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Die Forderer

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An die Stiegenballustrade des Palais des Prinzen Eugen gelehnt, stand der Finanzminister dem Fernsehen Rede und Antwort; und was vor dem Professor Koren schon viele Finanzminister festgestellt haben, sagt auch er als Kemsatz jeder Budgetpolitik ins Mikrophon: Man kann hur jene Forderungen an den Staatshaushalt erfüllen, die finanzierbar sind.

Erinnern wir uns: Im Februar des vergangenen Jahres hatte der neubestellte Finanzminister iim Bundes-parteirat der Regierungspartei festgestellt, daß ein 16-Milliarden-Schil-ling-Defizit drohe. Diese Lawine hatte eine allzu gebefreudige Koalition und eine internationale Wirtschaftsrezession ausgelöst. Im März verkündete Koren die Notwendigkeit der Arahebung der Steuern. Und ohne besonderes Murren war diese Forderung auch so verständlich vorgetragen, daß sich die Interessengruppen dieser nationalen Sänie-xungspflicht“ nicht entziehen konnten. Der Finanzminister verkündete aber auch seinen „Koren-Plan“, dessen harter Kern Strukturverbesserungen der österreichischen Wirtschaft waren.

Aber auch das Budget ging im Herbst 1968 ohne interne Schwierigkeiten in der ÖVP im Parlament durch.

Nun aber, da ein neues Budgetjahr naht, wird ein altes Spiel wiederholt. Die Interessengruppen und Bünde reden überdies aber schon von den Forderungen, die sie für die neue Legislaturperiode haben, ja sie überstürzen sich dm Vortrag neuer Wünsche.

Es begann mit der Forderung des Gewerkschaftsibundes nach schrittweiser Einführung der 40-Stunden-Woche; die SPÖ will mit einem Volksbegehren politischen Rahm abschöpfen, ohne auch nur geprüft zu haben, was uns Österreichern, allen Österreichern, diese Arbeitszeitverkürzung kostet. Denn wir haben seit 1950 sowieso die höchste Reallohnsteigerung in ganz Europa zu verzeichnen, nicht allerdings die höchste Wachstumsrate unserer Wirtschaft. Jedoch ist nicht allein der SPÖ gleichgültig, wie wir im Bereich des Exports, der Personalkosten im Staat und der allgemeinen Preissituation damit fertig werden, auch dem Wirtschaftsbund: die Zeitung des Wirtschaftsverlages stellt schon grundsätzlich fest, daß man sich keineswegs dem „Fortschritt“ der Arbeitszeitverkürzung entgegensetzen werde.

Aber die Wirtschaft läßt sich überdies einiges einfallen: die Tankstellenbesitzer fordern ebenso höhere Spannen wie die Trafikanten — und dies nach einer Periode, in der nichts so sprunghaft anstieg wie die Motorisierung und der Zigarettenerlös durch Umstellung auf bessere und teurere Rauchwaren. Im gleichen Atemzug wehren sich natürlich nach wie vor die Gewerbeunternehmen und der Handel, eine kompromißlose, weil dynamische Gewerbeordnung und ein modernes Wettbewerbsgesetz durchzuführen.

Aber die Interessenvertreter der Arbeitnehmer schlafen angesichts der Spezialwünsche der Wirtschaftspartner nicht: der ÖAAB glaubt, auf die Erhöhung der Witwenrente nicht verzichten zu können; und Interessengruppen der Pensionisten in der ÖVP wollen sich mit dem ausgerechneten Dynamisierungsfaktor von 5,4 Prozent nicht anfreunden: weil ein Wahljahr nahe, müsse man die Rente um mehr als 6 Prozent erhöhen, obwohl Fachleute die vertretbare Steigerung einvernehmlich mit 5,4 Prozent berechnet haben. Und schlafen die Bauern? Mitnichten. Die Weinbauern lassen nach wie vor nicht locker, sofort eine Senkung der Alkoholsteuer zu erreichen. Und seit Monaten bemüht sich ein ÖVP-interner Ausschuß für eine Erhöhung der landwirtschaftlichen Zuschußrente.

Was also soll der Finanzminister tun? Gibt er einer Forderung nach, rutscht gleich einem Schneebrett ein ganzer Berg hinterher. Aber das Krebsübel — und das wird auch der Regierungsspitze immer klarer — liegt darin,, daß sich ein Teil der Minister politisch nicht primär der Allgemeinheit verpflichtet fühlt, sondern ihrem Bund oder ihrer Hausmacht. Der Handelsminister ist ein Wirtschaftsbündler und vertritt die Interessen seines Bundes in seinem Ressort, der Sozialminister fühlt sich quantitativen Forderungen des ÖAAB verpflichtet, und nur der Landwirtschaftsminister hat auch in der Öffentlichkeit manchmal gezeigt, daß er nicht ein Bauernmtaister ist

— sondern im Gegenteil den Bauern öfters die Wahrheit gesagt hat. Aber zu den Wünschen der Interessengruppen stoßen die föderalistischen Forderer: die einen wollen die Tauemautobahn, die anderen die Bundeshilfe für die Wiener U-Bahn, die dritten wallen Donaubrücken und wiederum andere Donaukraftwerke.

Der Verkehrsminister hofft auf eine Reform der verstaatlichten Industrie

— was Geld für Investitionen bedeutet — und auf eine Aufstockuung des Gesellschaftskapitals der AUA; der Verteidigungsminister weist mit Recht auf Unterdotierung seines Ressorts hin und will mindestens 4 Prozent Anteil am Bundesbudget; und schließlich der Unterrichtsminister: Er will — allen Angriffen zum Trotz — das neunte Schuljahr doch durchführen.

Die Pressure groups tragen ihre Projekte vor — aber sie rechnen nicht nach, was jede kleine gesetzliche Maßnahme im Endeffekt wirklich kostet. Was kostet uns etwa das neunte Schuljahr tatsächlich, was kostet uns etwa auch die Hochschulreform? Wo ist der Kostenreehner, der im Unterrichtsministerium solche exakten Berechnungen anstellt? Wo aber überdies sind die Ansätze zum Sparen effektiv geworden, unter denen Klaus und Koren angetreten sind? Die großzügige Verwaltungs-reform und der Abbau der Subventionen sind steckengeblieben, ein Systemwechsel im Bereich der Sozialpolitik zeichnet sich nicht einmal schemenhaft ab. Von einer qualitativen Sozialpolitik wird nur geredet, geäußert werden quantitative und teure Wünsche.

Denn zu allem Überfluß rollen uns in den Zukunftsbudgets nicht nur die Rückzahlungen der jetzt eingegangenen Verpflichtungen wie Steine auf die Brust, sondern die unausbleiblichen Systemreformen werden Kopfschmerzen bereiten. Waren vor vier Jahren nur neun Krankenkassen passiv, sind es heute bereits einundzwanzig.

Das Gratisaspirin bleibt Statussymbol.

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