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Treibhaus der Forderungen
In dieser Woche wird der Bundesvoranschlag für das Jahr 1973 im Plenum des Nationalrates mit den Stimmen der sozialistischen Mehrheitspartei beschlossen. Hier und anderswo wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß es sich dabei um einen Bundesvoranschlag der negativen Superlative handelt: um das höchste Budgetdefizit seit 1945, um das höchste inlandswirksame Budgetdefizit seit 1945, um die höchste Zuwachsrate der bereinigten und inlandswirksamen Budgetausgaben seit 1945 usw.
Dies alles riskiert der Finanzminister in einer wirtschaftlichen Situation mit ausgelasteten Kapazitäten und den ebenfalls seit 1945 höchsten Inflationsräten.
Nun könnte man freilich argumentieren, daß es sich bei dem eben beschlossenen Bundesvoranschlag ja nur um einen Soll-Etat handelt, den der Finanzminister im Laufe des Budgetjahres noch den ökonomischen Verhältnissen anpassen könnte. Dieses Argument hat in der Tat seine Berechtigung. Denn trotz zahlreicher Notwendigkeiten und Möglichkeiten, das Haushaltsrecht umzugestalten, hat sich in der Vergangenheit jedenfalls bis 1970 gezeigt, daß stabilitätsunwirksame Soll-Budgets im Laufe des Budgetjahres ohne sehr große Schwierigkeiten zu stabilisierenden Ist-Budgets (Rechnungsabschlüssen) umfunktioniert werden konnten. Insbesondere in Rezessionsphasen wurden
Bundesvoranschläge auf der Basis von Konjunkturprognosen gemacht, die keine Konjunktureinbrüche hatten erwarten lassen. Dieser Umstand kann nicht nur damit erklärt werden, daß die Prognosetechnik in Österreich noch ungenügend entwickelt ist, hier dürfte vielmehr auch das wirtschaftspolitische Motiv hineingespielt haben, die konjunkturelle Entwicklung aus psychologischen Gründen günstiger darzustellen, als sie tatsächlich erwartet werden durfte. Wenn es dann dennoch gelang, in den Jahren mit rezessiver Wirtschaftsentwicklung zielkonforme stabilisierungspolitische Maßnahmen zu setzen, also äußerst expansive Budgets zu realisieren, so lag das vor allem an raschen Umdisposittionen im Bundeshaushalt und einer Politik der forcierten Auftragsvergabe.
Erst recht gelang es bis 1970 der österreichischen Finanzpolitik fast immer, in Hochkonjunkturphasen budgetär antizyklisch — also nachfragedämpfend — zu wirken, obgleich Politiker in der Regel nicht dazu neigen, unpopuläre Maßnahmen zu setzen, wenn dies die wirtschaftliche Situation erfordert. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß für Phasen mit sehr starker wirtschaftlicher Aktivität sowohl die Bundesvoranschläge als auch die Bundesrechnungsabschlüsse stabilitätskonform konzipiert beziehungsweise realisiert wurden.
In diesem Punkt aber ist der Budgetpolitik des Finanzministers, seiner Regierung und der sozialistischen Parlamentsfraktion mit aller Schärfe entgegenzutreten. Der Bundesvoranschlag für das Hochkonjunkturjahr 1970 konnte noch mit Einschränkungen als stabilitäts-orientiert bezeichnet werden, der Rechnungsabschluß 1970 war dagegen eindeutig prozyklisch oder, wenn man will, inflationstreibend. Nicht minder prozyklisch war das Soll-Budget 1971 und erst recht prozyklisch war das Ist-Budget des vergangenen Jahres. Zahlen vermögen diese Beurteilung recht leicht zu beweisen: im Bundesvoranschlag 1971 war eine Zuwachsrate der Budgetausgaben von 9,6 Prozent konzipiert, im Ist-Budget für das Jahr 1971 wurde dagegen eine Ausgabenzuwachsrate von 15,2 Prozent realisiert. Da für das Budgetjahr 1972 noch keine endgültigen Ziffern des Rechnungsabschlusses vorliegen, kann vorerst nur mit einer Schätzziffer argumentiert werden: einem veranschlagten Ausgabenzuwachs in der Höhe von 10,8 Prozent dürfte eine tatsächlich realisierte Ausgabenzuwachsrate in der Höhe von rund 14 Prozent gegenüberstehen.
Diese Zahlen beweisen vielleicht am trefflichsten die sträflich inflätionstreibende Budgetpolitik des Finanzministers. Die Frage, ob im Treibhaus der Forderungspolitik die Entwicklung der nachfragewirksamen Budgetausgaben gleichsam als Erwartungsparameter eingesetzt wird, ist auf Grund der durch Zahlen erhärteten Entwicklung eindeutig mit Ja zu beantworten. Das würde freilich heißen, daß der Finanzminister längst keine klaren Vorstellungen darüber hat, wie eine stabilitätswirksame Budgetpolitik beschaffen sein soll. Die
Folgen einer solchen Position sind an den Inflationsraten in Österreich ablesbar: zwischen 1954 und 1969 lag die jahresdurchschnittliche Inflationsrate bei 3,1 Prozent, 1970 betrug sie 4,4 Prozent, 1971 4,7 Prozent, 1972 6,3 Prozent und für das Jahr 1973 ist sie mit mindestens 8 Prozent prognostiziert worden.
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