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Digital In Arbeit

Effizient vernetzt,aber beziehungsarm

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Welrweite Kontakte in Sekundenschnelle: Möglich dank der Technik. In dieser Fülle gehen zwischenmenschliche Beziehungen verloren.

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Welrweite Kontakte in Sekundenschnelle: Möglich dank der Technik. In dieser Fülle gehen zwischenmenschliche Beziehungen verloren.

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Alltagserlebnisse: Im Beisel, nebenan am Tisch zwei Frauen, gut geklei-' det. Sie unterhalten sich -jede per Handy mit jemandem anderen. Nebenbei hastiges Essen. Eine persönliche Begegnung muß Kontakten mit Nichtanwesenden Platz machen.

Anruf bei einem Mitarbeiter. Es meldet sich das Tonband. Ich fasse meine Wünsche kurz, versuche nicht zu stottern. Zwei Stunden später bekomme ich den erbetenen Text per Fax: Erfolgreiche Kommunikation ganz ohne Begegnung.

Surfen im „Internet": Ein Gedicht aus Bordeaux, Neo-Nazi-Parolen aus den USA, Selbstporträt eines 23jähri-gen Australiers ... Weltweite Kontakte, Informationsaustausch von Kontinent zu Kontinent ohne Beziehung der Beteiligten.

Kommunikation mit immer weniger persönlicher Beziehung: Ein Phänomen unserer Zeit. Da wächst die Zahl unserer Kontakte zu anderen: durch mehr Ortsveränderungen, die internationale Vernetzung der Wirtschaft, durch die Telekommunikation, die beliebige Distanzen in Bruchteilen von Sekunden überbrückt. All das führt aber dazu, daß unser Gegenüber immer weniger als Person, als besonderer Mensch mit eigenen Gedanken, Gefühlen, Hoffnungen und Sorgen wahrgenommen wird.

Zu dieser Entwicklung trägt wesentlich der rasante Fortschritt der Telekommunikation bei. Wer ein „Handy" besitzt, ist rund um die Uhr für jedermann erreichbar: Telefonische Kontaktaufnahme wird enorm erleichtert und verdrängt langsam die persönliche Begegnung. „Wir müssen uns bald einmal sehen", wird zur oft verwendeten, immer seltener verwirklichten Floskel am Ende von Telefonaten.

Faxgerät und Internet sjnd ein weiterer Schritt in Bichtung Anonymisierung. Beide Errungenschaften haben zwar enorme Möglichkeiten eröffnet, gleichzeitig aber auch dazu beigetragen, Kontakte auf den Informationsaspekt zu reduzieren. Ähnliches gilt für internationale Konferenzschaltungen: Via Bildschirm läßt sich etwa ein Gespräch zwischen Personen in Wien, Hongkong und Dublin organisieren. Man sitzt sich zwar Auge in Auge gegenüber, es entfällt aber jene Art von Begegnung, die sich bei einem Besuch ergäbe, bei einem Geschäftsessen oder einem gemeinsam verbrachten Abend.

Auch „Teleshopping" (und „Telebanking") tragen diese Merkmale: Einkaufen, ein ursprünglich stark auf persönlichem Vertrauen basierender, in den letzten Jahren aber zunehmend anonym gewordener Vorgang (Supermärkte), wird durch die neueste Technik ganz vom personalen Kontakt gelöst. Das Geschehen wird auf das Zweckhafte reduziert.

Damit sind wir bei einer zentralen Triebfeder der technischen Entwicklung, dem Streben nach Effizienz in der Wirtschaft. „Zeit ist Geld", lautet die Parole. Also wird möglichst viel in die Zeit hineingestopft, möglichst viel erledigt, werden möglichst viele Arbeitsplätze eingespart. Klarerweise leiden die Beziehungen, wenn immer mehr Menschen um ihren Arbeitsplatz bangen und ihre Mitarbeiter als Konkurrenten erleben.

Kosten-Nutzenanalysen durchleuchten die Unternehmen bis in ihre kleinsten Einheiten. Jede Abteilung muß nachweisen, daß sie mehr bringt, als sie kostet. Auch unternehmensintern wird heute nicht mehr selbstverständlich auf Leistungen der eigenen Abteilungen zurückgegriffen. „Das führt dazu", erklärte mir unlängst der leitende Mitarbeiter eines Bauunternehmens, „daß es bei uns kein Entgegenkommen mehr zwischen den Abteilungen gibt. Da kämpft jeder ums Überleben." Zwar gebe es eine Menge von Besprechungen. Aber die freundschaftlichen Beziehungen - das gehöre der Vergangenheit an.

Dieses Ausschöpfen der Zeit wird nicht nur am Arbeitsplatz gefordert, sondern auch im übrigen Leben praktiziert. Konsum wird zum Statussymbol und zur staatsbürgerlichen Pflicht. Die „Konsumarbeit" hält Einzug in die Freizeit. Man schleppt zu viele Dinge heim, muß sie verstauen, instandhalten - und vor allem gebrauchen. Die vielen Bücher, CDs, Videos sollte man sich zu Gemüte führen, die Sportausrüstungen nutzen, den gebuchten Kurs besuchen, den nächsten Urlaub planen (siehe Seite 16)... Man kommt einfach nicht nach. Übervoll sind die Kalender, auch von Pensionisten.

So wird mangels Zeit alles zum Programmpunkt, selbst persönliche Begegnungen. Ächzend denkt man an überfällige Einladungen und Besuche, die man vor allem in ihrer Beschwerlichkeit erlebt. Genau das aber ist Gift für das Entstehen und die Pflege von Beziehungen. Es braucht Zeit, sich einem anderen Menschen zu öffnen, mehr zu bereden als die üblichen Banalitäten.

Über einem Beisammensein, das Beziehungen fördert, darf nicht pausenlos ein angepeiltes Gesprächsergebnis als Damoklesschwert hängen. Das Zugehen auf einen anderen erfordert ein gewisses Maß an Selbstvergessenheit. Beziehungen wachsen, wo Menschen einander die Erfahrung vermitteln: „Du bist mir um deiner selbst willen wichtig. "

Hier sind wir wohl am Kern des Problems der wachsenden Beziehungslosigkeit angelangt. Die vorherrschende Grundausrichtung des Menschen ist ich- und nicht du-zentriert: Bestehen in der Konkurrenz ist zum Erfolgsrezept erhoben worden. Nur wer tüchtiger, stärker, schöner, durchsetzungsfähiger ist, wird im „globalen Dorf" bewundert.

Der Schweizer Pädagoge Fritz Oser sprach in Salzburg vom „postmodernen Egoismus", der schon den Kindern nahegebracht wird. „Persönliche Moral ist ,out', Eigennutz und Lebensgenuß sind ,in'," diagnostizierte der Meinungsforscher Erich Brun-mayr im Rahmen der „Österreichischen Wertestudie 1991". An Karriere und Konsum wird der Lebenserfolg gemessen.

Das Konsumdenken und die Wegwerfmentalität werden auf Beziehungen ausgedehnt: nach dem Wegwerfkind, den Wegwerfmitarbeitern, bald, die Wegwerfeltern, der Wegwerfpartner (vernascht, solange er schmeckt). Auf diesem Hintergrund kommt es zur Destabilisierung der Familie. Dauerhafte Beziehungen stehen dem voll mobilen, flexiblen, mit Geld und Karriere motivierbaren Single entgegen. Wo er auch hinkommt, fühlt er sich sofort zu Hause, ist.mit jedem per Du, nicht prüde, leistungsmotiviert, für einen Spaß zu haben.

Solange er in der Fülle seiner Kraft agiert, mag dieser Menschentyp kurzfristig für den Aufbau des auf raschen Informationsfluß angewiesenen „global village" nützlich sein. Auf lange Sicht wird eine Gesellschaft aber, die auf oberflächliche, zweckorientierte Kontakte setzt, scheitern. Sie wird dem tiefsten Streben des Menschen nicht gerecht: seiner Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit.

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