Zwischen Arbeitskollaps und Urlaubsfreuden

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Mehr Urlaub wünschen sich viele Angestellte, mehr Produktivität hingegen die Betriebe. Doch wie hat sich das Verhältnis von Arbeit und Freizeit verändert?

Ein rotes Tuch für die Wirtschaft, aber Wasser auf den Mühlen der Gewerkschaften: Die umstrittene sechste Urlaubswoche. Im Frühling hatte Arbeitsminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) eine Debatte um die Ausweitung der Urlaubszeit unabhängig von der Betriebszugehörigkeit losgetreten. Denn derzeit gibt es sechs Urlaubswochen erst nach 25 Jahren im selben Betrieb. "Ältere Arbeitnehmer sind erholungsbedürftiger als jüngere. Insofern würde eine sechste Urlaubswoche für sie durchaus Sinn machen“, sagt Erholungsforscher Gerhard Blasche. Doch weil immer weniger Menschen 25 Jahre für dasselbe Unternehmen arbeiten, fällt dieses besondere Zuckerl für treue Mitarbeiter zunehmend weg.

70 Prozent der Österreicher befürworten sogar einen generellen Jahresurlaub von sechs Wochen für alle Mitarbeiter, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitut IFES ergab. Bereits jetzt liegt Österreich bei den Urlaubs- und Feiertagen im europaweiten Spitzenfeld: 13 gesetzliche Feiertage und 25 Urlaubstage beanspruchen die Arbeitnehmer im Schnitt. Die Arbeitseinstellung der Österreicher hält Blasche dennoch für gut: "Studien belegen, dass wir im EU-Vergleich tendenziell eher viel arbeiten.“ Bei der Produktivität liegt Österreich europaweit immerhin auf Platz vier.

Abwechslung vom Alltag

Die derzeit geltenden Urlaubsregelungen würden vor allem weiblichen Beschäftigten in Branchen mit kurzer Verweildauer schaden, kritisiert Wolfgang Katzian, Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA). "Mehr Urlaub würde zu höherer Arbeitszufriedenheit, mehr Gesundheit und dadurch weniger Arbeitsausfällen führen und so die zusätzlichen Kosten für Unternehmen ausgleichen“, meint Katzian. Der Industriellenvereinigung (IV) greift ein Zurückführen von Gesundheitsproblemen auf die Arbeitswelt zu kurz. Gerade psychisch bedingte Gesundheitsprobleme hätten vielschichtige Ursachen, die sehr oft im privaten Umfeld liegen. "Grundsätzlich erfüllt Arbeit eine positive und sinnstiftende Funktion für die psychische Gesundheit“, so IV-Sprecherin Maria-Anna Helmy.

Tatsächlich wird der Erholungseffekt durch Urlaub gerne überschätzt: "Zur Erholung ist ein Urlaub gut, eine langfristige Veränderung der Arbeitsbedingungen aber besser“, weiß Blasche. Erholungsmaßnahmen wie Arbeitspausen seien sinnvoller als ein dreiwöchiger Urlaub nach einer halbjährigen 60-Stundenwoche.

Vor allem durch Spaß und Abwechslung entsteht eine Ablenkung von Arbeit und Alltag - ein Schlüssel zur Erholung. Doch immer mehr Menschen sind auch in der Freizeit oder im Urlaub erreichbar. Laut IFES-Studie wurden bereits die Hälfte der Arbeitnehmer während des Urlaubs vom Arbeitgeber kontaktiert. Ein Drittel hat im Urlaub schon Dinge für sein Unternehmen erledigt. Das liege nicht nur an den steigenden Ansprüchen der Arbeitgeber: "Die Menschen identifizieren sich heute anscheinend stärker mit ihrer Arbeit. Sie beziehen daraus ein Statusgefühl, auf das sie auch im Urlaub nicht verzichten möchten“, meint Erholungsforscher Blasche.

Ohnehin genug Freizeit haben Österreichs Arbeitnehmer in den Augen der Wirtschaftskammer (WKO): "Wir verbringen im Laufe unseres Lebens mehr Zeit mit Fernsehen als mit beruflicher Arbeit“, rechnet Rolf Gleissner von der Abteilung für Sozialpolitik der Wirtschaftskammer vor: "Wir sehen 80.000 Stunden fern, während wir aber nur auf etwa 68.000 Arbeitsstunden kommen.“

Die strittige "Freizeitgesellschaft“

Die Industriellenvereinigung ist nicht nur gegen die sechste Urlaubswoche. Sie fordert auch eine Verlegung der Donnerstags-Feiertage auf den Freitag, um Fenstertage zu verhindern. "Wir sind eine Freizeitgesellschaft“, kritisiert Generalsekretär Christoph Neumayer, und meint, dass "Radiomoderatoren das Wochenende praktisch schon am Mittwoch ausrufen“.

Den Begriff der "Freizeitgesellschaft“ hält Peter Zellman, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT), für irreführend: "Es sind dieselben Berufsgruppen, die von Montag bis Freitag den Konsum fördern und am Sonntag den Werteverfall der Konsum- und Freizeitgesellschaft verteufeln“. Das Ausrufen der "Freizeitgesellschaft“ sei nicht repräsentativ für den Lebensstil der mehrheitlichen Bevölkerung: "Ein hoher Stellenwert von Freizeit bedeutet keinesfalls, dass wir in einer leistungsverweigernden Gaudi-Gesellschaft leben. Menschen machen gerne eine sinnvolle Arbeit für einen gerechten Lohn“, sagt Zellmann.

Das jüngste Beispiel dafür liefert die Schweiz: Die Mehrheit der Eidgenossen hat sich 2012 in einem Referendum gegen eine Erhöhung des Mindesturlaubs von vier auf sechs Wochen entschieden. Sind die Schweizer fleißiger als die Österreicher? "Nein, sie können sich ihre Arbeit und Freizeit viel souveräner einteilen, genauso wie Selbstständige: Sie arbeiten zwar sehr viel, aber sind sehr selbstbestimmt. Wegen ihrer großen Freiheit brauchen die Schweizer keine fünfte oder sechste Urlaubswoche“, ist Zellmann überzeugt.

Der Arbeitskodex der Amerikaner

In den USA erhalten Arbeitnehmer im Schnitt nur zwei bis drei Wochen Urlaub pro Jahr. "Dort werden gute Lebensqualität und wirtschaftliche Erfordernisse nicht als so starke Gegensätze erlebt wie hierzulande“, erklärt Zellmann. Erheblich größere Gesundheitsprobleme sind bei den Amerikanern trotz vergleichsweise wenig Urlaub nicht zu beobachten.

Besonders zufrieden mit der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sind laut Eurostat-Studie die Skandinavier. "Sie können wie die Schweizer sehr selbstbestimmt über ihre Zeit verfügen“, weiß Zellmann. Auch den Österreichern sei die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit einer Zustimmung von 95 Prozent sehr wichtig. "Gerade in der klein- und mittelständischen Wirtschaft sollten individuelle Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern möglich sein“, meint Zellman.

Parameter wie das Bruttoinlandsprodukt seien nicht mehr aussagekräftig, um die Arbeitskraft und den Wohlstand einer Gesellschaft im 21. Jahrhundert zu messen. Auch Leistungen außerhalb des klassischen Arbeitsbegriffes seien anzurechnen: "Etwa der Zivildienst oder die Arbeit der vielen ehrenamtlichen Helfer. Die Gesellschaft ist abhängig von ihren Leistungen in der Freizeit.“

Immerhin nimmt die Freizeit 53 Prozent unserer Lebenszeit ein. Weitere 33 Prozent verbringen wir schlafend - und nur 14 Prozent arbeitend und lernend. "Bisher hat sich in der Politik alles nur um die 14 Prozent Arbeit gedreht, als läge nicht auch in den 53 Prozent Freizeit eine produktive Chance“, kritisiert Zellmann.

Was die Arbeit den Menschen gibt - außer Geld und Sicherheit? "Den halben Lebenssinn“, meint der Freizeitforscher. Immer, wenn Menschen ihre Arbeit gut machen und dafür Anerkennung erhalten, erleben sie Arbeit als sinnstiftend. "Vor allem auf Dienstleistungsberufe trifft das zu - mit einer akademischen Ausbildung hat das nicht unbedingt zu tun.“ Der Übergang zwischen Arbeit und Freizeit ist heute fließend, der klassische Arbeitsbegriff längst passé. Nicht mehr "leben, um zu arbeiten“, sondern "auch und gerne arbeiten, um zu leben“, lautet das Credo.

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