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Bricht die Zeit der Senioren an ?

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Ab dem Jahr 2000 wird der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung stark zunehmen. Das bringt Probleme, auf die sich die Wissenschaftler schon heute einstellen.

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Ab dem Jahr 2000 wird der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung stark zunehmen. Das bringt Probleme, auf die sich die Wissenschaftler schon heute einstellen.

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Die Sozialpolitiker können für kurze Zeit aufatmen. Der Anteil der alten Menschen an der Gesamtbevölkerung wird bis zum Jahre 2000 zurückgehen. Was die Demographie jedoch für die ersten 30 Jahre des nächsten Jahrtausends ankündigt, bringt eine Fülle von Problemen für die künftigen Generationen: die Proportionen werden sich rapide ändern, weitaus mehr Menschen müssen von einer wesentlich geringeren Zahl von Aktiven ernährt werden. Dazu kommt, daß diese ältere Generation — selbst bereits im Wohlstand aufgewachsen — sehr viel höhere Ansprüche stellen wird als die heutigen Alten. Massive ökonomische Schwierigkeiten werden den Nährboden für neue und stärkere Generationskonflikte bilden.

Es ist also hoch an der Zeit, sich mit dem Problem des Alterns und der Situation der älteren Menschen sowie den Möglichkeiten eines verbesserten Zusammenlebens der verschiedenen Generationen zu befassen. Seit 1980 beschäftigt sich auf Anregung der damaligen Wissenschaftsministerin Herta Firnberg das Lud-wig-Boltzmann-Institut für Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung in Wien (Leiter ist der Soziologie-Professor Leopold Ro-senmayr) mit diesem Thema. Nicht nur Männer und Frauen einer bestimmten Altersgruppe sind Gegenstand der Untersuchungen, sondern vor allem die sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen sowie Einstellungen, Chancen und Probleme derjenigen Bürger, die meist schon aus dem Arbeitsprozeß ausgegliedert sind.

Wie beurteilen beispielsweise pflegebedürftige alte Menschen die Hilfe, die sie einerseits von ihren Familienangehörigen, andererseits durch öffentliche Sozialdienste erhalten? Allein in Wien

Wird der alte Mensch ausgenützt oder respektiert? (Foto Petri) betreuen derzeit rund 2000 Heimhelferinnen von insgesamt acht Organisationen hilfsbedürftige Senioren. Wie bewerten sie die familiären Beziehungen der Betreuten? Wie schätzen andererseits jene jüngeren Angehörigen, die schon selbst Verwandte gepflegt haben, das Verhältnis zu den alten Menschen ein? Wäre es nicht sinnvoll, Familienbetreuung mit der öffentlichen Heimhilfe zu verbinden?

All diese Fragen sollen in einem großen Projekt geklärt werden. Untersuchungsleiter Josef Hörl konnte bereits erste Erhebungen auswerten. Es stellte sich heraus, daß die Heimhelferinnen die Beziehung ihrer Pfleglinge zu deren Kindern recht kritisch beurteilen. Die Jungen würden ihre Angehörigen oft finanziell ausnützen. Es zeigte sich, daß Eifersucht, speziell der Kinder untereinander, aber auch Mißtrauen seitens der Heimhelferinnen gegenüber der Familie ihrej Pfleglinge die gegenseitigen Beziehungen prägen.

Auch die Alten selbst haben, sofern sie nicht kinderlos sind, häufig Schwierigkeiten mit ihren Angehörigen. Dabei ist das Problem des Verhältnisses zu den Schwiegerkindern — oftmals Gegenstand von Zeitungswitzen — von großer Bedeutung. Viele alte Menschen beklagen, daß die wahren Probleme mit ihren eigenen Kindern erst begonnen hätten, als diese einen Partner gefunden hatten. Trotz dieser angespannten Lage sind es jedoch meist Töchter und Schwiegertöchter, die später die Pflege der Eltern übernehmen (zu etwa 80 Prozent). Häufig fallen die Pflegeaufgaben auch nur einer Person zu und das oft für eine Zeitspanne von zehn bis 15 Jahren.

Man möchte annehmen, daß all diese Schwierigkeiten eine Zusammenarbeit von Angehörigen und Sozialdiensten unmöglich machen. Dennoch wünscht ein Großteil der befragten Heimhelferinnen besseren Kontakt zur Familie und eine eventuelle Kooperation. Allerdings ergreifen sie selbst keine Initiative.

Hörl: „Wir sehen es als wesentliche Funktion unserer Forschung an, einen Impetus zu geben, gleichsam als Motor für Veränderungen zu wirken.” Schon jetzt, noch vor dem für Ende 1985 geplanten Abschluß des Projekts, zeichnet sich nämlich die Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten ab.

Ein ganz anderes Projekt des ISL (Institut für Sozialgerontologie und Lebenslauf forschung) be-

,,Nicht nur die Jugend ist unsere Zukunft, fast noch mehr sind es die .Alten'.” faßt sich mit der Lebenssituation von Frühpensionisten. Anton Amann, Soziologie-Professor in Wien, und seine Mitarbeiter haben Arbeitnehmer der eisenwarenerzeugenden Industrie befragt, die aufgrund einer Verordnung des Sozialministeriums (Aktion 52/ 57) frühzeitig in Pension gehen mußten. Einer der Projektleiter, Franz Kolland, berichtet, daß die Betroffenen die Aktion durchwegs positiv aufgenommen haben. In einem weiteren Schritt wollen die Wissenschaftler nun klären, wie Gewerkschafter, Politiker und Funktionäre die Situation dieser Frühpensionisten beurteilen.

Der interkulturelle Vergleich in der Altersforschung steht im Mittelpunkt einer weiteren Untersuchung des Instituts. In einem Projekt, das die „Position der Alten, der Familie und des Kulturwandels in Schwarzafrika” durchleuchtet, arbeitete Institutsleiter Leopold Rosenmayr gemeinsam mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen in einem Dorf in Mali in Westafrika. Die bisherigen Untersuchungen der familiären Strukturen, der sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der Wertvorstellungen in der Bevölkerung ergaben wesentliche Unterschiede zur Situation in westlichen Industriestaaten: den alten Menschen in Afrika kommt vor allem große Bedeutung für die Traditionserhaltung, besonders für Werte wie Respekt und Solidarität, zu. Andererseits wirkt dieses „System des Alters”, wie es dort noch vorherrscht, als starker Hemmschuh für die gesellschaftliche Entwicklung.

„Nicht die Alten, sondern die Prozesse des Älterwerdens stehen im Vordergrund unserer Forschung”, erklärt Rosenmayr. „Das bedingt, daß Altern, Entwicklung und Erfüllung im jeweiligen kulturellen Umfeld gesehen werden müssen.” Schließlich sind es die älteren Menschen, die vor allem in unseren Breiten immer mehr Gewicht in der Gesellschaft bekommen.

Das ISL ist, verglichen mit den anderen großen Gerontologiezentren in Europa und den USA, ein bescheidener Anfang. Es gibt eine einzige vollbeschäftigte Arbeitskraft, alle anderen sind freie wissenschaftliche Mitarbeiter (durchschnittlich fünf). Dennoch legen die Forscher großen Wert auf internationale Beziehungen. So wird eine Mitarbeiterin im Rahmen der Weltfrauenkonferenz der UNO ein Symposion über ältere Frauen leiten.

Nicht nur die Jugend ist unsere Zukunft, fast noch mehr sind es die „Alten”. So gesehen hat das Ludwig-Boltzmann-Institut für Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung eine äußerst wichtige Aufgabe. Die Bilanz der ersten vier Arbeitsjahre läßt jedenfalls auf weitere Anstöße hoffen.

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