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„Sozialismus in der Garderobe“

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Der momentan innerparteilich am meisten angekratzte SPÖ-Minister ist Dr. Hannes Androsch, jüngste Minister der Zweiten Republik. Was Androsch vor wenigen Tagen als „Konsolidierungsbudget“ bezeichnete, ist in den Augen breiter sozialistischer Kreise schlicht „Verrat an der sozialistischen Politik“. Das beginnt bei dem Beharren auf den seinerzeit so hart umkämpften Sonderzuschlägen auf Lohn und Einkommen, das setzt sich fort bei der Ankündigung, die (unbefristete) Autosteuer werde ebenfalls nicht abgeschafft, wiewohl sie kaum die Erwartungen ihrer Erfinder zur Gänze erfüllt hat; das bedeutet vor allem die Verschiebung der sogenannten „kleinen Steuerreform“ auf 1. Jänner 1971, das bedeutet das NichtEinhalten weiterer Wahlversprechen, wie Erhöhung der Witwenpensionen von 50 auf 60 Prozent, Erhöhung der Richtsätze für die Ausgleichszulagen, Erhöhung der Kriegsopferrenten, weitere Lockerung derRuhensbestim-mungen, Erhöhung der Pensionen um 7,7 Prozent. Diese lange Liste der von der SPÖ vehement geforderten Maßnahmen ließe sich beliebig fortsetzen, ginge man zeitlich vor den Beginn dieses Jahres zurück und würde man die von der SPÖ aufgestellten Forderungen der ersten drei Jahre der ÖVP-Regierung wieder aufgreifen.

Das harte „Nein“ des Finanzministers zu allen diesen schönen Dingen, die Geld kosten, entzündet die streitbaren Gemüter jener Genossen, die bei der Regierungsbildung Kreiskys zu kurz gekommen sind. Zu diesen handfesten materiellen Kritiken kommt eine psychologische dazu: Wohl kommt Androsch aus der stärksten Landesorganisation der SPÖ, der Wiener, wohl entstammt er einer traditionell sozialistischen Familie und war schon in seiner Mittelschulzeit für die SPÖ aktiv; wohl heiratete er in der Person einer Großnichte Dr. Schärfs durchaus standesgemäß; Alle diese Positivprämissen sind jedoch nicht ausreichend, um das kleine Wörtchen „aber“ aus der Welt zu schaffen. Androsch ist für viele Altsozialisten, und deren gibt es eine ganze Menge, zu jung. Parteifunktionäre in allen politischen Lagern Österreichs können es einfach nicht verwinden, daß ein 32jähriger Jüngling ausgerechnet jenes Bundesministerium übernahm, das in der Volksmeinung das schwerste ist.

Manche Sozialisten blicken deshalb auch noch besonders scheel auf Androsch, weil er die politische Erfolgsleiter in solch atemberaubenden Tempo gemeistert hat, daß den weniger erfolgreichen Funktionären ihr eigenes Aufstiegstempo auffällig langsam zu sein scheint.

Die Verärgerung über die SPÖ-Poli-tik der nichterfüllten Versprechungen, die sich besonders an der Person des Parteivorsitzenden, aber auch an der des Finanzministers entzündet, hat natürlich auch schon in den Reihen der SPÖ Adressaten gefunden, die sich alsbald zu Wortführern der Verärgerung machten. Aufsehenerregend ist vor allem — nur wenige Tage vor Beginn des SPÖ-Partei-tages — der „Zukunff'-Beitrag aus der Feder des Parteiideologen Hin-dels. Hindels fragt ganz unverblümt: „Sind die mit viel Fleiß und Talent erarbeiteten Konzepte auch Ausdruck einer sozialistischen Alternative?“ und er meint nicht weniger unverblümt dazu: „Der Sozialismus wurde in der Garderobe abgegeben.“ Wohl wagt Hindels es nicht, den Parteivorsitzenden selbst anzugreifen (er nennt auch keine Namen), doch ist es klar, daß er in Androsch sicher nicht jenen Mann sieht, der es als Finanzmimster in der Hand hätte, zu verhindern, daß der Sozialismus „in der Garderobe“ bleibt.

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