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Ist die Gunst des Volkes käuflich?

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Trotz aller internationalen Handelsverflechtungen und weltwirtschaftlichen Interdependenzen war und ist die Budgetpolitik eine sehr nationale Angelegenheit: eine Sache des Finanzministers, der das Soll-Budget der Volksvertretung präsentiert, und eine Sache der Parlamente beziehungsweise jener parlamentarischen Fraktionen, die einem Bundesvoranschlag nur zu oft ungeschaut zustimmen, weil die Parteidisziplin das so nahelegt. Aus ökonomischer Sicht kann daher ein Budgetentwurf gar nicht so ineffizient und inflatio-nierend sein, daß er nicht doch von der Mehrheit im Parlament beschlossen wird.

Nichts kann daher auch diesen Bundesvoranschlag aufhalten, ein Finanzgesetz zu werden. Da kann sich da und dort auch in den Reihen der sozialistischen Parlamentsfraktion ein Murren breitmachen, da können die oppositionellen Fraktionen noch soviel und noch so berechtigte Kritik an der Dotation der einzelnen Gruppen, Kapitel, Titel, Paragraphen und Unterteilungen üben. Das mag ein schlechtes Licht auf das sogenannte parlamentarische Budgetkontrollrecht werfen, legt aber zugleich die Verantwortung für Budgets klar.

Wie schwer diese Verantwortung wiegt, dürfte die Bundesregierung im kommenden Jahr — wenn dann die Inflationsrate monatelang über zehn Prozent liegen wird — noch ebenso deutlich zu verspüren bekommen wie die Vertreter jener Parlamentarischen Fraktion, die es beschließt. Der Bundesvoranschlag für das Jahr 1973 ist mehr noch als alle anderen, die Finanzminister Doktor Androsch bislang präsentierte und vollzog, inflationsträchtig.

Er ist fiskalpolitisch „pervers“ in dem Sinn, daß er prozyklisch erstellt ist, es werden also auch 1973 trotz Anhaltens eines konjunkturellen Booms die Budgetausgaben mit einer höheren Zuwachsrate steigen als das nominelle Bruttosozialprodukt.

Fast zeitgleich mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft forderte die EG-Kommission ihre Mitgliedsstaaten auf, ihre Budgetausgaben im Jahr 1973 um nicht mehr als zehn Prozent anzuheben, um so die „hausgemachten“ Inflationsursachen ein wenig einzudämmen. Die Finahzminister der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs hielten sich selbst in, beziehungsweise vor Wahljahren recht streng an diese Empfehlung.

Der Finanzminister des EWG-Neulings Österreich schert jedoch aus, er läßt den Budgetausgabenrahmen laut Bundesvoranschlag 1973 um 13,5 Prozent auf 139 Milliarden Schilling expandieren. Es mag sein, daß die österreichische Wirtschaft da und dort europareif ist, die Wirtschaftspolitik der sozialistischen Regierung und ihres Finanzministers ist es gewiß nicht.

Finanzminister Dr. Androschs Haushaltspolitik ist getragen vom Grundsatz, daß (sozialistische) Gesellschaftspolitik noch am besten von der Ausgabenseite des Budgets hei gemacht werden kann. In dieser Frage machte er in einem Interview mit der „Arbeiter-Zeitung“ (6. Mai 1972) recht dezidierte Äußerungen Die strikte Einhaltung dieses Grundsatzes muß zwangsläufig dazu führen, daß der Finanzminister irr Treibhaus der Forderungen seine)

Ylinisterkollegen Springbrunnen statt Störfaktor spielt. Weise Zurückhaltung gegenüber allen Arten von Forderungen an das Bundes-audget ist Androsihs Sache leider nicht. Derlei wird nur in theoretischen Erklärungen vor Journalisten und dem Fernsehpublikum gespielt. Statt budgetrestriktive Maßnahmen zu setzen, übt er sich darin, den Forderungsofen anzuheizen.

In der Sprache des Fußballs würde man sagen: der Libero spielt Sturmspitze. Das äußert sich dann in einem sehr hohen Zuwachs an Beamten, in Gratisschulbüchern, die rund 1,4 Milliarden Schilling kosten werden, in Schülerfreifahrten und Heiratsbeihilfen, in einer falsch terminisierten Einführung der Mehrwertsteuer, in einer zum unrechten Zeitpunkt angesetzten Lohn- und Einkommensteuerreduktion, die obendrein niemandem etwas bringt, in der Erhöhung von Zigaretten-, Strom- und Benzinpreisen sowie von Bundesbahntarifen, in der Ermächtigung an die Gemeinden, im kommenden Jahr eine Biersteuer einzuheben.

Kurz und gut: die Budgetpolitik des Finanzministers, der Regierung, die ihn stellt, und der parlamentarischen Fraktion, die ihn unterstützt, äußert sich in der steilsten Inflationskurve, die Österreich seit mehr als 20 Jahren erleben mußte; einer Inflationskurve, die sich auch, so Professor Nemschak vom Wirtschaftsforschungsinstitut, im I übernächsten Jahr nur sehr unmerklich neigen wird.

Der Bundesvoranschlag für das Jahr 1973 ist der vorläufig üppigste Wuchs einer auf Gefälligkeiten gegenüber dem Wähler abgestellten Regierungspolitik, die rationales Budgetieren aus ihrem Aufgabenbereich einfach ausgeklammert hat. Die Budgetpolitik der Regierung baut auf dem Gedanken auf, daß die Gunst des Volkes käuflich sei. An den diversen Wahlerfolgen der Sozialistischen Partei mag man die Zweckmäßigkeit dieses Gedankens erkennen.

Aber das ändert nichts daran, daß eine solche Budgetpolitik im Grundsatz falsch ist. Sie führt dazu, daß die Regierung „Geschenke“ macht und über steigende Inflationsraten von denen, die beschenkt worden sind, einen Gutteil der „Geschenke“ wieder kassiert.

Dennoch werden und müssen Regierungen, die meinen, die Gunst des Wählerpublikums lasse sich erkaufen, auf die Dauer schief liegen.

Es gibt nichts“ Unpopuläreres, als etwas scheinbar Populäres zu tun, und es gibt, auf Sicht gesehen, nichts Populäreres, als etwas scheinbar Unpopuläres zu tun, nämlich für die Stabilität von jedem einzelnen Opfer zu fordern.

Die Einsicht dieser Regierung, ihres Finanzministers und der sozialistischen Parlamentsfraktion in diese doch recht lapidare Weisheit wird vorläufig noch begrenzt vom Glauben, es lasse sich alles und alles zugleich machen.

Das wird sich ändern müssen, wenn es die sozialistische Regierung nicht darauf anlegen will, bei ihrem Abtritt von der politischen Szene (1975?) ein wirtschaftliches Chaos zu hinterlassen.

Und permanent falsche Budgets sind genau der Weg. der in ein solches wirtschaftliches Chaos führen muß.

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