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MODELL VW: Ein Schrittmacher für die Zukunft?

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Der Volkswagen-Konzern ließ vor einigen Monaten mit Verkürzung der Arbeitszeit aufhorchen. Ein zumutbares und zukunftsweisendes Modell?

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Der Volkswagen-Konzern ließ vor einigen Monaten mit Verkürzung der Arbeitszeit aufhorchen. Ein zumutbares und zukunftsweisendes Modell?

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Wenn wir auch in Zukunft mit hohen Arbeitslosenquoten rechnen müssen, ist ein Umdenken in der Beschäftigungspolitik unerläßlich. Der Volkswagen-Konzern glaubt, eine brauchbare Lösung gefunden zu haben:

Das Wolfsburger Autounterneh-men ließ vor etwa einem halben Jahr mit der Einführung der Vier-Tage-Woche aufhorchen. Dies vor allem deshalb, weil die neue Bege-lung, obwohl zunächst auf zwei Jahre befristet, offenbar als ein dauerhaftes, zukunftsweisendes Modell angesehen wird. Auf den ersten Blick haben sich da vor allem die Gewerkschaften mit ihrer alten Forderung nach der 35-Stunden-Woche (deren formelle Vorziehung bei VW auf Anfang dieses Jahres vereinbart wurde) durchgesetzt.

Doch so einfach ist das nicht. Denn die Verkürzung der Arbeitszeit von 35 (früher 36) auf 28,8 Stunden in der Woche geht Hand in Hand mit einer gleichzeitigen Lohnsenkung auf 80 Prozent. Damit die Mitarbeiter dennoch mit dem gewohnten Monatsbezug nach Hause gehen können, werden die Sonderzahlungen (die im wesentlichen unserem Urlaubs- und Weihnachtsgeld entsprechen) auf die zwölf Monatsbezüge aufgeteilt. Das heißt praktisch: Jeder bekommt bei der Vier-Tage-Woche, bei etwas über sieben Stunden Tagesarbeit, am Monatsende soviel wie früher, aber keine Sonderzahlung. Dies und die Begleitmaßnahmen des VW-Modells schildert ausführlich der Arbeitsdirektor der Volkswagen-AG, Peter Hartz, in einem jetzt erschienenen Buch.

Warum haben die Arbeitnehmer des Konzerns dieser Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich zugestimmt?

Angesichts der weiterhin starken Konkurrenz in der Autoindustrie sind höhere Produktivität und spürbar geringere Personalkosten unvermeidlich geworden. Die Alternative zur jetzigen Regelung wäre der Abbau von weiteren 30.000 Mitarbeitern gewesen, nachdem schon früher der Personalstand von 130.000 auf derzeit 100.000 verringert werden mußte. Unter einem solchen massiven Abbau hätten auch die Zuliefe vvirtscnait meaersacnsens (wo sicn allein vier VW-Werke befinden) direkt oder indirekt gelitten. Und der harte Kampf um die Automobil-markte wird noch anhalten. In einer kürzlich von „Le Monde" publizierten Analyse wird hervorgehoben, daß die großen Autonationen USA und Japan die Forschung und Zusammenarbeit ihrer Autoindustrie großzügig fördern, wovon man in Europa noch weit entfernt ist.

Wenn Händler und andere Geschäftspartner ihre VW-Kontaktstelle am Freitag nicht erreichen, könnte das den Absatz von VW schmälern. Deshalb gibt es ein dichtes Netz von Detailregelungen. Manche Mitarbeiter werben von Montag bis Donnerstag, andere von Dienstag bis Freitag tätig sein. Wo auch das nicht geht, sind vier Wochen Arbeit und dann eine Woche Freizeit vorgesehen. Und weil im Konkurrenzkampf die tech nische und organisatorische Weiter entwicklung der Produktion ent mennang mit aer ArDeitszeitverKur-zung auch eine ständige berufliche Umschulung und Weiterbildung vorgesehen, und zwar im Rahmen einer eigenen, auch für fremde Firmen zugänglichen Gesellschaft.

Dafür in Frage kommende Beschäftige können beispielsweise drei

Monate im Werk tätig sein, dann drei Monate „Blockzeit" zur Umschulung oder Weiterbildung haben und die restlichen sechs Monate wieder am Arbeitsplatz sein.

Dies alles, im Rahmen vieler, genau durchdachter Einzelheiten, zeugt von starker Flexibilität, von der Umsetzung jener Forderung, die auch in Osterreich von der Industrie mit Nachdruck erhoben wird, wenn auch nicht in gleichen Formen. Bei uns denkt man zum Beispiel an eine festgelegte Jahresarbeitszeit, die aber in den einzelnen Branchen auf Perioden der Saisonei-iitvian unrl dann A&r crVuxraf Vlpn v erKauismonate nucKsicnt nimmt.

Flexibilität ist auch der Grundgedanke eines weiteren Bausteins im VW-Modell: der „Stafette". Diese sieht eine stufenweise ansteigende Tagesarbeitszeit für soeben Ausgebildete und umgekehrt eine absinkende Arbeitszeit für ältere Werksangehörige vor. Wer mit der Ausbildung fertig ist, beginnt mit 20 Wochenstunden (bei entsprechend geringem Lohn) und erreicht nach dreieinhalb Jahren die Norm von 28,8 Stunden. Das erscheint zumutbar für junge Leute und soll es auch möglich machen, alle Lehrlinge im Betrieb zu halten, während nach dem alten Muster manche nach der Lehrzeit woanders einen Posten suchen mußten. Umgekehrt sinkt die Arbeitszeit ab dem 56. Lebensjahr in gleicher Weise bis auf 20 Wochenstunden in den letzten drei Arbeitsjahren ab, bei Eintritt in die Pension mit 63 Jahren.

Wie notwendig eine flexiblere Einstellung in der Beschäftigung vor allem älterer Menschen geworden ist, hat lit-iriorpnc hpi nnc Has Wirtschaftsforum der Führungskräfte (WdF) aufgezeigt, und zwar am Problem von Managern über 50 Jahre, die ihren Posten verlieren und wenig Aussicht haben, dann wieder eine vergleichbare Stellung zu finden. Lösungen lassen sich, so das WdF, nur im Zusammenwirken von Unternehmen und den älteren Mitarbeitern finden: der gleitende Übergang in die Pension; die Auslagerung von Dienstleistungen, die von den Betroffenen künftig von außen, in selbständiger Funktion, wahrgenommen werden (die Fachleute sprechen von „outsourcing"); die Hilfestellung der Firma bei der Suche nach einer neuen Betätigung, was auch mit unterstützter Umschulung verbunden sein kann.

Das großangelegte, mit all seinen Folgen, soweit möglich, durchdachte VW-Modell geht von zwei grundlegenden Voraussetzungen aus: Erstens, daß auch in Zukunft mit weniger Beschäftigungsmöglichkeiten (jedenfalls in der Autoindustrie) gerechnet werden muß. Daher wird der Übergang in die Pension mit 63 Jahren festgelegt, was den Erwartungen über das Lebensalter und die Arbeitsfähigkeiten der Menschen widerspricht und auch die wachsende Belastung der Sozialversicherung durch immer längere Pensionszahlungen festschreibt (auch wenn VW versucht, dieses Problem durch Betriebspensionen zu mildern).

Zum zweiten, daß die Arbeitnehmer bereit sind, Einkommenskürzungen lieber hinzunehmen als Arbeitslosigkeit. Was zumindest in Österreich nur Sinn hätte, wenn die großzügige Inanspruchnahme der Arbeitslosenunterstützung (und ihre Ergänzung durch Neben- oder Schwarzarbeit) entschlossen abgebaut würde. In mehreren dänischen Gemeinden, das sei am Rande erwähnt, sind Arbeitslose verpflichtet, zumutbare Leistungen kommunaler Art zu verrichten, andernfalls entfällt der Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Die Frage der Zumutbarkeit spielt gerade beim VW-Modell eine entscheidende Rolle. Volkswagen mutet den Menschen einen hohen Beitrag zur Kosteneinsparung zu, wird eingeräumt. „Es geht darum, sich Neues, anderes, Unbequemes zuzumuten"; aber der Blick auf die Menschen an ihren Arbeitsplätzen bleibe gewahrt. Womit der neue Denkansatz unterstrichen ist, so sehr man das Modell im einzelnen bemängeln oder nicht für allgemein anwendbar halten mag.

JEDER ARBEITSPLATZ HAT EIN GESICHT. DIE VOLKSWAGEN-LÖSUNG.

Fort Peter Hartz. Campus-Verlag, Frankfurt, New York 1994. 195 Seiten, öS 233 -

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