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Die Nervenschlacht

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Steigende Preise (und Löhne) sind der marktwirtschaftliche Ausdruck verschiedener volkswirtschaftlicher Ungleichgewichte. Genau so, wie es faktisch ausgeschlossen ist, etwa Stabilität und wirtschaftliches Wachstum im selben Zeitpunkt vollkommen zu verwirklichen, wird es nur in der ökonomischen „Retorte“, niemals aber in der wirtschafts- und konjunkturpolitischen Praxis möglich sein, diese Gleichgewichte vollkommen herzustellen. Eine realistische Einschätzung der konjunkturellen Situation kann Regierung und Opposition, Parlament und Sozialpartner nicht von der Pflicht entbinden, volkswirtschaftliche Ungleichgewichte und damit die tatsächlichen Ursachen der Inflation, die derzeit die konjunkturelle Entwicklung in Österreich mitprägen, zu bekämpfen.

Die von der Sozialistischen Partei gestellte Bundesregierung hat wieder einmal die Frage der dirigistischen Preisregelung aufs Tapet gebracht. Eine Novellierung des Preisregelungs- und Preistreibereigesetzes soll bewirken, daß Unternehmungen, die einen Preis „ungerechtfertigt“ stark erhöhen wollen, zur Paritätischen Kommission gezwungen werden. Demgegenüber setzt sich die Volkspartei für eine unveränderte Verlängerung der beiden Gesetze ein. Dabei gibt es in dieser Frage innerhalb der ÖVP keine einheitliche Linie. Der Wirtschaftsbund argumentiert, daß ein Ausbau des Preisregelungsgesetzes nach den Plänen der Bundesregierung „eine Gefährdung der Paritätischen Kommission in ihren Grundbausteinen“ bedeutet. Für die ÖVP- Arbeitnehmer wiederum meinte ÖAAB-Bundesobmann Mock, der bei den Personalvertretungswahlen auch einen persönlichen Erfolg verbuchen konnte, in dieser Frage sei ein Kompromiß mit der Bundesregierung angebracht, weil eine unnachgiebige Haltung der Volkspartei hier der Bundesregierung gewaltige propagandistische Vorteile Zuspiele. Ein klärendes Wort von Bundesparteiobmann Dr. Schleinzer ist auch in dieser Sach- und Gefühlsfrage noch ausständig; wie man aus der Distanz überhaupt den Eindruck hat, daß die Volkspartei weniger denn je geführt, sondern bloß von ihren Bünden und damit von partiellen Interessen gegängelt wird.

Bundeskanzler Dr. Kreisky, und man kann ihm das auch gar nicht verübeln, nützt die Uneinigkeit der Volkspartei weidlich aus. Wiewohl anzunehmen ist, daß er nur zu genau weiß, daß eine Novellierung des Preisregelungsgesetzes nur eine Symptomkur ist, mit der die inflationäre Entwicklung der Preise ganz gewiß nicht unter Kontrolle gebracht werden kann, will er es in der Nationalratssitzung vom 15. Dezember auf eine Kampfabstimmung ankommen lassen.

Inhaltlich ist die von der Bundesregierung geplante Gesetzesänderung sicherlich abzulehnen, weil es sich dabei — auch SPÖ-Klubobmann Gratz ist dieser Meinung —, um einen typischen Fall der Symptom- und nicht der Ursachentherapie handelt. Zwar ist es möglich, daß damit die temporäre Beseitigung der äußeren Erscheinungen der volkswirtlichen Ungleichgewichte optisch günstige Ergebnisse zeitigen. Freilich: diese systemwidrige Beeinflussung des ökonomischen Wachstums ist mehr als fragwürdig, und in einer wachsenden Wirtschaft über eine längere Zeitperiode ohnehin nur mit schweren Störungen aufrechtzuerhalten. Darüber kann selbst die Tatsache, daß dirigistische Eingriffe als Mittel der Wirtschaftspolitik auch in anderen Ländern (im Oktober wurde auch in der Schweiz der Preis- und Lohnstopp diskutiert) wieder salonfähig geworden sind. Denn alle Erfahrungen mit der von der Bundesregierung vorgeschlage- nen Symptomkur haben bewiesen, daß zuletzt neue Ungleichgewichte entstehen; daß verschiedene Multiplikator- und Akzeleratorwirkungen die Auswirkungen der Preisschübe verstärken, so daß die Teuerung über eine längere Zeitperiode mit einer scharfen Preisregelung größer ist als ohne diese Maßnahme. Ganz abgesehen davon, daß aus mancherlei Gründen eine Preisregelung nur im Zusammenhang mit einer Lohnregelung denkbar ist.

Das Problem schmerzhafter Operationen in einer funktionierenden Marktwirtschaft ist aber stets und überall das gleiche: entweder klappt die Preisregelung (sprich Preisaufsicht) nicht oder die Regierung verstrickt 3ich in polizeiliche Funktionen — das aber heißt, daß ein Abgleiten in Dirigismus und Planwirtschaft, dessen einziges vergleichbares Muster stets eben nur das östliche sozialistische Modell ist, unvermeidbar wird. Der Staat als Polizist ist aber nicht eben ein Rezept, das einem auf Verbreiterung seiner Basis interessierten Doktor Kreisky empfehlbar erscheinen kann.

Das Dilemma der Sozialpartner, sich entgegen ihrer marktwirtschaftlichen Position und Zielsetzung als Interessenverband Zurückhaltung aufzuerlegen, ist vor dem Hintergrund dieses wirtschaftlichen Sachverhaltes unzumutbar. Daher ist Sallingers Drohung, die Regierungsmaßnahmen gefährdeten die Paritätische Kommission, realistisch; daher wäre es zumindest denkbar, daß sich ÖGB-Präsident Benya nicht ganz auf Kabinettlinie befindet und die derzeit harte Regderungslinie kritisiert.

Freilich: eine ökonomisch „richtige“ Begründung der Sinn- und Wertlosigkeit der beabsichtigten Novellierung des Preisregelungsgesetzes schließt nicht aus, daß es aus politischen Gründen dennoch klug sein kann, in dieser Frage den Intentionen der Bundesregierung nachzugeben. Die Bundesregierung hofft, auf diese Weise die Preissteigerungen „um einige Zehntelprozent“ verin- gern zu können. Solange ihr eine befristete Änderung des Preisregelungsgesetzes nicht zugestanden wird, solange wird sie inflationie- rende Budgets vorlegen und recht einschneidende Tarifänderungen vornehmen, gleichzeitig aber behaupten, daß an der Teuerung eine von kapitalistischen Neigungen getriebene ÖVP-Opposition allein schuld sei.

Die Volkspartei wird nicht darum herumkommen, eine Entscheidung zu treffen, die dieses sehr griffige Regiierungsargument entkräftet. Also wäre es doch vernünftig, jedenfalls eine befristete Änderung des Preisregelungsgesetzes nach den Vorstellungen der Bundesregierung zu akzeptieren. Dann wäre die Schuldfrage jedenfalls optisch gelöst.

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