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Zwei zu eins

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„Wir werden bald die letzten Roten in der Regierung sein", witzelte ein ÖAAB-Funktionär in den Tagen vor der Semmeringklausur der ÖVP, als sich drohende Gewitterwolken auf dem mono- coloren Regierungshimmel zusammenzagen, es im Ministerrat zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Finanzminister und dem jüngsten Staatssekretär gekommen war, bei der sogar der Bundeskanzler schlichtend eingreifen mußte — in jenen Tagen also, da sich der ÖAAB anischickte, unter anfeuerndem „Hussa“ der erwartungsvoll zuschauenden sozialistischen und kommunistischen Presse die Arbeitnehmer hinter rasch errichteten Barrikaden vor den Wachstumsgesetzen zu schützen und seinerseits zum Gegenstoß anzutreten.

Der Semmering war in den vergangenen Jahren zum traditionellen Klausurort der österreichischen Volkspartei geworden. Die legendären Kartenpartien von einst freilich gibt es nicht mehr. Technokraten spielen nicht Tarock oder Bauernschnapsen — und eben diese Technokraten standen im Mittelpunkt der Klausurtagung: Hier der Finanzminister, da der Staatssekretär im Verkehrsministerium, beide Fachleute, Experten ohne Hausmacht, die den Standpunkt der eigenen Gruppe vertreten müssen, zweier so gegensätzlicher Gruppen wie ÖAAB und Bundeskammer. Pessimisten sahen schon die „schwarzen Bolschewiken“ marschieren: die Wachstumsgesetze — „Steuergeschenk an die Unternehmer“ — trieben einen ersten Keil in die nach dem 6. März wie ein Monolith stehende Regierung. Diese Gesetze, die nach dem Willen der Initiatoren die Investitionen der Unternehmer steigern sollen, sind — nach Meinung des ÖAAB — nur dann gerechtfertigt, wenn diese Investitionen auch tatsächlich durchgeführt werden, gehen aber — immer nach der Wiener Laudongasse — von der trügerischen Ungewißheit der künftigen österreichischen wirtschaftlichen Entwicklung aus und verschaffen letztlich der Staatskasse einen Entgang an Einnahmen, der optimistisch auf eine halbe Million, pessimistisch mit zwei Milliarden Schilling geschätzt wird. Das Loch hätten dann die Arbeitnehmer zu stopfen.

Die widerstrebenden Bünde — nicht nur in dieser Frage war man uneins — hatte der Bundesparteiobmann auf dem Semmering unter einen Hut zu bringen. Schließlich lasten sich drei Kernprobleme aus den Beratungen:

• die Wachstumsgesetze;

• die Steuerbegünstigungen für Arbeitnehmer;

• das Wohnungsproblem.

Freitag mittag stand dann das Ergebnis fest: 2:1 für den ÖAAB. Das Wohnungsproblem und die Frage der Steuerbegünstigung für Arbeitnehmer konnten in seinem Sinn gelöst werden, doch auch über die Wachstumsgesetze wurde Einigung erreicht. Freilich: Die Verbindung von Wachstumsgesetzen und Steuerbegünstigungen für Arbeitnehmer bedeutet auch das Ende des von Dr. Schmitz bisher erfolgreich durchgehaltenen währungsneutralen Konzeptes, die Semmeringklausur fixiert somit möglicherweise auch den Beginn der Suche nach einem neuen Stil der Budgetpolitik. Wie der aussehen könnte, deutete Staatssekretär Dr. Taus vor bereits einem Jahr an: „Die praktische Budgetpolitik ist die Synthese von ökonomischen, technischen, politischen und psychologischen Überlegungen, sie ist nur sinnvoll und elastisch zu führen, wenn sie undogmatisch und elastisch betrieben wird und wenn es gelingt, Verständnis für die komplizierten Zusammenhänge zu wecken. Nichts ist in der Demokratie gefährlicher, als mit einfachen, simplifizierten Formeln zu arbeiten. Sie mögen politische Augenblickserfolge bringen, sind aber der Sprengstoff für das demokratische System.“

Das 2:1 auf dem Semmering bedeutet nun natürlich nicht die Machtübernahme des ÖAAB innerhalb der Gesamtpartei, markiert viel eher die Verantwortung, an der heute alle Bünde gemeinsam tragen. Das mag daran liegen, daß im Augenblick das Verhältnis zwischen den führenden Männern der Volkspartei — Dr. Klaus, Dr. Maleta und Dr. Withalm — besser ist, als es noch vor dem 6. März gewesen war, das mag aber auch daran liegen, daß sich die ÖVP nun wohl bewußt ist, im Sinne der Regierungserklärung handeln zu müssen, nach den schweren Brocken, die den Österreichern gleich zu Beginn zum Hinunterschlucken vorgelegt wurden, nun den Weg freimachen zu müssen für die endliche Regelung von Fragen, deren Lösung bisher nicht möglich war.

Ratlos waren nach dem Ende der Klausur nur die Beobachter: für die Sozialisten dürfte die Einigkeit der Bünde eher überraschend gekommen sein, hatte man doch insgeheim mit dem großen Krach gerechnet, der die schwarz-schwarze Koalition zur kurzlebigen Schwester der schwarz-roten Koalition gemacht hätte. Das Ausbleiben des Krachs erleichtert nun die Situation der Opposition, die dem geschlossenen Block der Regierungspartei nichts rechtes gegenüberzustellen hat, keineswegs, um so mehr, weil 1966 auf dem Semmering — im Gegensatz zu Klausuren vergangener Jahre — nicht parteipolitisch, sondern staatspolitisch gedacht wurde.

Die Ergebnisse werden sich nicht schon heute oder morgen auswirken. Dennoch: an die letzte unpopuläre Maßnahme — die Benzinpreiserhöhung — mit einer Klausurtagung anzuschließen, die entscheidend die Weichen für die nächsten vier Jahre stellt, war eine gewonnene Schlacht im latenten psychologischen Krieg um die Gunst des Wählers. Der Weg für die parlamentarische Behandlung von drei Fragen, die den Österreicher am meisten interessieren, ist frei. Und das deutliche In-den-Vordergrund-Treten des ÖAAB ist eine Chance für die Gesamtpartei, ihre Plattform noch mehr zu erweitern. Vor allem dann, wenn es um den Arbeitnehmer geht.

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