12_04.jpg
Digital In Arbeit

Moderato cantabile

Werbung
Werbung
Werbung

Die konjunktur- und wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten Österreichs sind mit der jüngsten internationalen Währungskrise, die auch den Schilling stark betroffen hat, deutlicher denn je zuvor offenbar geworden: eine achtprozentige Inflationsrate, die insbesondere auf binnenwirtschaftliche Expansionspolitik zurückzuführen ist; ein zu spät gestartetes und lückenhaftes Dämpfungsprogramm und nun wiederum der Druck von der Währungsseite, der die Bundesregierung bewog, gemeinsam mit dem ihr ergebenen Nationalbankpräsidenten Kloss und den von der Regierungspartei dominierten Institutionen, wie Arbeiterkammer und ÖGB, einen sehr umstrittenen Aufwertungssatz zu diktieren. Wie immer man die Dinge beurteilt, eines läßt sich auch bei der Betrachtung durch die rosarote Brille des Optimismus nicht verleugnen: in Österreich tritt eine Kombination von Faktoren auf, die die unheilvolle Situation der Stagflation zu provozieren droht: permanente inflationäre Auftriebsimpulse bei ungünstiger werdenden Wachstumsund Ertragsaussichten.

Darüber vermochten schon gar nicht die Referate und Diskussionsbeiträge im Rahmen der Ökonomischen Konferenz der Sozialistischen Partei hinwegzutäuschen. Die ganze Angelegenheit lief moderato cantabile ab, war also der wirtschaftlichen Situation unseres Landes recht gut angepaßt. Die einschlägig befaßten Minister verteidigten ihre wirtschaftspolitischen Maßnahmen, ein durchaus renommierter Hochschulprofessor wirkte darauf ein, die Inflation nicht allzu ernst zu nehmen, und Finanzminister Androsch sprach — aber nicht konkret — von der Notwendigkeit, die Ausgaben der öffentlichen Hand überproportional auszuweiten, um so den behaupteten „privaten Reichtum“ zu bekämpfen und die „öffentliche Armut“ zu beseitigen. Mit Details befaßte Androsch sich nicht. Wir wissen also weiterhin nicht, ob sich die Bundesregierung in ein neuerliches Abenteuer ä la „Gratisschulbücher“ stürzen wird oder ob sie nicht nun doch endlich daran denkt, einen Sanderungsplan für die Krankenhäuser vorzulegen und durchzusetzen. Die Sache mit der Verbesserung der „Qualität des Lebens“ denaturiert aber zu einem leeren Schlagwort, solange es an konkreten Aussagen und widerspruchsfreiem Handeln fehlt. Aber bei wirtschaftspolitischen Aktionen hat es der von der Sozialistischen Partei formierten Bundesregierung seit eh und je an der notwendigen Beurteilungsfähigkeit und Entschlußfreudigkeit gefehlt.

Die sozialistischen Wirtschaftsreformer des Jahres 1969 sind heute dos Establishment. Von einigen Showeffekten abgesehen, beschränken sie sich aber heute fast ausschließlich darauf, in ökonomischen Fragen das Land zu administrieren. Dabei ist erstens offenbar geworden, daß der Reformglanz der früheren Jahre Talmi war, daß zweitens wirtschaftspolitische Theorie und Praxis zweierlei Dinge sind, und daß drittens diese Bundesregierung das negative Image, das die SPÖ in Wirtschaftsfragen bei der überwiegenden Mehrheit der Österreicher genießt, verschlechtert hat. Dies stand schon vor drei Jahren zu befürchten, dennoch kommt das Tempo der Imageverschlechterung auch für notorische Kritiker der Wirtschaftspolitik der Regierung Kreisky, Androsch & Co. überraschend.

Bundeskanzler Kreiskys Idee, diesen negativen Prozeß mit einer großangelegten ökonomischen Konferenz der Regierungspartei wenigstens zu bremsen, schlug nicht nur fehl, im Gegenteil: sie beschleunigte diesen negativen Prozeß sogar. Offensichtlich hat Dr. Kreisky die Situation und die Möglichkeiten seiner Regierung und der sozialistischen Wirtschaftsfachleute etwas falsch eingeschätzt. Auf die Ebene der wirtschaftspolitischen Handlungen übertragen, verheißt das nichts Gutes. Wieweit das auch den Wählern in Österreich bewußt geworden ist, werden vor allem die Landtagswahlen in Oberösterreich dm Oktober 1973 zu beweisen haben.

Aber auch dann, wenn die SPÖ bei den kommenden Wahlen weiterhin Waterloo auf Waterloo bezieht, lassen sich unter den gegebenen Bedingungen keine günstigen Wirkungen auf ihre Wirtschaftspolitik erwarten. Zu sehr ist diese Partei und die von ihr gestellte Bundesregierung auf die zumeist unklaren Wünsche einer Gefälligkeitsdemokratie einge-

stimmt, als daß es ihr gelingen könnte, ihren Kurs total zu ändern und Konjunktur- und Wirtschaftspolitik nicht als eine Variante der Parteipolitik zu betreiben.

Vor drei Jahren hat diese Bundesregierung ihr Amt mit dem Versprechen, ein wirtschaftlich modernes Österreich zu bauen, angetreten. In der Konjunkturpolitik hat diese Regierung — siehe Inflationsrate — wenig geleistet; auf dem Sektor der Wachstumspolitik hat sie sich mit relativ hohen nominellen Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts begnügt; in der Währungspolitik setzt sie sehr umstrittene Soloaktionen und von der Strukturpolitik hat man in diesem Land in den letzten drei Jahren wenig gehört. Wir wissen nicht einmal etwas über verbindliche Vorstellungen darüber, wie das industriepolitische Leitbild, an dem sich die Strukturpolitik orientieren soll, aussehen könnte. Optimisten werden sich von der jüngsten ökonomischen Konferenz der Sozialistischen Partei Lösungsvorschläge für zahlreiche offenen Fragen unserer Wirtschaftslage erwartet haben. Nichts ist daraus geworden. Bei der Behandlung von wirtschaftspolitischen Problemen begnügt sich die Bundesregierung weiterhin damit, Kritiker als Kassandrarufer vom Dienst zu diffamieren und gleichzeitig die Richtigkeit ihrer Kritik zu bestätigen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung