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Bilanz ohne Rührung

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Nun sitzen also auch in den Ministerien, die für wirtschaftspolitischen Fragen zuständig sind „rote“ Ressortchefs. Eine Elementarkatastrophe ist das wahrlich nicht. Die Reaktion in den großen Wirtschaftsverbänden — der Bundeswirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung — war denn auch anders als bei manchem hohen ÖVP-Funktionär, anders vor allem als bei manchem ÖVP-Publizisten.

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Nun sitzen also auch in den Ministerien, die für wirtschaftspolitischen Fragen zuständig sind „rote“ Ressortchefs. Eine Elementarkatastrophe ist das wahrlich nicht. Die Reaktion in den großen Wirtschaftsverbänden — der Bundeswirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung — war denn auch anders als bei manchem hohen ÖVP-Funktionär, anders vor allem als bei manchem ÖVP-Publizisten.

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In den letzten Tagen hat sich leide in dieser Partei ein bedenkliche Mangel an demokratischer Haitun, und an Bereitschaft zum Fair pla; gezeigt. Dort allerdings, wo mal die Realitäten kennt und bereit isl sie zur Kenntnis zu nehmen, äußer man sich nicht empfindlich, sonder: nüchtern, man könnte fast sagen weniger kleinkariert, vor allem nich' mit Bielohlawekschen Urlauten. Es war kein Zufall, sondern eine bewußte Geste, daß der neue Handelsminister unmittelbar nach seinei Amtsübernahme die ersten Besuche am Stubenring und am Schwarzenbergplatz abstattete. Er wollte damit nicht nur „gutes Wetter machen“, sondern wohl auch bekunden, daß ein für Wirtschaftsfragen zuständiges Regierungsmitglied mit den großen Verbänden kooperieren will. Zur wirtschaftspolitischen Bilanz der früheren Bundesregierung: Sie ist nicht so schlecht, wie sie von ihren Kritikern gemacht wird, sie ist aber wieder auch nicht so gut, daß man nun Tränen der Rührung vergießen müßte. Wie gesagt, es gibt in Österreich keine Stelle, die echt für äie wirtschaftspolitische Koordinierung und die Konzipierung der Wirtschaftspolitik zuständig ist. Einen Ansatz machte die monochrome Regierung im Frühjahr 1967, als sie den Staatssekretär Professor Koren mit lieser Aufgabe betraute, der aber venige Monate später in die Him-nelpfortgasse übersiedeln mußte. Ulf der Aktivseite der wirtschafts-lolitischen Bilanz stehen, um nur iniges zu nennen, die Wachstumsge-etze, das so wichtige Strukturver-lesserungsgesetz, die erfolgreichen Jemühungen Korens, gegen vielerlei Widerstände im eigenen Lager den tegriff „Industriepolitik“ zu kreie-en und zu versuchen, Ansätze eines ldustriepolitischen Konzeptes zu ealisieren. Es zählen zu den Positiva ie stillen, zähen Bemühungen Mini-ter Schleinzers um eine Reform der Lgrarpolitik, die ihm in Europa viel .nerkennung eingetragen hat, wei-;rs der Beginn einer Umstruktu-erung im verstaatlichen Bereich lit Hilfe der ÖIG (wo man ebenfalls iel Wasser in den Reformwein gie-;n mußte), auch die im Einverneh-ien mit allen politischen und wirt-baftlichen Gruppen getroffene Ent-heidung, bei der DM-Aufwertung cht mitzugehen.

ber auch die Passivseite kann sich leider! — sehen lassen. Da steht >r allem die beängstigende Zu-ihme der Steuer- und Sozialbela-jngen des Brutto-Nationalproduk-s auf einem europäischen Rekord-and, dann die Budgetmisere, die •h erst in den nächsten Jahren j nz scharf konturieren wird. Da id ferner zwei verhängnisvolle itscheidungen, nämlich die völlig motivierte Steuersenkung, die rz darauf mit einer Steuererhö-g beantwortet werden mußte, und > Dynamisierung der Beamtengelter mit allen ihren Konsequenzen, if dem Gebiet des Staatshaushal-: ist es auch unter der „Monochro-e“ nicht zur Einleitung der not-mdigen Reform an Haupt und iedern gekommen, und Budget-)gnosen wurden nicht von einem dgetkonzept abgelöst, s bedrückende an der früheren ndesregierung in wirtschaftspoli-:her Hinsicht war, daß ihre Spit/.e les innere Verständnis für die rtschaft abging. Es wurde zwar t täglich die „soziale Leistungsgeinschaft“ beschworen, aber dem siten Partner, der Unternehmer-te, stand man mit unverhohlenem Btrauen und Ressentiments ge-lüber. Wie man denn überhaupt sagen muß, daß mit dem Ausscheiden von Professor Karnitz der überragende Wirtschaftspolitiker, der auch das Weben der wirtschaftlichen Kräfte verstand, fehlt, ebenso wie der überzeugende Interpret wirtschaftspolitischer Gesetzmäßigkeiten und Notwendigkeiten. Und trotzdem ist dieser Regierung eines zugute gekommen: daß man ihr, oder den einflußreichen Gruppen in ihr, nicht den Willen unterschob, die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu verfremden, sie langsam, aber sicher in eine andere Richtung zu drängen.

Auch die wirtschaftspolitische Aktionsfreiheit der Minderheitsregierung ist begrenzt, sie wird sich auf dem Boden der Realität zu bewegen haben. Was allerdings Unbehagen verursacht, das ist, daß in dieser Partei mehrere Strömungen um die Vorherrschaft ringen: eine moderne, liberale, aber auch eine sehr starke dogmatische, behaftet mit dem Bleigewicht der austromarxistischen Tradition und Vorstellungen nicht nur von einer Technokratenherrschaft, sondern vor allem von einem radikalen Umbau unserer Wirtschaftsordnung, etwa nach dem Modell Tito-Jugoslawiens.

Und das ist das gefährliche an diesem Kabinett, daß es dank vieler Zweideutigkeiten und Unsicherheiten zu einer empfindlichen Störung des wirtschaftpolitischen Klimas kommen könnte, daß jenes unwägbare Vertrauen zerstört wird, das nun einmal notwendig ist, um Investitionen anzuregen, auch ausländische Interessenten ins Land zu ziehen und echte österreichische Pionierunternehmer — von denen wir nicht wenige haben! — nicht abzuschrecken. Wer immer mit den jungen Experten der anderen Seite zu tun hat, weiß, daß sie mit ihrem scharfen Intellekt und ihrem natio-nalökonomisohen Fundus die Pro-

■ Investitionsentscheidung. Sie werden i gewiß um mehr Industriepolitik bemüht sein. So weit, so gut. Aber im Hintergrund gibt es vielfältige Bestrebungen, den ohnehin schon klein gewordenen Aktionsspielrauim der Unternehmerschaft, vor allem in der Investitionspolitik, weiter einzuen gen, sei es, daß an die Stelle des ganz zu Unrecht verlästerten „Gieß kannenprinzips“ die gezielte Inve stititionsförderung gesetzt wird, sei es, daß man neue Instrumente schafft, um den Staatseinfluß auf das Betriebsgeschehen via Investitionen verstärken zu können. Hier wird höchste Wachsamkeit am Platz sein, und hier hört bei aller Bereitschaft, dem Kabinett Kreisky eine faire Chance zu geben, für die Repräsentanten der Unternehmerseite „der Spaß auf“.

Es ist gut, zu wissen, daß es auch in der neuen Konstellation eine Konstante gibt, die von einer geradezu unheimlichen Bedeutung ist: der echte, „außerparlamentarische“ Pfeiler von Wirtschaft und Gesellschaft ist die Institution der Sozial- und Wirtschaftspartnerschaft. Auch jetzt werden sich die in einem Vierteljahrhundert geknüpften und systematisch verdichteten Kontakte auf allen Ebenen und einer stetigen Osmose als Kraft im politischen Raum bewähren. So manches kann hier außer-, — besser gesagt: vorparlamentarisch aus- und abgesprochen werden, was dann später „hält“. Das weiß man auf beiden Seiten, auch in der Politik.

Zu großen, auch wirtschaftspoliti-tisch relevanten Reformen, wie vor allem auf den Gebieten einer vorausschauenden Budgetpolitik und eines Umbaues des Systems der sozialen Sicherheit in Richtung Qualität, wird diese Regierung dank ihrer schwachen Basis kaum imstande sein. Das ließe sich nur in einer Koalition zuwege bringen. Darum muß man es bedauern, daß es nicht zu dieser Zusammenarbeit gekommen ist, wie anderseits das Element der nunmehr verstärkten politischen Beweglichkeit nun auch etwas sehr Positives und Anregendes hat. Es ist eine Herausforderung zur Bewährung, deren wir dringend bedürfen.

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