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Stunde der Wahrheit?

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Die Prophezeiungen über die mutmaßliche Höhe des Bun-desbudgetdefizits für das Jahr 1975 sind bereits bei rund 35 Milliarden Schilling angelangt. Noch vor neun Monaten kündigte Finanzminister Androsch eine Lücke in Höhe von 16,8 Milliarden Schilling an, zu Jahresbeginn hielt ÖVP-Klubobmann Koren ein Budgetdefizit in Höhe von 25 Milliarden Schilling für möglich; Androsch schalt ihn einen hoffnungslosen Pessimisten, doch als Koren die Finanzierungslücke Anfang Juni auf rund 30 Milliarden Schilling bezifferte, zog auch Androsch mit seinen düsteren Vermutungen nach und bedauerte, daß die Dinge doch ein wenig anders liefen, als er das ursprünglich gedacht hatte. Er gab ein Budgetloch zwischen 20 und 30 Milliarden Schilling zu und dürfte sich glücklich preisen, wenn das Budgetdefizit nicht noch höher als 35 Milliarden Schilline betragen wird.

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Die Prophezeiungen über die mutmaßliche Höhe des Bun-desbudgetdefizits für das Jahr 1975 sind bereits bei rund 35 Milliarden Schilling angelangt. Noch vor neun Monaten kündigte Finanzminister Androsch eine Lücke in Höhe von 16,8 Milliarden Schilling an, zu Jahresbeginn hielt ÖVP-Klubobmann Koren ein Budgetdefizit in Höhe von 25 Milliarden Schilling für möglich; Androsch schalt ihn einen hoffnungslosen Pessimisten, doch als Koren die Finanzierungslücke Anfang Juni auf rund 30 Milliarden Schilling bezifferte, zog auch Androsch mit seinen düsteren Vermutungen nach und bedauerte, daß die Dinge doch ein wenig anders liefen, als er das ursprünglich gedacht hatte. Er gab ein Budgetloch zwischen 20 und 30 Milliarden Schilling zu und dürfte sich glücklich preisen, wenn das Budgetdefizit nicht noch höher als 35 Milliarden Schilline betragen wird.

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Die zahlreichen Revisionen des Budgetdefizits nach oben ließen An-droschs Glanz in der öffentlichen Diskussion ein wenig verblassen. Auch der SPÖ dürfte es schwer fallen, den Fehl-Schätzmeister der Nation als wirtschaftspolitischen Glanzpunkt im Wahlkampf zu verkaufen. Ob der „Mut zum Schuldenmachen“ den Finanzminister freilich auch beflügeln wird, noch im Wahl-kampf die mutmaßliche Defizithöhe seines Budgets für das Jahr 1976 zu nennen, muß füglich bezweifelt werden. In diesem Zusammenhang geistern in der wirtschaftspolitischen Diskussion bereits Angaben von einem 56-Milliarden-Schilling-Defi-zits. Das würde bedeuten, daß im nächsten Jahr das Budgetdefizit die Höhe eines Viertels der Gesamtausgaben erreicht.

So weit hergeholt sind diese düsteren Prophezeiungen mitnichten. Angesichts der für das nächste Jahr zu erwartenden Stagnation der Arbeitnehmereinkommen und Unternehmergewinne (zu rechnen ist mit einem Schrumpfen des Brutto-nationalprodukts) dürften die, Bun-.deseinnahmen aus so ziemlich allen Steuerarten, insbesondere aber aus der Lohn- und Einkommensteuer und aus der Mehrwertsteuer deutlich sinken. Selbst eine kräftige Erhöhung der Steuersätze würde dieses Sinken kaum ausgleichen, dafür aber die Inflationsrate erhöhen und die Konjunkturbelebungschancen noch weiter drücken.

Die Pensionsversicherungsanstalten werden in den nächsten Monaten vom Finahzminister noch höhere Zuschüsse fordern, die Arbeitslosigkeit wird sicherlich — wenn auch hoffentlich nur geringfügig — zunehmen, die Hoffnungen auf einen mit Staatsaufträgen die wirtschaftliche Entwicklung belebenden Staat dagegen größer.

Androsch ist mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die ihn zwingen sollte, bei der Dotierung einzelner Ressorts die Notbremse zu ziehen. Das ist kompliziert in einem Staat, dessen Budgetausgaben zu bald

85 Prozent gesetzlich fixiert sind. Einen Spar-Spielraum hat der Finanzminister eigentlich nur bei den Ermessungskrediten und bei den Investitionen. Nun ist es sicherlich problematisch, gerade dort einzusparen, von woher eine kleine Chance zur Konjunkturbelebung kommt: im Hoch- und Tiefbau, bei den Exportsubventionen, bei der Investitionsförderung.

Androsch ist heute Gefangener im Teufelskreis der Budgetpolitik. Die Ursachen liegen bald sechs Jahre zurück, als sich sein Parteichef und heutiger Bundeskanzler Kreisky entschloß, mit der Parole „Wir bauen das moderne Österreich“ in den Wahlkampf zu ziehen. Selten hat ein Wahlslogan größeres Unheil angerichtet. Mit ihm wurde eine Zeit der Illusionen eingeläutet: soziale Verbesserungen vom Fließband; Reformen, deren Kosten auszurechnen sich niemand die Mühe machte; die stärksten Lohnsteigerungen in den kleinsten Intervallen, die es je gegeben hatte; und noch dazu eine ständige Aufwertung des Schillings — das alles sollte die Wirtschaft verkraften, alles auf einmal.

Noch vor zwei Jahren meinten Kreisky und Androsch einheitlich, es gelte, die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft zu prüfen. Die Probe hat stattgefunden — und die Belastungen für die Wirtschaft waren zu groß. Heute müssen dafür nicht nur die Unternehmer, sondern alle Steuerzahler büßen. Und erst recht der Staat, der vor der Zeit nicht gespart hat, um in der Not etwas zuschießen zu können.

Budgetpolitik ist im wesentlichen eine Politik des Planens, des Ausgleichs und der Prioritätensetzung. Da heute von einem 35-Milliarden-Schilling-Defizit in diesem und von einem 56-Milliarden-Budgetdefizit für das nächste Jahr die Rede ist, sollte man sich in der Regierung doch überlegen, ob man den eigenen Anforderungen in den letzten Jahren gerecht wurde — wenn man schon die eines Teils der Bevölkerung enttäuscht hat.

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