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Digital In Arbeit

Die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg

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Das christliche Sozialdenken sagt ebenso wie die Charta der Vereinten Nationen: Das Recht auf Arbeit darf nicht als einklagbarer Anspruch verstanden werden (siehe Nr. 12/1997).

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Das christliche Sozialdenken sagt ebenso wie die Charta der Vereinten Nationen: Das Recht auf Arbeit darf nicht als einklagbarer Anspruch verstanden werden (siehe Nr. 12/1997).

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Als die Delegierten zu den Vereinten Nationen 1948 die Charta der Menschenrechte beschlossen, wußten sie genau, was hinter ihnen lag: Ein Wahnsinnskrieg mit über 50 Millionen Toten, Konzentrationslager und Diktaturen. Unter den Delegierten waren auch solche, die sich an ein gängiges Wort der dreißiger Jahre erinnerten, als Osterreich über 500.000 Arbeitslose hatte und Deutschland über fünf Millionen: „Ganz gleich wer kommt, wenn er uns Arbeit verschafft, wählen wir ihn!” Die Arbeit kam, aber auch die Katastrophe.

Die Vertreter der UNO wollten mit ihrer Charta ein Grundgesetz der Menschenrechte festschreiben, das eine Katastrophe der dreißiger Jahre und einen dritten Weltkrieg unmöglich machen sollte. Dabei kamen sie trotz aller Meinungsverschiedenheiten zu einer Grundeinsicht: Dieses Grundgesetz muß zweifellos ganz persönliche Rechte garantieren: das Recht auf Leben, die Freiheit des Gewissens, die freie Religionsausübung.

Die gleichen Vertreter der Vereinten Nationen waren aber ebenso davon überzeugt, daß der Weltfriede nicht nur durch persönliche Rechte gesichert werden kann. Es muß auch einen Grundbestand an sozialen und politischen Rechten geben. Weil dieser in der Vergangenheit nicht anerkannt wurde, kam es mit zur Tragödie des Zweiten Weltkrieges. Darum verlangte die Charta, daß den Bürgerinnen und Bürgern die für ihre Würde und freie Entfaltung und Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte gesichert werden (Art. 22). Für den wirtschaftlichen Bereich fügen sie eigens hinzu: das Becht auf Arbeit, auf angemessenen Lohn, auf Freizeit und Bildung (Art. 23/24).

Natürlich wußten auch die Delegierten der Vereinten Nationen, daß sie mit der Festschreibung des Rechtes auf Arbeit, den einzelnen nicht das Recht auf einen einklagbaren Arbeitsplatz garantieren konnten. Sehr eindeutig und eindringlich aber forderten sie, daß durch „innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit” alles getan werde, um die Voraussetzungen zu schaffen, daß die Menschen Arbeit finden können. Es ist bedeutsam, daß die Vereinten Nationen dabei ausdrücklich betonten, daß die Verwirklichung dieses Rechtes von der Würde und freien Entfaltung der Menschen gefordert sei.

Die Würde und Selbstverantwortung des Menschen stehen für die christlichen Kirchen im Mittelpunkt der Begründung des Rechtes auf Arbeit. Sie sehen darin einen persönlichen Auftrag zur Selbstverwirklichung in und durch die Arbeit und ebenso einen Auftrag zur Bewahrung und Vollendung der Schöpfung. Dieser Auftrag ist an jeden gerichtet und kann nicht an ein Kollektiv abgegeben werden.

Eines aber ist in diesem persönlichen Auftrag ebenfalls enthalten: Nicht jede Arbeit muß Erwerbsarbeit im heutigen Sinn sein. '

Das gleiche christliche Sozialdenken führt aber noch eine zweite Begründung an: Eine menschenwürdige Gesellschaft entsteht nicht dadurch, daß die Bürgerinnen und Bürger vom Staat zwangsweise versorgt werden. Eine freie, demokratische Gesellschaft lebt aus der Selbstverantwortung der Menschen. Diese hat aber wesentlich auch eine wirtschaftliche Dimension: die Eigenverantwortung in der Lebenssicherung und Unterhaltsvorsorge. Der Durchschnittsmensch, auch der Großteil der Arbeitslosen, will kein staatliches Almosen. Sie wollen von der Gesellschaft die Zusage, daß sie gebraucht werden. Es geht dem Durchschnittsmenschen nicht nur darum, daß er durch die Erwerbsarbeit seinen Lebensunterhalt sichert, sondern, daß er durch die Ar beit ein Stück Selbstverwirklichung und gesellschaftliche Anerkennung findet.

Darum spricht das christliche Sozialdenken von einem Grundrecht auf Arbeit. Es ist bedeutsam, daß die verschiedenen christlichen Kirchen in dieser Forderung einer Meinung sind. So sagt das im Februar 1997 veröffentlichte Sozialwort der evangelischen und katholischen Kirche Deutschlands, daß in einer Gesellschaft, in der die Erwerbsarbeit für die meisten Menschen den wichtigsten Zugang zur Lebensvorsorge und zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben darstellt, „der Anspruch der Menschen auf Iebens-, Entfaltungs- und Beteiligungschancen zu einem Menschenrecht auf Arbeit” wird (151).

Aber so wie die Vereinten Nationen sagt auch das christliche Sozialdenken: Dieses Anrecht auf Erwerbsarbeit darf nicht als individuell einklagbarer Anspruch verstanden werden. Wohl aber verpflichtet er die Träger der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Tarif- und Sozialpolitik, alles zu tun, um Voraussetzungen zu schaffen, daß das Grundrecht auf Arbeit einlösbar wird. Es geht dem christlichen Sozialdenken in der Bejahung des Rechtes auf Arbeit im letzten um die Würde des Menschen und um die Sicherung einer selbstverantwortlichen demokratischen Gesellschaft.

Ist das alles Utopie?

Natürlich kann das Recht auf Arbeit utopisch verstanden werden, etwa im Sinn eines einklagbaren Rechtsanspruches. Es gibt noch andere Utopisten, zum Beispiel solche, die glauben, daß trotz des rasanten technischen Fortschrittes und der Globalisierung der Märkte es auch in Zukunft möglich sein muß, allen Arbeitswilligen eine Vollzeit-Arbeit im bisherigen Sinn zu garantieren.

Niemand gibt sich einer Täuschung hin, daß die Arbeitsgesellschaft vor tiefgreifenden Veränderungen steht. Experten sprechen davon, daß in Zukunft der Anteil kontinuierlicher Lebensarbeitszeiten durch eine Vielfalt von Lebensstilen abgelöst werden wird.

Man spricht von Phasen der ganztägigen Arbeit, von Phasen der Teil-zeitarbeit, von der Haus- und Familienarbeit, Zeiten der Umschulung und Bildung und so weiter. Und vor allem: Daß der Arbeitsbegriff nicht mehr auf die Erwerbsarbeit eingeengt bleiben darf, daß es Übergänge von der Arbeitsgesellschaft zur Tätigkeitsgesellschaft geben wird, und daß gerade dadurch die Arbeitsgesellschaft humaner und zukunftsfähiger werden wird. Damit hängt die Frage eng zusammen, wie für Tätigkeiten außerhalb der bisherigen Erwerbsarbeit ein gesicherter Lebensunterhalt gewährleistet werden kann. Dazu kommt, daß in Zukunft den Frauen ein gerechterer Anteil an der Erwerbsarbeit zugestanden werden muß.

Das alles sind nur wenige Stich-worte aus dem unbegrenzten Feld der Neubesinnung und Neugestaltung der Arbeitsgesellschaft von morgen. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, daß Politiker, politische Parteien, Sozialpartner, Bürgerbewegungen und Kirchen sich gemeinsam bemühen, die Arbeitsgesellschaft von morgen menschengerecht und gesellschaftsgerecht zu gestalten. Dazu braucht es dringend Bewußtseinsänderungen und organisatorische Maßnahmen. Zweifellos wird dabei auch das Grundrecht auf Arbeit in seiner konkreten Ausgestaltung einen massiven Wandel erfahren. Nicht nur das Eigentum, auch die Arbeit ist sozial-pflichtig.

Eines aber sollte außer Diskussion stehen: Diese Lebensfrage von morgen darf nicht dem Mechanismus des Marktes, aber ebensowenig der Arbeitsdiktatur des Staates ausgeliefert werden. Beides gab es bereits und beides hat zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen geführt. Papst Johannes Paul II. hat nicht unrecht, wenn er sagt, daß die Lösung der Arbeitsfrage den Schlüssel zur Lösung der Gesellschaftsfrage von morgen darstellt.

Der Autor war Professor für Sozialethik an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Seit seiner Emeritierung ist der Jesuit Mitarbeiter der Katholischen Sozialakademie Österreichs.

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