Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Gefährdete Disziplin?
„Man soll die Entwicklung nicht ignorieren“, sagte jüngst Bundeskanzler Kreisky, darauf angesprochen, welche Zuwachsraten denn aus Regierungs-Sicht die nächste Lohnrunde bringen soll. Nun, die Entwicklung ist unübersichtlicher denn je, nicht zuletzt deshalb, weil das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung unter Regierungs-Druck äußerst problematische Prognosen des Wirtschaftswaehs-tums liefern muß. Zuletzt verhieß dieses aus Steuermitteln finanzierte Institut ein reales Wirtschaftswachstum von vier Prozent für das laufende Jahr. Hinter vorgehaltener Hand meinen die Experten, daß es sich dabei natürlich um eine Wunsch-Vorstellung handle. Das ebenfalls regierungsnahe Institut für Höhere Studien verbreitete die Auffassung eines knapp dreiprozentigen Real-Wachstums der Wirtschaft und verhältnismäßig unabhängige Wirtschaftsexperten geben nicht einmal einem realen Wachstum von 2 Prozent in diesem Jahr eine seriöse Chance.
Sicher ist, daß die Wirtschaft zwischen Jänner und März 1976 nur um 2,4 Prozent gewachsen ist, äußerst unsicher ist die Intensität des Aufschwungs und sehr wahrscheinlich ist — darauf deuten US-Wirtschaftsprognosen ebenso hin wie die Prognose des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts —, daß es bereits im Herbst 1976 (also in kaum einem Jahresdrittel) wieder einen Wachstumsknick geben wird.
Vorläufig haben diese unterschiedlichen Wachstumsprognosen einen sehr erheblichen Einfluß auf die Ergebnisse der kommenden Lohnrunden im Herbst 1976 und zu Beginn des Jahres 1977. Die Industriellenvereinigung hat durch ihren Präsidenten, Igler, unmißverständlich erklärt, daß ein Lohnzuwachs von mehr als sechs Prozent auf die Wettbewerbsfähigkeit der
österreichischen Wirtschaft im Ausland, auf die Gewinne, damit auf die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft, belastend wirken müsse und daß damit auch eine Aufrechterhaltung der relativen Vollbeschäftigung ernsthaft gefährdet sei. Der Generalsekretär der Bundeswirtschaftskammer, Mussil, ging noch um einen kleinen Schritt weiter und erklärte, daß jede Erhöhung der Löhne über die derzeit ohnedies relativ hohe Inflationsrate hinaus die Zukunft der österreichischen Wirtschaftsentwicklung ernsthaft in Frage stelle.
ÖGB-Präsident Benya, so scheint es, hält noch immer an der von ihm gefundenen „Formel“ fest: Das Ergebnis der Lohnverhandlungen soll zumindest die Inflation, aber auch das 'zu erwartende reale Wirtschaftswachstum abgelten.
Wirtschaftlicher Optimismus, so meinte jüngst der unabhängige und äußerst versierte österreichische Natiönalökonom Streissler, sei nur dann angebracht, wenn es gelingt, die Lohnzuwächse im Herbst 1976 und zu Beginn des Jahres 1977 auf rund fünf bis sechs Prozent zu halten. Nur dann, so meinte er, könnten Österreich auf den Auslandsmärkten konkurrenzfähig bleiben und Gefahren der Arbeitslosigkeit (die übrigens noch längst nicht überwunden sind) abgehalten werden. Überdies würde eine vorerst eher sparsame Lohnpolitik auch ein gefährliches Hin und Her in der Wirtschaftspolitik, also eine Politik zwischen Gasgeben und Bremsen, verhindern. Es hat den Anschein, als ob solche goldene Worte bei den österreichischen Arbeitnehmern auf ein weit größeres Verständnis stießen, als bei ihrer gewerkschaftlichen und politischen Vertretung.
Möglicherweise entscheiden rund drei Prozent über ein wichtiges Stück der österreichischen Wirtschaftszukunft.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!