Mindestlohn - © Foto: Pixabay / Peter Stanic

„1,50 Euro finde ich schlichtweg schäbig“

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WIFO-Chef Christoph Badelt im Gespräch über die sozialpolitische Agenda der Bundesregierung, den Wert von Bildung und den Brexit.

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WIFO-Chef Christoph Badelt im Gespräch über die sozialpolitische Agenda der Bundesregierung, den Wert von Bildung und den Brexit.

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Im Rahmen der Denkwerkstatt St. Lambrecht 2019 referierte Christoph Badelt, Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), über die Veränderung der Aktiveinkommen und deren Einfluss auf die Pensionen. In einem Interview mit der Medienakademie #stlambrecht19 äußerte sich Badelt zum Thema Gerechtigkeit, über die aktuelle Steuerreform und erklärte, warum Österreich das Verfehlen der CO2-Ziele bitter bereuen wird.

DIE FURCHE: Die staatlichen Umverteilungsmaßnahmen durch Steuern und Wohlfahrtszahlungen sind mitunter die erfolgreichsten Europas. Sind sie auch gerecht?
Christoph Badelt: Ich glaube, dass die österreichische Einkommensverteilung wesentlich weniger ungleich ist als in den meisten anderen Industriestaaten. Das verdanken wir zu einem großen Teil den Umverteilungsmaßnahmen. Allerdings finden diese Umverteilungen nicht nur durch progressive Steuern statt. Sie werden auch in Form monetärer Sozialleistungen und Sachleistungen erbracht. Dies gilt gerade im Gesundheits-, Bildungswesen und im Straßenbau. Wir haben ein relativ großes Umverteilungsvolumen. Ich glaube, dass man Österreich dafür durchaus loben kann. Das Institut für Wirtschaftsforschung wird in naher Zukunft eine neue Umverteilungsstudie herausbringen, die das Ausmaß der Umverteilung exakt quantifiziert. So viel darf ich verraten: Die Umverteilung ist eher größer geworden.

DIE FURCHE: Ist die Umverteilung aus sozialpolitischer Sicht fair oder sehen Sie Verbesserungspotenzial?
Badelt: Ob die Umverteilung fair ist, ist letztlich eine politische, normative Frage. Als Wissenschaftler kann ich das nicht beantworten. Natürlich ist es so, dass durch die Umverteilung die untersten Einkommensschichten profitieren. Damit wird Armut reduziert. Das wird als gesellschaftlich wünschenswert angesehen.

DIE FURCHE: Wie bewerten Sie die aktuelle Steuerreform?
Badelt: Die Steuerreform muss sowohl gelobt als auch kritisiert werden. Positiv ist das Volumen der Reform. Immerhin handelt es sich um acht Milliarden Euro Entlastung. Davon profitieren vor allem niedrigere Einkommensgruppen. Diese werden etwa durch die Senkung des Einkommensteuertarifs oder die Reduktion von Krankenversicherungsbeiträgen begünstigt. Kritisch sehe ich, dass eine Reihe von notwendigen Systemänderungen nicht vorgenommen wird. Zum Beispiel wäre es angebracht, Richtlinien im Steuersystem zu etablieren, die ein positives ökologisches Verhalten belohnen. Weiters ist das System nach wie vor äußerst kompliziert und undurchsichtig. Obgleich die Regierung wichtige Maßnahmen zur Entlastung der Arbeit gesetzt hat, bleibt die Belastung dennoch auch nach der Reform groß. Da ist noch Handlungsbedarf.

DIE FURCHE: Sie haben einmal öffentlich angemerkt, dass sie die steuerlichen Begünstigungen des 13. und 14. Monatsgehaltes für anachronistisch halten. Warum genau?
Badelt: Die 13. und 14. Monatsgehälter sind in Österreich politische Tabuthemen. Es ist nett, ein 13. oder 14. Monatsgehalt zu bekommen. Doch nach wie vor dient dessen steuerliche Sonderstellung eher höheren statt niedrigeren Einkommensniveaus. Insofern wäre es sinnvoll, an diesem Tabu zu knabbern, um die niedrigeren Einkommensgruppen zu fördern.

DIE FURCHE: Die FPÖ hat einen Stundenlohn für Asylwerber in der Höhe von 1,50 Euro gefordert. Ist das noch menschenwürdig?
Badelt: Das Setzen einer Untergrenze für Einkommen ist eine typische politische Norm. Ich denke, dass eine Orientierung am Richtsatz der Ausgleichszulage der Sozialversicherung eine taugliche Grenze ist. Dieser liegt bei etwa 890 Euro im Monat. Ich fürchte daher, dass politische Maßnahmen der Verschlechterung der Mindestsicherung zu Schwarzarbeit und sozialer Unzufriedenheit führen. Der vorgeschlagene Stundenlohn für Asylwerber ist nicht als Bezahlung zu interpretieren. Vielmehr handelt es sich um eine symbolhafte Aufwandsentschädigung für Arbeit, die der Gemeinschaft dienen soll. Die 1,50 Euro finde ich schlichtweg schäbig.

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