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Österreichs Beitrag zur finanzpolitischen Theorie ist bemerkenswert: hier bewertet man neuerdings die Qualität eines Staatshaushaltes nach der Zeitspanne, die ein Finanzminister für Verhandlungen mit seinen Kabinettskollegen benötigt. Die Formel ist simpel: kurze Verhandlungsdauer — gutes Budget; lange Verhandlungsdauer — schlechtes Budget. Demnach wird das Sollbudget für das Jahr 1972 besonders „hochwertig“ sein, hat doch Finanzminister Dr. Androsch angekündigt, daß die Budgetgesprächsrunde mit seinen Ministerkollegen nur vier Tage dauern werde.

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Österreichs Beitrag zur finanzpolitischen Theorie ist bemerkenswert: hier bewertet man neuerdings die Qualität eines Staatshaushaltes nach der Zeitspanne, die ein Finanzminister für Verhandlungen mit seinen Kabinettskollegen benötigt. Die Formel ist simpel: kurze Verhandlungsdauer — gutes Budget; lange Verhandlungsdauer — schlechtes Budget. Demnach wird das Sollbudget für das Jahr 1972 besonders „hochwertig“ sein, hat doch Finanzminister Dr. Androsch angekündigt, daß die Budgetgesprächsrunde mit seinen Ministerkollegen nur vier Tage dauern werde.

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Was bisher über das SoJlibudget 1972 bekannt ist: der voraussichtliche Ausgabenrahmen von 120 Mrd. Schilling (plus 7,5 Prozent gegenüber dem Budget 1971) mehr Geld für die Berg- bauern, für die Fremdenverkehrsför- derung, Bildung, Wissenschaft und Forschung, ein bißchen mehr Geld für. den Umweltschutz, die Landesverteidigung, für den Ausbau der volksgesundheitlichen Einrichtungen und für die Kriegsopfer.

Was über das Sollbudget 1972 auf Grund der ersten Informationen vermutet werden muß: es wird kein konjunkturgerechter Haushalt sein, kein Markstein der Stabilitätspolitik; es dürfte eher von politisch motivierten Überlegungen und Rücksichtnahmen bestimmt sein, als vom Gedanken, daß ein Bundeshaushalt das zentrale Instrument der Wirtschaftspolitik zu sein hat.

Finanzaninister Dr. Androsch dürfte mit diesem Sollbudget die Bestätigung einer mit dem Budget 1971 gemachten Erfahrung endgültig gelingen: daß er ein kreuzbraver Fiskalist ohne besondere reformatori- schen Ambitionen ist; ein Mann ohne Ehrgeiz, die im Wirtschaftsprogramm seiner Partei formulierten Gedanken über jiie „Modernisierung der Budgetpolitik“ auch tatsächlich zu verwirklichen. So gesehen, hat der Beamtenstab des Finanzministeriums und die polititsche Wirklichkeit den „jüngsten Finanzminister der Welt“ zu einem Quasisektionschef in der Himmelpfortgasse umfunktioniert. Vielleicht Ist gerade das der Grund dafür, daß Dr. Androsch im Fernsehen und in öffentlichen Versamm lungen so bemerkenswert viel Ruhe ausstrahlt? Er braucht ja nichts anderes zu verteidigen, als eine Finanzpolitik, die Verwaltungsbudgets produziert; die an der Tradition festhält und weitgehend spannungslos ist.

Das muß verwundern, wenn man bedenkt, daß die Sozialistische Partei im Winter 1970 auch mit neuen Wegen zur Gestaltung der österreichischen Budgetpolitik Wahlkampffurore gemacht hat. Da wurde unter anderem festgestellt, daß „in kaum einem anderen Bereich sich Tradition und Traditionsgebundenheit ähnlich hinderlich erweisen wie in der Budgetpolitik". Da wurde eine „Neugestaltung der Budgetpolitik“ versprochen, „die das Budget zum Kern einer modernen Rahmenplanung werden läßt". Schließlich aber hat die Sozialistische Partei im letzten Wahlkampf eine grundsätzliche Abkehr vom Budgettraditionalismus verkündet: „Die Budgets sind den geänderten Verhältnissen anzupassen. Jede Budgetreform ist Im Kern Budgetrechtsreform. Hauptanliegen einer zeitgemäßen Reform des Budgetrechtes muß es sein, stärker die wirtschaftspolitische Budgetfunktion zu berücksichtigen sowie im organisatorischen und verwaltungsmäßigen Bereich des Haushaltswesens die Anpassung an die modernen Entwicklungen und Anforderungen vorzunehmen“. In der Anlage zum Kapitel Budgetreform des SPÖ-Wirtschafts- programmes wurden allein zwölf Punkte zur Modernisierung des Budgetrechtes genannt. Sieht man von dem längerfristigen Investitionsplan ab, so wurde kein einziger Punkt der seinerzeit abgegebenen Vorstellungen verwirklicht.

Es ist alles beim alten geblieben, und nicht zuletzt dürfte das an der Person des im Grunde seines Wesens sehr orthodoxen Politikers Doktor Androsch gelegen aben, „Keine Experimente“ — war sein Motto, und das hat er rigoros realisiert. Das beste daran war, daß es — nicht zuletzt wegen der Mehrheitsverhältnisse im Parlament — zu keinem, wie Dr. Kreisky das formulierte, „sozialistischen Budget“ gekommen ist; das schlimmste aber, daß eine Reihe fest versprochener Budgetreformmaßnahmen, zu denen sich die Zustimmung der Oppositionsparteien hätte leicht finden lassen, nicht einmal angepeilt wurden. So gesehen war die

Androsch-Administration im Finanzministerium eine Zeit verlorener Chancen, für die längst notwendig gewordene Umgestaltung des österreichischen Bundeshaushaltes. So gesehen hat Androschs Budgetpolitik stets daran erinnert, daß der heute im Bundeskanzleramt nicht immer glücklich agierende Staatssekretär Dr. Veselsky mit großer Wahrscheinlichkeit der modernere Finanzminister gewesen wäre: Immerhin war er federführend bei der Formulierung des Budgetteüs im SPÖ-Wirtschafts- programm; liest man heute Veselskys Abhandlungen über Budgetrecht, Finanz- und Investitionsplanung, so findet man bestätigt, was die heimische Wirtschaftspublizistik insbesondere aus Gründen der Unkenntnis den Wählern vorenthält: Kreisky- Mann Dr. Androsch hat bestenfalls die fiskalpolitische Komponente eines Budgets erfaßt und bewältigt; zu mehr konnte es vielleicht auch angesichts der besonderen Problematik einer Minderheitsregierung gar nicht reichen. Daß es Androsch gelang, die Tatsachen mit charmantem Lächeln zu verdecken, zählt mit zum Irrationalen in der österreichischen Innenpolitik.

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