Erholung ist nur ein kurzzeitiger Effekt

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Der Tourismus ist älter als die wissenschaftliche Befassung mit dem Phänomen Urlaub. Die empirisch basierten Aussagen über Freizeit sind auch solche über die Arbeitszeit.

Ich brauch’ mal Urlaub.“ Wer mit diesen Satz nichts anfangen kann, gehört einer Minderheit an. Für die meisten Menschen dürften kurzzeitige Auszeiten von Arbeit und Alltag zu den Höhepunkten des Jahres zählen. In den europäischen Industriestaaten verreisen zwischen zwei Drittel und drei Viertel der Bevölkerung mindestens einmal jährlich. Erstaunlicherweise beginnt die Wissenschaft erst in den letzten zehn bis 15 Jahren, Urlaub nicht nur als arbeitsrechtlich gewährtes Beiwerk zum Broterwerb zu betrachten, sondern um seiner selbst willen zu erforschen.

"Nach Weihnachten ist Urlaub die emotional zweitwichtigste Zeit im Jahr“, sagt Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung (ift) in Wien. Das hat auch die Reiseindustrie erkannt und entwickelt laufend "Trends“ der Urlaubsgestaltung. "Als Wissenschaftler interessieren uns die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen, nicht die von Werbung und Tourismusmarketing als solche vorgegebenen“, betont Zellmann kritisch. Das ift veröffentlicht seit 17 Jahren eine rückblickende Analyse des heimischen Reiseverhaltens. Demnach verreist ein Viertel der Österreicher länger als zwei Wochen, ein weiteres Viertel zwischen fünf und 13 Tagen und zehn Prozent machen einen Kurzurlaub von maximal vier Tagen. Der Rest bleibt zu Hause. Seit 1995 ist die durchschnittliche Reisedauer von 13,05 auf 10,9 Tage gesunken. Bei den Reisezielen dominiert mit 31 Prozent das Inland. Vor allem Frauen, ältere Menschen und solche mit niedrigem Einkommen bleiben bevorzugt in Österreich. Beliebte Auslandsurlaube führen nach Italien, Kroatien, Spanien, Griechenland und die Türkei. Nur 13 Prozent der Urlauber verlassen Europa.

Urlaub vermindert körperliche Beschwerden

Neben der empirischen Sozialforschung interessiert sich seit einigen Jahren auch die Psychologie verstärkt für Urlaub als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Ihr geht es naturgemäß primär um die individuelle Erlebnisqualität des Urlaubs und den Zusammenhang mit Glückgefühl, Zufriedenheit und Erholung. Bereits im Jahr 2000 konnten amerikanische Mediziner nachweisen, dass regelmäßige Urlaube geringfügig das Risiko senken, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben.

"Es ist in der Forschung mittlerweile etablierte Meinung, dass Urlaub Erholung bewirkt und körperliche Beschwerden vermindert“, sagt Urlaubsforscher Gerhard Blasche vom Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien. "Der Haken dabei ist, dass Erholungseffekte meist nicht länger als zwei bis drei Wochen anhalten.“ So hat beispielsweise die Psychologin Jessica de Bloom von der Universität Nimwegen die Daten von 96 holländischen Arbeitern ausgewertet, die zwei Wochen vor ihrem Winterurlaub, während des Urlaubs und vier Wochen lang danach wiederholt ihre Gesundheit und allgemeine Zufriedenheit anhand mehrerer Indikatoren bewerten mussten. "Die positiven Urlaubseffekte waren innerhalb einer Woche nach Wiederaufnahme der Arbeit verschwunden“, schreibt de Bloom.

Der niederländische Wissenschaftler Jeroen Nawijn von der Erasmus Universität in Rotterdam hat die Berichte von 3650 Personen analysiert, die zwei Jahre lang alle drei Wochen ihre Reiseaktivitäten dokumentiert haben. Am Ende jedes Jahres mussten sie außerdem ihren Glückszustand bewerten. Nawijn kommt zu dem Ergebnis, dass Urlaube zwar zu einer geringfügige Erhöhung des individuellen Glücksgefühls führen. Dauer und Häufigkeit der Urlaube haben aber keinen Einfluss auf die Intensität dieses Gefühls. Das trifft überraschenderweise auch auf jene Personen zu, in deren Leben Urlaub eine besonders wichtige Rolle spielt. Auch Nawijn fand keinen Hinweis darauf, dass Urlauber nach ihrer Rückkehr glücklicher sind als Vergleichspersonen die keinen Urlaub gemacht hatten. Lediglich kurz vor der Abreise steigt der Glückspegel kurzfristig an, was sich wohl durch Vorfreude erklären lässt. Folgt daraus, dass unser Bild vom Urlaub als Quell frischer Kräfte und Motivation nur ein Mythos ist? "Es liegen noch zu wenige Daten vor, als dass der Zusammenhang zwischen konkreter Urlaubsgestaltung und Erholungseffekt eindeutig geklärt wäre“, meint Gerhard Blasche. So hat er in einer Studie über eine Gruppe auf dreiwöchigem Wanderurlaub festgestellt, dass die positiven Auswirkungen noch sieben Wochen später nachweisbar waren. "Es ist nicht klar, woran das liegt“, sagt Blasche. "Ich vermute aber, dass die spezielle Tätigkeit des Wanderns eine Rolle spielt.“

Generell benötigt die vergleichsweise junge Disziplin der Urlaubsforschung noch viel mehr Datenmaterial, um praktische Ratschläge zur Urlaubsgestaltung geben zu können. Besonders hilfreich wären detaillierte Untersuchungen von Menschen während des Urlaubs. Die sind nicht leicht zu beschaffen, denn wer möchte schon seine wertvolle Freizeit mit Interviews oder dem Ausfüllen von Fragebögen verbringen? Derweil können die bekannten Befunde aus der Stressforschung als hilfreiche Anhaltspunkte dienen.

Positive Wirkung freier Zeit

Demnach wirken sich körperliche Betätigung, der Aufenthalt in freier Natur und soziale Aktivität stimmungserhellend und stresssenkend aus. Auf eine simple Formel gebracht, gehört zum optimalen Urlaub, genug Zeit für sich und seine Bedürfnisse zu haben. Welche das sind, ist individuell unterschiedlich. "Generell sind häufige, kurze Urlaube besser als wenige, lange“, erklärt Blasche. "Wenn es nur um die Erholung ginge, würden längere Wochenenden für die meisten Menschen ausreichen.“ Als soziales Phänomen erfüllt Urlaub allerdings verschiedene Funktionen. Man urlaubt auch, um sich weiterzubilden, um Abenteuer zu erleben, um sich kontemplativ mit sich selbst zu beschäftigen. Für manche Menschen ist Urlaub sogar eine willkommene Gelegenheit, ihren sozialen Status herauszustreichen. "Freizeit und Urlaub sind wichtig für die Selbstfindung der Menschen“, betont Peter Zellmann. "Sie prägen uns viel stärker als man im Industriezeitalter bisher angenommen hat.“ Er prognostiziert eine "Emanzipation der Freizeit von der Arbeit“, die dazu führt, dass künftig beide als gleich wichtige Aspekte des Lebens wahrgenommen werden. Diese ganzheitliche Betrachtungsweise wird den Blick darauf frei geben, was wichtig für unsere Lebensqualität ist.

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