6864917-1977_51_05.jpg
Digital In Arbeit

Arbeitsrhythmus: Wo hleiht die Experimentierfireude?

Werbung
Werbung
Werbung

Der Witz ist alt, aber gut: Auf einer Gewerkschafterversammlung verkündet stolz ein Redner: „Kollegen, bald werden wir durchgesetzt haben, daß nur mehr am Mittwoch gearbeitet wird!“ Donnernder Applaus. Dann erhebt sich im Hintergrund eine Stimme: „Jeden Mittwoch?“

Daß es „am Mittwoch“ und nicht „an einem Tag der Woche“ heißt, ist bezeichnend. Denn alle wollen gleichzeitig arbeiten und gleichzeitig in die Freizeit aufbrechen. Die Fünftagewoche ist in diesem Sinn nicht als Woche mit zwei freien Tagen für den einzelnen Arbeitnehmer, sondern als Woche mit freiem Samstag und freiem Sonntag zu verstehen. Jüngste Beispiele dieser Mentalität: die Einstellung der Briefpostzustellung an Seimstagen und die geplante Fünftagewoche an den Pflichtschulen. Muß aber jede Arbeitszeitverkürzung für die meisten Berufe und Branchen wirklich nur bedeuten, daß eben alle Arbeitnehmer nun später kommen oder früher gehen, daß der Betrieb folglich länger geschlossen, länger stillgelegt ist?

Am freien Sonntag für möglichst jeden will ohnehin fast niemand rütteln, die Diskussion über ein „gleitendes Wochenende“ hat schnell wieder nachgelassen. Aber allen ist klar, daß verschiedene Berufsgruppen - Polizisten, Feuerwehrleute, Krankenpersonal -, will man nicht katastrophale Folgen riskieren, auch dann zur Verfügung stehen müssen, wenn die mei-

sten anderen nach dem derzeit üblichen Arbeitsrhythmus Freizeit haben. Außerdem erwartet jeder, daß bestimmte Dienstleistungsbetriebe in seiner Freizeit arbeiten - etwa Gastgewerbe und öffentliche Verkehrsmittel -, daß vor allem sämtliche im Dienst der Unterhaltung und Freizeitgestaltung stehenden Einrichtungen geöffnet sind - Theater, Kinos, Volksbil- dungsstätten, Sporthallen, Kegelbahnen, Schwimmbäder und dergleichen mehr.

Die Freizeit des Kinobesuchers ist demnach die Arbeitszeit des Billeteurs, die Freizeit des Schwimmers die Arbeitszeit des Bademeisters. Das ist längst akzeptiert. Schwierigkeiten gibt es, wenn die Forderung erhoben wird, die Öffnungszeiten von Geschäften und Kaufhäusern, aber auch von Ämtern und Behörden sollten ein wenig mehr der Freizeit der meisten Konsumenten und Staatsbürger angepaßt sein. Die gleitende Arbeitszeit läßt sich offenbar leichter realisieren als eine Staffelung des Dienstes im Interesse der Kunden.

Vor die Verkaufsmöglichkeit von Handelswaren außerhalb der Zeit von 7.30 bis 18 Uhr hat man in Österreich das Ladenschlußgesetz gesetzt, das zwar einige Ausnahmen und geringfügige Änderungen durch den jeweiligen Landeshauptmann zuläßt, im wesentlichen aber strenger als in den anderen westeuropäischen Ländern ist. Gegen eine Änderung der Gesetzeslage sträuben sich besonders die Handelsangestellten, die mehr Arbeit zu ungünstigerer Zeit befürchten, und die kleinen Händler, die dann den endgültigen Triumph der Diskonter und Supermärkte erwarten.

Dkfm. Bernhard Goldmann, Chef der Firma „Herlango“, der bereits ein Volksbegehren zur Änderung des Ladenschlußgesetzes eingeleitet, aber wegen mangelnder Unterstützung dieses Unternehmen vorzeitig abgebrochen hat, glaubt, daß nicht nur die Einkaufszentren profitieren würden, sollte die flexible Lösung, die er sich vorstellt, verwirklicht werden. Statt derzeit etwa 60 sollten die Geschäfte nur 55 Stunden offenhalten, diese Zeit aber nach Belieben auf die Tage außer Sonntag verteilen dürfen. Erstens könnte der Gesetzestext dadurch wesentlich kürzer sein, zweitens käme es der Volkswirtschaft zugute, die e

in Mode kommenden Wochenendflüge gar nicht nützen kann, denn die nach Österreich kommenden Fremden stehen am Freitagabend und ab Samstag mittag vor geschlossenen Geschäftsportalen. Goldmann beurteilt seine Vorstellungen sogar bei bestehender Gesetzeslage als weitgehend realisierbar, wenn die Landeshauptleute von allen ihren Rechten Gebrauch machten. Dazu gibt es aber nur in Vorarlberg Ansätze, wo statt am Samstag am Donnerstag nachmittags geschlossen ist.

Eine flexiblere Lösung bei den Arbeitszeiten müßte nicht unbedingt auf Kosten der Familie gehen - oder gibt es bei Polizisten, Krankenschwestern und Kellnern nur kaputte Ehen und Familien? Was sollen die Journalisten sagen, deren Arbeitszeit oft ganz unregelmäßig ist, weü sie sich nicht aussuchen können, wann ein aktuelles Ereignis, über das sie berichten müssen, eintritt? Sicher, ein Volk von Schichtarbeitern wäre nicht unbedingt wünschenswert, für Arbeitnehmer mit Familie dürfte es unzumutbar sein, mehrmals am Nachmittag und Abend arbeiten zu müssen. Aber haben nicht • anderseits noch nicht schulpflichtige Kinder am Vormittag viel mehr von den Eltern, während sie heute meistens gerade dann ins Bett müssen, wenn der Vater - oder auch die außerhäuslich erwerbstätige Mutter - nach Hause kommt? Für Eltern schulpflichtiger Kinder hingegen dürfte die Arbeitszeit vom Morgen bis zum frühen Nachmittag am besten sein, ist doch aus pädagogischen Gründen ein Nachmittagsunterricht (die Kinder sind dabei weniger aufnahmefähig) kaum zu befürworten. Famüien- freundliche Lösungen wären von Fall zu Fall zu suchen.

Eine andere „heilige Kuh“, "die für viele - etwa die Lehrer! - gar keine ist, sollte auch einmal sachlich angegangen werden. Kann nicht der freie Wochentag des Arbeitnehmers auf einen anderen Tag als den Samstag fallen? Ist nicht im Falle größerer Flexibilität bei Arbeitsschluß und freiem Wochentag mit einer Entlastung der Verkehrsspitze zu rechnen, vielleicht sogar mit weniger Unfällen an den Wochenenden, an denen derzeit ein Autoausflug ohnehin mehr Streß als Erholung bringen dürfte? Wäre es nicht erfreulich, würden die Geschäftsstraßen nicht schon am frühen Abend zu Geisterstraßen? Was ergibt sich für die Zahl der Arbeitsplätze?

Diese vielen Fragen, denen man noch unzählige hinzufügen könnte, lassen sich nicht ohne weiteres auf Grund ausländischer Erfahrungen in Teilbereichen beantworten. Dazu bedarf es einer sorgfältigen praktischen Erprobung. Die durchaus denkbaren positiven Effekte lassen den Arbeitsrhythmus zumindest einiger Experimente wert erscheinen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung