Fairness - Schlüssel für soziale Gerechtigkeit

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Die Christen dieses Landes stehen an der Seite der Armen. Das ist gut so. Aber diese Option hat ohne Leistung und Gewinn in der Welt von Arbeit und Wirtschaft keine Aussicht auf Erfolg. Ein Kommentar zum Sozialwort der Kirchen.

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Die Christen dieses Landes stehen an der Seite der Armen. Das ist gut so. Aber diese Option hat ohne Leistung und Gewinn in der Welt von Arbeit und Wirtschaft keine Aussicht auf Erfolg. Ein Kommentar zum Sozialwort der Kirchen.

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Das gemeinsame Sozialwort der im ökumenischen Rat versammelten christlichen Kirchen macht deutlich, dass die Christen dieses Landes an der Seite der Armen stehen. Das ist gut so. Die bewusst immer auch politisch verstandene "Option für die Armen" ist damit bei der Basis unserer Kirchen angekommen.

Das freut Christdemokraten: Ihr öffentliches und politisches Streiten, dass immer und überall der Mensch als unverletzliche Person im Mittelpunkt zu stehen hat, gewinnt damit an Breite. Das soziale Denken der Kirchen spiegelt sich im Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft. Christdemokraten sind im gesellschaftspolitischen Diskurs - wenn es etwa um die Sicherung der Familien oder um die Verankerung von ethischen Prinzipien wie Nachhaltigkeit und Solidarität geht - gegenüber "zeitgeistigen" linken, rechten oder wirtschaftsliberalen Positionen nicht mehr alleine.

Und trotzdem taucht in den schriftlichen Materialien zum Sozialwort der Kirchen eine unnötige Einseitigkeit auf: Der in der Begründung der Argumente vielfach geäußerte Generalverdacht gegenüber der Politik, dem Markt und der Wirtschaft, den Erfolgreichen und ihren Leistungen, gegenüber Einkommen und Kapital, globalisierter Wirtschaft, Wettbewerb und Flexibilisierung von Regeln der Erwerbsarbeit. Und es kommt ein riskanter Generalverdacht gegenüber allen konkreten Maßnahmen der Sozialreform zum Ausdruck. Warum soll Politik, Leistung, Markt, Kapital et cetera immer gegen Arme sein?

Die schriftliche Ausformung des Sozialwortes der Kirchen darf in diesen Generalverdächtigungen nicht stecken bleiben. Weil die Option für die Armen hat ohne Leistung und Gewinn in der Welt von Arbeit und Wirtschaft keine Aussicht auf Erfolg. Es braucht die Freiheit zur Entfaltung. Ohne Wachstum wächst kein Erwerbseinkommen. Und ohne Kapital, ohne Weltwirtschaft, ohne Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit (= Qualifizierung, Flexibilisierung) gibt es nur noch mehr Arme. Wer Option für die Armen sagt, muss die Chancen auf Erfolg wollen, weil die Erfolgreichen den Armen sonst nicht helfen können.

Neben der Option für die Armen geht es daher um die soziale Balance in Politik, Markt, Wettbewerb, Arbeitswelt et cetera Es geht um einen "sozialen" Markt und um eine "sozial" verstandene Freiheit, um das Buchstabieren einer neuen Grammatik des Sozialen. Niemanden ist gedient, wenn die Erfolgreichen in ihrer Freiheit zum Erfolg gehindert werden, weil der Kampf gegen Armut die qualitativ falschen Regeln setzt.

Moderne - christliche - Sozialpolitik wird immer im Spannungsbogen zwischen

* der notwendigen Existenzsicherung für alle die am Erwerbsleben aus welchen Gründen auch immer nicht teilhaben,

* der Sicherung des Sozialversicherungssystems der großen Mehrheit der Erwerbstätigen und

* der Finanzierung des Sozialstaats durch die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft liegen.

Mitmenschlichkeit und Anspruch auf soziale Gerechtigkeit sind für Christdemokraten dabei ein zentraler Imperativ.

Fairness ist der Schlüsselbegriff: Es geht um Fairness gegenüber den Beitrags- und Steuerzahlern, weil sie von ihrem Arbeits- oder Vermögenseinkommen nicht unbeschränkt Abgaben zur Umverteilung aufbringen können und wollen. Die Steuern- und Abgabenquote - die Messgrösse für die tatsächlich geleistete Umverteilung - ist in Österreich mit rund 45 Prozent am Plafonds.

Und es geht um Fairness gegenüber den Empfängern von Sozial- und Transferleistungen. Fairness berücksichtigt, dass alle Sozialleistungen immer aus Geldern finanziert werden, die konkrete Einzelpersonen durch ihre Leistung, ihr Können, ihre Klugheit und ihre Geschicklichkeit verdient haben.

Hinter Sozialleistungen stehen politische Entscheidungen. Das Bruttoeinkommen eines jeden wird sich immer am wirtschaftlichen Wert der geleisteten Arbeit und an den Bedingungen des Markts orientieren.

Die Entscheidung, wieviel davon in die Finanzierung der Solidarkassen fließt und wieviel zur individuellen Verfügung "netto" übrigbleibt, ist eine gesellschaftspolitische Entscheidung. Das Verhältnis zwischen "Individualeinkommen" und Abgaben für die "soziale Sicherung" bestimmen wir.

Solange also an den verschiedenen Schrauben der Finanzierung und optimalen Verteilung dieses aufwändigen und komplexen Solidarsystems unter dem Gesichtspunkt von Fairness und Solidarität gedreht wird, besteht kein Grund, "Entsolidarisierung" zu schreien.

Daher eine Bitte: Im endgültigen Sozialwort der Kirchen den Generalverdacht gegenüber der Sozialpolitik und den Regeln des Markts und der Wirtschaft gar nicht erst auspacken.

Der Autor ist langjähriger Leiter der politischen Abteilung der Österreichischen Volkspartei.

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