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Zwischen zwei Mühlsteinen?

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Der Artikel von. Horst F. Mayer „Auf wessen Kosten?“ in der „Furche“ vom 16. Juli 1966 (Nr. 29), könnte die Stellung des ÖAAB ZAI den Initiativanträgen der Sozialisten in mißverständlichem Licht erscheinen lassen. Als der ÖAAB im September 1965 auf seinem 10. Bundestag in Krems die Sozialoffensive verkündete, war es ihm ernst um die darin entwickelten Richtlinien. Er konnte daher auch mit Recht und aus Überzeugung diese Forderungen im Wahlkampf vertreten. Auch innerhalb der mondkoloren Regierung, in der der ÖAAB seiner Stärke entsprechend vertreten ist, bleibt er nicht nur bei seinem Grundsatzprogramm, sondern steht auch zu diesem seinen konkreten Aktionsprogramm.

Wir haben uns daher auch in den W achs tum sgesetzen nicht „über spielt“ gefühlt, sondern standen zu ihnen, weil wir, so wie die Selbständigen in der Wirtschaft, den Standpunkt vertreten, daß zuerst die Kuh gefüttert weidem muß, bevor man sie melken kann. Eine verhungerte Kuh wird niemals Mich geben können. Auch eine schrumpfende Wirtschaft wird auf dem Gebiete der Sozialpolitik versagen. Da nützen adle guten Ideen und Forderungen nichts.

Die Semmeringtagung

Der ÖAAB hat aber gleichzeitig auf der Semmeringtagung sein Forderungsprogramm auf dem Gebiete der Steuerpolitik für die unselbständig Tätigen vorgedegt, das er schon vor zwei Jahren dem Finanzminister überreicht hat, also au einer Zeit, da die Sozialisten noch keine Forderungen aufgestellt hatten; denn es war uns klar, daß man nicht nur der einen Seite Steuererleichterungen zur Erziehung eines Wirtschaftswachstums gewähren konnte, ohne nicht auch gleichzeitig für die unselbständig Tätigen etwas zu tun. Nur wenig haben sich die Forderungen der Sozialisten von den unseren unterschieden. Uns war aber klar, daß man nicht alles auf einmal wird erreichen können.

So waren wir auch nach der Sem- meringtagung nicht erfreut, als der Finanzminister erklärte, mit dem Budget 1966 und 1967 nicht alle unsere Wünsche erfüllen zu können. Außerdem wollte er sich durch eine sogenannte kleine Reform nicht verbauen, was der großen Reform Vorbehalten bleiben müsse. Es ist also keine Benachteiligung der Unselbständigen durch die Wachstumsgesetze eingetreten, denn die Auswirkungen sowohl der Wachstumsgesetze als auch der großen Steuerreform werden zum gleichen Zeitpunkt eintreten.

Ähnlich war es bei der Flut von Initiativanträgen der Sozialisten, die zum Großteil sozialpolitische Maßnahmen enthielten. Es ist richtig, daß diese Anträge meist alle gewerkschaftliche Forderungen enthielten, die einst auch die Zustimmung der christlichen Gewerkschaftsfraktion gefunden haben.

Die „Anträge“ von links

Es war uns aber klar, daß die Sozialisten mit diesen Anträgen den ÖAAB in Verlegenheit bringen wollten. Aber pressen läßt sieh die österreichische Volkspartei und der ÖAAB nicht. „Das Tempo bestimmen wir“, sagte Klubobmann Df. Withalm. Wenn behauptet wird, daß wir ÖAAB-Abgeordneten ein Redeverbot erhielten, und wenn der sozialistische Abgeordnete Pichler fragte, „ob Dr. Kummer zu diesen Anträgen nichts zu sagen habe“, dann antwor teten wir darauf, daß auch wir manches, wenn beileibe nicht alles, in den sozialistischen Anträgen bejahen, weil es unseren Forderungen entspricht; aber wir lassen uns nicht vorschreiben, ob und wann wir dazu reden, sondern werden ebenfalls jenen Zeitpunkt bestimmen, unsere Forderungen durchzusetzen und zu ihnen zu sprechen, der uns geeignet erscheint. Die sozialistischen Anträge rochen doch sehr nach Demagogie und konnten nicht ernst genommen werden, auch von der Bevölkerung nicht, die den Grundsatz vertreten muß, daß man erst dann das Fell des Bären verteilen kann, wenn er erlegt ist. Die Sozialisten dachten doch selbst nicht, daß sie diese Anträge auf einmal durchbringen würden, aber es ging ihnen darum, dem ÖAAB eines „auszuwischen“, dem sie ja offen einen verstärkten Kampf angesagt haben.

Realistisch bleiben!

Die Sozialisten mögen zur Kenntnis nehmen, daß wir im ÖAAB schon längst, ehe ihre Anträge auftauchten, unser sozialistisches Programm, allerdings nicht für drei Monate, sondern für die ganze Legislaturperiode erarbeitet hatten, und wir werden dieses Programm zu verwirklichen trachten, aber seriös, maßvoll und ohne Demagogie. Uns ist es ernst um die Durchsetzung sozialpolitischer Forderungen. Wir stellen uns nur nicht vor, daß man in der Sozialpolitik unreale Forderungen durchsetzen kann und schon gar nicht, daß man nur Forderungen um ihrer selbst willen erheben kann, ohne an ihre Verwirklichung zu glauben. Dazu sind wir Realisten genug und haben, das sei zugegeben, in der hündischen Gliederung gewisse Eigenheiten zu überwinden.

Es ist richtig, daß die ÖVP keine monolithische Partei ist, sondern sich ki drei Bünde aufgliedert, zwischen denen es naturgemäß Interessenver- schiedemheiten gibt. Sie au überwinden, wann und wo, ist unsere Angelegenheit. Die österreichische Volkspartei ist sich bewußt, daß sie, die nunmehr allein die Regierung führt, auch die Sozialpolitik groß schreiben muß. Auch Generalsekretär Dr. Withalm hat den Sozialisten im Hohen Hause deutlich gesagt, daß wir in der Sozialpolitik noch so viel leisten werden, daß „ihnen noch die Augen aufgehen werden“. Daß er diese Sozialpolitik nicht ohne den ÖAAB wird durchsetzen können, ist klar.

Die Unterschiede

Wie Dr. Mayer in dem zitierten Artikel richtig hinweist, waren die sozialistischen Anträge „richtige Spektakelstücke der Sozialpolitik“ — und was sollten wir dann als ÖAAB zu ihnen sagen? Wir konnten doch nicht mittun bei diesen zum Teil nicht ernst zu nehmenden Anträgen. Manche von ihnen liegen auch uns am Herzen. Aber in diesem Zusammenhang sollten wir „mit den Wölfen heulen“?

Reden weiden wir dann, wenn wir unsere Anträge auf den Tisch legen und wenn dann im zuständgen Ausschuß über beide gerectet wird, denn noch unterscheiden wir uns in der Sozialpolitik wesentlich von den Sozialisten. Zum Beispiel im Kündigungsschutz. Wir werden nie und nimmer dem Initiativantrag der Sozialisten auf diesem Gebiet zustimmen, die nun expressis verbis ernstlich die Anfechtung einer Kündigung vom Willen des Betriebsrates abhängig machen wollen. Dafür werden sie uns nie gewinnen. Auf diesem Gebiet sind wir Individualisten und fechten für den Individuellen

Kündigungsschutz, da wir der Meinung sind, daß es das primäre Recht des einzelnen Arbeitnehmers ist, seinen Arbeitsplatz selbst zu verteidigen. Die Sozialisten wollen ernstlich den Betriebsrat mit der untragbaren Verantwortung der Zustimmung belasten.

Wir sind auch vorsichtig in der Verkürzung der Arbeitszeit, weil wir genau wissen, daß sie nur im Zusammenhang mit der Entwicklung der Technik, der Rationalisierung der Betriebe und anderem gelöst werden kann. Auf diesem Gebiet kann es heute noch, wenn überhaupt jemals, kein starres Gesetz geben. Wir meinen, daß ein künftiges Arbeitszeitgesetz nur den Rahmen, die Richtlinien festlegen solle, während man die Ausführung den Sozialpartnern zu überlassen habe.

Warum bekennen sich ferner die Sozialisten nicht, wie ihre deutschen Kollegen, zur Vermögensbildung der Arbeitnehmer, zum Eigentum in Arbeiterhand? Da ist der deutsche Gewerkschaftsbund fortschrittlicher, als es der österreichische ist. Warum nicht eine rechtlich fundierte Regelung von Betriebsvereinbarungen, die der frühere Sozialminister Proksch kategorisch abgelehnt hat? Warum nicht die offizielle Verlautbarung der Kollektivverträge in einem amtlichen Organ, das es jedem Arbeitnehmer ermöglicht, sich über seine Rechte und Pflichten in Kol- lektiwerträgen zu informieren?

Vorwärts, nicht zurück!

Das sind nur einige Beispiele von unseren Vorhaben, die die Sozialisten sicherlich nicht gutheißen werden. Eine Erschwernis besteht auch noch darin, daß die sozialistischen Anträge in die Kompetenz zweier Ministerien fallen, ln die des Justiz- und in die des Sozialministeriums. Wir sind der Auffassung, daß es keinen Stillstand in der Sozialpolitik geben wird und auch gar nicht geben kann. Wir meinen aber, daß Sozial- und Wirtschaftspolitik in einem untrennbaren Zusammenhang stehen und daher so zu sehen sind. Der ÖAAB wird daher zur gegebenen Zeit seine Ideen durchsetzen, aber dann und nur dann, wenn er den richtigen Zeitpunkt als gegeben erachtet. Nie und nimmer wird sich der ÖAAB mit den Sozialisten auf einen Weg begeben, der zum alten Klassenkampf führt. Der müßte dann wieder zu jenen Zuständen führen, wie sie in den zwanziger Jahren geherrscht haben.

Die Sozialisten müssen das Ergebnis des 6. März zur Kenntnis nehmen, wenn sie Demokraten sind, und auch zur Kenntnis nehmen, daß sie nicht allein die Vertretung der Arbeitnehmer darstellen.

Mit dem Schreiber des erwähnten Artikels sind wir auch der Auffassung, daß die drei von ihm genannten Probleme, das Lohn-Preis-, das Wachstums- und das Integrations- pröblem, nicht auf Kosten der Unselbständigen gedöst werden können. Der ÖAAB ist auch für eine konstruktive Opposition und bereit, mit ihr ernste Probleme zu beraten. Auf dem Wege aber einer von ihr eingeschlagenen Demagogie wird ihr der ÖAAB nicht folgen. Die gesamte ÖVP ist sich des Ernstes ihrer Verantwortung auch auf dem Gebiet der Sozialpolitik bewußt. Der ÖAAB wird dafür Sorge tragen, daß die ihm richtig erscheinenden sozialpolitischen Maßnahmen beschlossen werden — in der Verantwortung für die Aufrechterhaltung der sozialen Errungenschaften ln diesem Lande und damit für den Arbeitsfrieden.

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