6731927-1966_01_17.jpg
Digital In Arbeit

Wirtschaftliche Probleme 1966

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn wir von den wirtschaftlichen Problemen sprechen sollen, die sich zu dieser Jahreswende stellen, so müssen wir als bedeutendstes wirtschaftliches Faktum die Änderung in der konjunkturellen Aufwärtsentwicklung erkennen. In Österreich, wie fast in allen anderen Industriestaaten macht sich seit der Mitte das Jahre® eine deutliche Verflachung der Konjunktur bemerkbar. Während die Zunahme des Bruttonationalproduktes in Österreich in den letzten acht Jahren durchschnittlich etwas mehr als sechs Prozent betragen hat, ist für 1966 nur eine Zunahme vor. vier Prozent, wahrscheinlich sogar nur dreieinhalb Prozent zu erwarten. Die Ursachen für diese konjunkturelle Verflachung sind mannigfacher Natur. Hauptsächlich gehen sie auf größere Schwierigkeiten auf den internationalen Warenmärkten mit bedeutendem Predsverfatll in bestimmte Gruppen zurück. Die Nachfrage hat ganz allgemein nachgelassen und kann selbst durch stark reduzierte Weltmarktpreise vorläufig nicht auf den früheren Stand gebracht werden. Die österreichischen Exporteure werden daher vor schwierigeren Aufgaben als in den vergangenen Jahren stehen.

Diese Kanjunkturverflachung ist keine Wirtschaftskrise und auch kein Anzeichen für eine solche, sondern kann eher als eine Stabilisierung unseres gegenwärtigen, sehr hohen Wirtschaftsniveaus angesehen werden, wobei man sich allerdings dabei darüber im klaren sein muß, daß eine Fruktifizierung der immerhin noch dreieinhalb bis vier Prozent betragenden Zuwachsrate des Bruttonationalproduktes kaum möglich werden wird. Eine Zuwachsrate so geringen Umfanges ertaubt erfahrungsgemäß noch nicht die Annahme, daß sich aus ihr eine reale Steigerung der Einkommen erwarten läßt. Der Grund hiefür ist in erster Linie in der ständigen Wertminderung zu sehen, der heute aber alle Währungen unterliegen.

In diesem Zusammenhang ist zur Jahreswende auch ein Wort zu den Lebenshaltungkosten in Österreich zu sagen. Vor allem di durch die schlechte Witterung bedingten Preiserhöhungen auf dem Lebensrnittelsektor haben im vergangenen Jahr zu einer gewissen Unruhe unter den Konsumenten geführt. Dies ist begreiflich, obwohl volkswirtschaftlich gesehen keinerlei Anlaß für eine echte Besorgnis besteht. Erstens hat Österreich von allen europäischen Staaten die weitaus niedrigsten Lebensmittelpreise. Wer nur ein wenig seine Nase ins Ausland steckt, wird über die bedeutenden Preisdifferenz auf dem Lebens- mititelsektar zugunsten Österreichs mehr als überrascht sein. Zweitens darf nicht übersehen werden, daß die Witterungsverhältnisse dieses Jahr wohl als selten schlecht angesehen werden müssen, so daß bei zu erwartenden besseren Ernten der nächsten Jahre wieder mit einer EinSpielung der Agrarpreiise auf das vorherige Durchschnittsniveau gerechnet werden kann. Dazu kommt, daß die harten Lohnbewegungen des ersten Halbjahres, von der alle Branchen erfaßt wurden — die Handelsangestellten und -arbeiter zogen mit Ende des Jahres nach — nicht ohne Einfluß auf die Preise bleiben konnten; ja, wenn wir von den witterungsbedingten Lebensmittelpreiserhö- hungen absehen, gehen alle anderen Preiserhöhungen in Österreich in diesem Jahr auf die Lohnwelle zurück. Ich weiß genau, daß das eine unpopuläre Wahrheit ist, sie ist aber nicht weniger wahr, weil sie unpopulär ist! Daß diese Lohnwelle außerdem die Produktivität überrollt hat, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Lebenshaltungskosten seit Mitte 1964 um 5,1 Prozent, die Arbeiterlöhne aber um 14 Prozent gestiegen sind. Natürlich mißgönnt niemand dem Arbeitnehmer seinen Anteil an der konjunkturellen Entwicklung, den er sich nur durch verbesserte Löhne holen kann: aber auf die wahren Zusammenhänge deswegen nicht zu verweisen, wäre ein unverzeihliches Vorgehen derer, die die wahren Zusammenhänge des wirtschaftlichen Geschehens überblicken können. Daher muß auch mit allerDeutlichkeit festgestellt werden, daß die meist parteipolitisch gefärbten Kampfreden gegen die Preise so lange reine Demagogie bleiben, als man nicht bereit ist, einen möglichst ruhigen Lofansektor als erste und wichtigste Voraussetzung fiir die Stabilität der Preise zu schaffen. Der Kampf ist nicht an der Preis- front, sondern an der Kostenfront zu führen!

Mehr denn je werden wir uns im nächsten Jahr an die Wahrheit halten müssen, daß man ungestraft nicht mehr ausgeben kann, als man vorher eingenommen, das heißt, verdient hat. Wenn ich eingangs auf die österreichischen Exportschwierigkeiten verwiesen habe, so wird gerade das Exportproblem für das nächste Jahr auch noch aus einem anderen Grunde nicht von der Tagesordnung abgesetzt werden können. Die ständig zunehmende Diskriminierung seitens des Gemeinsamen Marktes hat schon im abgelaufenen Jahr das österreichische Handelspassivum bedeutend vergrößert; unser bester Aktivpartner, Italien, hat nun auch einen Exportüberschuß nach Österreich! Ab 1. Jänner 1966 wird nun die Zolldiskriminierung von 70 auf 80 Prozent durch die weitere interne Zollsenkung der EWG vergrößert werden. Die österreichischen Exporteure werden also neuerliche und härteste Anstrengungen machen müssen, üm mit ihren Waren auf dem EWG-Markt bleiben zu können. Ob und inwieweit das möglich sein wird, hängt von den einzelnen Branchen, vor allem aber von der Kostengestaltung der österreichischen Produktion ab.

Gleichzeitig mit der Vergrößerung des österreichischen Handelspassivums im allgemeinen und der EWG gegenüber im besonderen, mußten wir auch innerhalb der EFTA durch die britische Importabgabe Rückschläge in Kauf nehmen. Die lange Andauer dieser britischen Selbstbefreiung von den EFTA-Ver- pftichtungen derogiert die EFTA-Gemein- sohaft natürlich immer mehr Und mehr und zeigt immer deutlicher die Schwäche dieser Freihandelszone auf; eine Schwäche, die in dem Augenblick begann, als sich die EFTA entgegen den seinerzeitigen Erwartungen als kein geeignetes Instrument für eine gesamteuropäische Integrationsregelung erwies. Immer dringlicher wird daher der Abschluß eines Vertrages mit Brüssel, der allein die Voraussetzungen zu geben im Stande ist, die wir brauchen, um den österreichischen Export in seinen bisherigen Umfang für ‘die Zukunft sicherzustellen. Die EFTA war nie ein Ersatz dafür und kann niemals einer sein!

Mit dieser kurzen Übersicht sind die wirtschaftlichen Probleme, die uns das Jahr 1966 stellen wird, natürlich keinesfalls alle dargestellt. Die Notwendigkeit der Wachstumsgesetze, die Bereinigung auf dem Sektor jener verstaatlichten Betriebe, die nur defizitär gebaren können und vieles andere mehr, macht den großen Aufgabenkreis aus, dem wir uns an der Jahreswende 1965/66 gegenübersehen. Daß wir die Probleme kennen, ist eine Voraussetzung dafür, für sie eine Lösung zu finden!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung