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In fünfzig Jahren: eine Milliarde Senioren

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In gut vierzig Jahren wird es auf unserem Globus, wenn die Demographen recht behalten, eine Milliarde Menschen geben, die mehr als 60 Jahre alt sind. Die Teenager von heute werden dann die größte Altengruppe bilden, die je gelebt hat. Tag für Tag überschreiten heute 200.000 Menschen die Grenze der Sechziger und stoßen zu den „Senioren".

Mehr als tausend Delegierte aus der ganzen Welt diskutierten zwei Wochen lang in der UN-Konferenz über das Altern in der Wiener Hofburg, welche Probleme aus dieser „Vermehrung" der Alten entstehen und wie sie gelöst werden könnten.

Der hohe Anteil an Teilnehmern aus der Dritten Welt bewies, daß auch dort dieses Problem er-

kannt wird: In den Industriestaaten wird sich die Zahl der Alten und sehr Alten bis 2025 um das 3,3-fache erhöhen — in den Entwicklungsländern aber um das 6,8-fache.

Aber da taucht schon die skeptische Frage auf: Kann eine Mammutkonferenz dieser Art überhaupt Probleme diskutieren, die doch so sehr von Land zu Land, von Region zu Region verschieden sind und deswegen auch verschiedene Lösungen brauchen?

Univ.-Prof. Leopold Rosen-mayr, Soziologe der Universität Wien und Zentralfigur der österreichischen Delegation, ist über-

zeugt: Sie kann, sie muß sogar! Es war höchste Zeit, daß sich eine Konferenz weltweit mit diesen Problemen befaßte.

Erste Aufgabe der Konferenz mußte der Erfahrungsaustausch sein, dann die Weckung des Problembewußtseins.

Wenn auch die Regierungsvertreter vorwiegend in großen Tönen berichteten, wie gut es ihren Alten ginge und nur wenige auch die Lücken im eigenen Sozialsystem erwähnten, so gaben doch auch die Leistungsberichte schon manchen Denkanstoß. So meinte etwa der dänische Sprecher.es sei falsch gewesen, Altersheime zu bauen und die Alten dort ins Getto zu verbannen, als ein anderer Delegierter die Vielzahl von Altersheimen in seinem Land als Fortschritt pries...

Zielvorgabe mußte aber die Zukunft sein, mußten Anregungen sein, wie man weltweit den Problemen des Alterns beikommen könnte. Hierfür lag der Entwurf eines Aktionsprogramms vor, der dann in intensiven, bis in die Nacht reichenden Diskussionen in eine endgültige Form gebracht

wurde. Er soll nun über die UN allen interessierten Gremien zugeleitet werden.

Prof. Rosenmayr hebt aus dem 40-Seiten-Papier einige Forderungen hervor, die ihm besonders wichtig erscheinen: Die Pensionen müßten vor den Auswirkungen der Inflation geschützt werden, wobei auch soziale Leistungen - etwa die Kindererziehung -auf die spätere Pension angerechnet werden sollten.

Die Alteren sollen an der Gesamtgesellschaft aktiv teilhaben und von Gesellschaft und Staat zu aktiven Rollen und nützlichen Aufgaben ermuntert werden.

Erstmals überhaupt wurden hier die neuen psychischen und moralischen Fragen in einer Weltkonferenz ausgiebig behandelt, unterstreicht Rosenmayr. So empfiehlt ein eigener Punkt des Aktionsprogramms die „Zuwendung zu den Sterbenden, den Dialog mit ihnen, die Unterstützung der nahen Anverwandten" — eine Anregung, die angesichts der Zustände in so manchem Spital auch bei uns zum Nachdenken Anlaß gäbe.

Weitere Empfehlungen betreffen die Weiterbildung der Senioren oder ihren Gesundheitsschutz, auch gegenüber Umweltgefährdung und Medikamenten-mißbrauch.

Den Familienbeziehungen wird besonderes Augenmerk zugewandt—der Familie käme die zentrale Rolle für alle Hilfe- und Pflegeleistungen zu, ohne dabei zu vergessen, daß heute viele Senioren kinderlos sind, daß vor allem Frauen mittleren und höheren Alters für hochbetagte psychisch und physisch behinderte Personen zu sorgen haben und daß öffentliche und private Dienstleistungen mithelfen müssen, ein wohlausgewogenes und abgestimmtes Unterstützungssystem zu errichten.

Hierbei müßten — meinte die Konferenz einstimmig — auch die größtenteils von den Kirchen getragenen „non governmental or-ganisations" als unbedingt notwendig mit einbezogen werden — eine Forderung, der sich auch die Vertreter der Oststaaten nicht widersetzten.

Auf österreichische Anregung

hin wurde schließlich die Forderung nach verstärkter Grundlagenforschung aufgenommen, wozu bereits eine Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Sozial-gerontolgie und Lebenslaufforschung über „Programme und Beispiele der sozialwissenschaftlichen Altersforschung" vorgelegt worden war.

Diese - und viele andere im Aktionsprogramm enthaltenen — Anregungen sollen nun als Grundlage für Regionalkonferenzen, für Länderprogramme dienen. Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg, die der Tagung vorsaß, kündigte bereits ihren Experten an, man werde sich im Herbst intensiv mit dem Papier beschäftigen.

Trotz der intensiven Diskussionen, trotz der breiten Palette erfaßter Probleme, vermißt Prof. Rosenmayr die Behandlung eines Phänomens, das ihm als eines der wichtigsten erscheint: Das Problem des veränderten Stellenwertes, den die Arbeit heute schon im Leben des Menschen einnimmt, nachdem ihm Maschinen und Automation viele bisher unvermeidliche Operationen abgenommen haben.

Die Veränderungen der inneren Struktur des Arbeitslebens betreffen erst in letzter - zeitlichen - Phase die Alten. Sicher müßte jedoch das Problem des älteren Arbeitnehmers und seines Eintritts in den Ruhestand intensiver behandelt werden - die langfristige Vorbereitung auf einen Einschnitt im Leben, der von vielen ersehnt und von vielen gefürchtet wird.

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