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Hat die Erde Zukunft?

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Der Erie-See ist bereits biologisch tot; ein anderer der fünf großen nordamerikanischen Seen, der Ontario-See, ist auf das höchste gefährdet; der Sauerstoffgehalt der Ostsee ist seit den dreißiger Jahren auf ein Zwanzigstel zurückgegangen; die zunehmende Verschmutzung des Mittelmeeres führte schon zu internationalen Konferenzen.

Ein Durchschnittsamerikaner speichert heute eine größer Dosis DDT in sich, als die Gesundheitsbehörden für Lebensmittel tolerieren; ein Österreicher nimmt im Durchschnitt mit der Nahrung mehr von dem giftigen Metall Cadmium auf, als die Weltgesundheitsorganisation WHO für gerade noch erträglich erklärt hat.

Die Liste solcher Hiobsbotschaften, die Dr. Christoph Gaspari vergangenes Wochenende beim Symposion „Wovon morgen leben?“ in Wien in Erinnerung rief, ließe sich noch lange fortsetzen. Das Thema der Tagung, die Prälat Karl Strobl abschließend als einen „Umschlagplatz der Ideen“ charakterisierte, war jedenfalls brandaktuell.

Die Träger der Veranstaltung, das Sekretariat der österreichischen Bischofskonferenz und das österreichische Pastoral^Referat „Wissenschaft und Hochschule“, und die einzelnen Referenten sorgten für ein hohes Niveau. Allgemeiner Tenor: Die bisherige Fortschritts- und Wachstumsideologie läßt sich nicht aufrecht erhalten.

„Zum ersten Mal in der Geschichte hängt das physische Uberleben des Menschen von einer radikalen Veränderung des Herzens ab!“ Dieses Zitat von Erich Fromm stand im Mittelpunkt des Referates des Wiener Erzbischofs, Kardinal Franz König, zum Auftakt des Symposions.

Das seit längerem geplante Symposion war bezeichnend für eine Entwicklung, die vor allem auch im katholischen Bereich bereits in vollen Zügen eingesetzt hat und spätestens mit dem denkwürdigen 5. November 1978 den meisten Österreichern bewußt geworden sein müßte. Besonders bei der Jugend zeigt sich

eine deutliche Tendenz zum Idealismus, die Opferbereitschaft und scharfe Kritik am gegenwärtigen Lebensstil miteinschließt.

Diese Haltung führt sicher - bei aller Ehrbarkeit der Motive - nicht immer zu richtigen Entscheidungen. Aber sie ist vermutlich deshalb für viele so anziehend, weil sie zunächst einmal nicht nach ökonomischen Begründungen für eine Entscheidung sucht. Mit anderen Worten: ethische Argumente ziehen wieder!

Kardinal König hob daher als Zeichen der Hoffnung jene Gruppen hervor, die ihren Lebensinhalt nicht in Leistungs- und Konsumdenken sehen, sondern sich einem einfacheren Leben widmen wollen, und be-

tonte, daß nun die Sehnsucht nach einer neuen Einheit aufgebrochen sei. Wissenschaft und Religion sollten nicht länger als Gegensätze, sondern müßten wieder komplementär gesehen werden.

Sehr ermunternd wirkte in diesem Zusammenhang die Aussage des Zoologen Univ.-Prof. Rupert Riedl, der auch die eminente Bedeutung der Familie für das psychische Überleben des Menschen unterstrich, daß sich ein „naturwissenschaftlicher Humanismus“ entwickle. Zweifellos werden sich auch die Wissenschafter immer mehr ihrer Verantwortung und der Risken und möglichen Konsequenzen ihrer Experimente bewußt.

Daß sich die Veranstaltung praktisch der gesamten Fülle akuter und voraussehbarer Probleme auf unserem Planeten - Rohstoffknappheit, Energielücke, Hunger und Bevölkerungsexplosion in den Entwicklungsländern, Umweltverschmutzung, Arbeitswelt, Weltwirtschaftsordnung - widmete, war löblich, trug aber vermutlich dazu bei, daß man oft an der Oberfläche blieb, daß, wie so oft, am Ende ein riesiger Problemkatalog vorlag, aber keine Zeit mehr für konkrete Lösungsvorschläge oder eine abschließende Plenumsdiskussion blieb.

Da sich die Themen der einzelnen Arbeitskreise nur zum Teil mit jenen der Impulsreferate berührten, mußten ausgezeichnete Referate undiskutiert oder manche Arbeitskreisthemen vernachlässigt werden. Besonderen Anklang fanden die Ausführungen von Univ.-Prof. Anton Burghardt, von Dr. Christoph Gaspari und von Univ.-Prof. Stephan Schleicher aus Graz, der die Bedeutung der Ethik für die Wirtschaft umriß, sowie von Univ.-Prof. Manfred Deistler.

Burghardt, der sich mit der „Neuen Sozialen Frage“ auseinandersetzte, räumte mit dem Vorurteil auf, daß Armut nur mit Geld bekämpft werden könnte, indem er auf die zunehmende soziale und kulturelle Verarmung breiter Bevölkerungsschichten (Alte, Kinderreiche, Kleinbauern und Kleingewerbetreibende) hinwies.

Die Folgen eines sinnentleerten technologischen Fortschrittskonzeptes - zunehmende Anfälligkeit der Jugend für Kriminalität, Selbstmord, Alkoholismus und Drogenkonsum -schilderte dann Gaspari, der allein durch seine Aussagen, ohne rhetorisch darauf hinzuarbeiten, in eine Kassandrarolle geriet. (Die echte Kassandra hat bekanntlich mit ihren düsteren Prophezeihungen leider immer recht behalten.)

Hatte aber schon Kardinal König trotz schlechter Zukunftsaussichten jeden Pessimismus von sich gewiesen, so konnte man sich am Ende des Symposions vor allem an den Worten eines späten Gastes, Univ.-Prof. Wla-dislaw Bartoszewski aus Lublin, aufrichten, der auf die ungebrochene Hoffnung des polnischen Volkes auf bessere Zeiten pochte und nicht ohne Stolz vermerkte, daß sein Land heute Geistliche, ,ja sogar Päpste“ exportiere.

Daß die Stimmung beim Symposion trotz des Bewußtseins, in Zukunft den Gürtel vielleicht etwas enger schnallen zu müssen, recht optimistisch war, ist erfreulich. Vielleicht nehmen wir uns endlich doch die in der Bibel zitierten Sperlinge des Himmels zum Vorbild. Nicht, weil sie nicht säen und nicht ernten, sondern weil sie geringe materielle Ansprüche stellen und vor allem nicht kleingläubig sind.

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