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Die ominösen drei Stimmen

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An dieser Haltung scheiterte am 17. April der Versuch, den Betriebsrat zu konstituieren. Eine Woche später, beim zweiten Anlauf, klappte es plötzlich: Der Kommunist Wilhelm Letzer wurde mit sechs gegen fünf Stimmen bei drei Stimmenthaltungen zum Betriebsratsobmann gewählt. Der ÖAAB-Vertreter Richard Reinbacher erhielt als Obmannstellvertreter sieben Stimmen und sieben weiße Stimmzettel. Schriftführer wurde ein Kommunist und Kassier wieder ein Vertreter des ÖAAB.

Die ÖVP sprach nun von einem „Wahlfiasko“ bei den Grazer Straßenbahnen und verbreitete die These, die Sozialisten hätten durch Stimmenthaltung die Wahl des kommunistischen Betriebsratsobmannes ermöglicht. Darob empörte sich die sozialistische „Neue Zeit“: „Die Sozialisten schrieben Öffentlich, so daß jeder zusehen konnte, groß „Nein“ auf die Stimmzettel. Entsprechend der Mandatsverteilung und dem Wahlergebnis haben sich also die ÖAABler der Stimme enthalten und damit die Wahl des Kommunisten ermöglicht!“

Und so ähnlich war's diesmal auch. Als Dank hatten zwei Kommunisten „ihre politische Einstellung in den Hintergrund gestellt“, wie es in einem von beiden Partnern unterzeichneten Flugblatt hieß, und für den stellvertretenden Obmann aus dem ÖVP-Lager gestimmt. Das alles war vorher natürlich fein säuberlich ausgehandelt worden. Auch die Sache mit den drei leeren Stimmzetteln: Nicht mehr und nicht weniger als drei — damit man in den Sozialisten auch gleich einen Sündenbock für dieses Techtelmechtel zur Hand hatte.

„Verbrüderungsszenen zwischen sozialistischen und kommunistischen Betriebsräten häuften sich ja in den letzten Wochen in immer stärkerem Ausmaß. Sogar eine internationale Gewerkschaftsorganisation reagierte auf diese eigenartigen Vorfälle in österreichischen Betrieben. Die Sozialisten aber, die immerhin die Hälfte der österreichischen Regierung stellen, unternehmen nichts dagegen. Sie streen lediglich weiterhin nach Macht. )abei verschreiben sie sich, wenn es ein muß, auch dem Teufel...“

So zu lesen in der Aprilnummer des 5AAB-Organs „Industrie-Reporter“ )iese Mitteilungen erscheinen aller-ings in Wien. In Graz gehen die

Uhren manchmal eben anscheinend anders.

Niemand wird eine Partei für di Eskapaden einiger Unterläufer verant wortlich machen, wenn sie Weg gehen, die der vielpropagierten klare: Linie und den geforderten klarei Fronten diametral entgegengesetz sind. Aber die eindeutige Stellung nähme der Partei dazu möchte mai doch nicht gerne missen. Die stei rische ÖVP hat in der GVB-An gelegenheit eine Untersuchung an gekündigt; auch die Landespartei leitung hat über den Fall diskutiert Die notwendige Entscheidung bliel allerdings aus.

Sollten die Verantwortlichen der Grundsatz huldigen: Abwarten, e wächst sowieso Gras über die Sache Sicher wächst Gras darüber — bis zu nächsten Wahl. Dann darf man siel aber nicht wundern, wenn dieser Rasei von den politischen Gegnern, die nod dazu jahrelang mit der berüchtigte: „roten Katze“ traktiert worden sind sorgfältig abgemäht wird ...

Schon der 1. Mai brachte deftigi Vorwahlgeplänkel und einen Vorge

schmack dessen, was den wahlkampf-geplagten Österreicher erwartet: Vizekanzler Pittermann spielte in seiner Rede auf dem Wiener Rathausplatz prompt die Karte aus, die ihm in Graz unvorsichtig zugeschoben worden war: „... Soll die Zusammenarbeit ersetzt werden durch ein Bündnis zwischen ÖVP und den Kommunisten, zu dem sich die ÖVP-Betriebsräte der Grazer Straßenbahn, also im Lande der ÖVP-Erneuerer, offen bekannt haben?“ verkündete er unheildrohend, und zwischen seinen Worten lugte schon ein neuer, demagogischer Wahlschlager hervor, der uns in abgewandelter Form sicher nicht erspart bleiben wird: „Wähl ÖVP und du wählst'kommunistisch!“

ÖAAB-Chef M a 1 e t a wiederum handelte nach dem Grundsatz: Angriff ist die beste Verteidigung. Er nahm auf die Rede Pittermanns Bezug, holte sich die Bemerkung heraus, daß die Sozialisten einen scharfen Trennungsstrich gegenüber den Kommunisten ziehen und machte dem Vizekanzler „in aller Öffentlichkeit“ ein offizielles Angebot: Er möge der SPÖ-Fraktion bei der Österreichischen Mineralölverwaltung den Auftrag geben, bei der Konstituierung des Zentralbetriebsrates mit der ÖAAB-Fraktion zusammenzuarbeiten. Dort könne nämlich ohne weiteres die Wahl eines Kommunisten zum Obmann des Zentralbetriebsrates und zum Mitglied des Aufsichtsrates verhindert werden.

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