Wohin des Weges?

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2019 geht die Republik Österreich in ihr zweites Jahrhundert. Die FURCHE befragte Bürger und prominente Persönlichkeiten zu ihren Wünschen und Erwartungen an die Republik für die kommenden 100 Jahre.

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2019 geht die Republik Österreich in ihr zweites Jahrhundert. Die FURCHE befragte Bürger und prominente Persönlichkeiten zu ihren Wünschen und Erwartungen an die Republik für die kommenden 100 Jahre.

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Im November gedachte die Republik Österreich des 100. Jahrestages ihrer Gründung. Waren die ersten 100 Jahre geprägt von politischen Turbulenzen, Krieg -und folgendem Wiederaufbau, soziokulturellem Umschwung und ansteigendem Wohlstand -ist es nun an Zeit, sich Gedanken über die nächsten 100 Jahre zu machen. Wohin soll es für Österreich und seine Bewohner und Bewohnerinnen gehen? Was wünscht man der Republik für ihre Zukunft und weitere Geschichte?

Seit etwas mehr als einem Jahr ist Sebastian Kurz Bundeskanzler der Republik Österreich. Mit gerade einmal 32 Jahren bekleidet er eines der höchsten Ämter im Staatsapparat und ist somit der jüngste Regierungschef Europas. Als dieser hat Kurz großen Einfluss auf die Gestaltung unseres Landes und so hat der gebürtige Wiener ganz klare Wünsche für die Zukunft. "Friede, Freiheit und Sicherheit", sollen in den nächsten 100 Jahren fixer Bestandteil in Österreich sein, so der ÖVP-Politiker. Des Weiteren wünscht sich der Bundeskanzler "ein starkes soziales Netz, das jeden auffängt, der es benötigt". Den Wunsch nach Frieden hegen auch andere politische Amtsträger. Kurz' Regierungspartner, in Person von FP-Vizekanzler und Sportminister Heinz-Christian Strache, hat die gleichen Vorstellungen für die Gestaltung Österreichs. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig will die "friedliche Entwicklung" beibehalten. Das unterstützend soll das "Gemeinsame in den Vordergrund" gerückt und zusammengearbeitet werden, meint der SPÖ-Politiker und verweist dabei auf die Notwendigkeit der Sozialpartnerschaft. Alt-Bundespräsident Heinz Fischer schließt sich dem an, das drittfriedlichste Land der Welt solle weiterhin von Krawallen und heftigen Konflikten verschont bleiben. Zudem sollten "Pluralismus und Toleranz" die Geschichte bis 2118 bestimmen.

Geht es nach dem 21-jährigen Werksarbeiter Manuel F., ist die Zeit für Wünsche vorbei. "In 100 Jahren wird es die Republik Österreich in der Art und Weise, wie wir sie kennen, nicht mehr geben. Durch den derzeitigen Verlauf des Klimawandels wird Europa ein im wahrsten Sinne des Wortes heiß begehrter Lieferant für Nahrung und Wasser werden. Österreich wird seinen Status als wirtschaftsstarkes Land verloren haben. In 100 Jahren sehe ich Österreich nur mehr als Rohstoff-und Wasserspeicher Europas. Deswegen befürchte ich einen erbitterten Kampf um das Land und seine Schätze."

Soziale Wärme -kühles Klima

Jugendliche haben den Ernst der Lage im Kampf gegen den Klimawandel erkannt. Der 22-jährige Geschichte-Student Michael G. wünscht sich "eine verantwortungsvolle und wohlüberlegte Klima- und Sozialpolitik", um die Erderwärmung mit ihren drastischen Folgen noch zu stoppen. "Der individuelle Verkehr soll sich auf das nötigste Minimum beschränken und vermehrt durch flächendeckenden öffentlichen Verkehr ersetzt werden. Sozialpolitisch ist ein bedingungsloses Grundeinkommen in den nächsten 100 Jahren dringendst einzuführen und es sind Maßnahmen gegen die Bekämpfung von Kinderarmut zu setzen."

Die vergangenen 100 Jahre waren nicht nur von politischen und sozialen Wechseln geprägt. Auch die Technisierung hat eine rasante Entwicklung genommen und ist auf einem nie dagewesenen Höchststand. Obwohl technische Errungenschaften unser Leben definitiv erleichterten, brachte der Fortschritt auch Gefahren mit sich. Die Cyberkriminalität dürfte in den kommenden Jahren ansteigen und zunehmend schwerer bekämpfbar werden. So wünscht sich die 84-jährige Pensionistin Josefa K. mehr Hausverstand im Umgang mit der Technik. "Es soll mehr Acht gegeben werden und Bürger und Bürgerinnen sollten sich nicht abhängig vom kleinen Kasterl in der Hose machen. Auch wenn die neue Technologie durchaus ihren Vorteil hat, sollte man dabei nicht auf das eigene Gehirn vergessen."

"Für die nächsten 100 Jahre?", fragt Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister verwundert. "Meiner Denkweise entspricht eher 'der Weg ist das Ziel' und der Weg entsteht im Gehen. In diesem Sinne wünsche ich mir einen Weg, auf dem in unserem Land soziale und ökologische Nachhaltigkeit einen höheren Stellenwert bekommen. Wir müssen den Sozialstaat stärken und viel konsequenter etwas zur Verbesserung der Umwelt tun. Wenn der Weg in diese Richtung führte, dann würde dieses Land in hundert Jahren noch lebenswerter sein."

Sprache der Gemeinschaft

Der 31-jährige Grazer Stadtrat für Gesundheit und Pflege, Robert Krotzer, blickt zurück, um nach vorne zu sehen. "Der Ersten Republik wurde ihr demokratischer und sozialer Inhalt von oben herab entzogen, bis sie schließlich ausgelöscht wurde. Der Zweiten Republik wünsche ich, dass sie kein ähnliches Schicksal erleidet. Die Republik darf kein Werkzeug finanzstarker Lobbys sein, sondern muss im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung soziale Sicherheit und demokratische Mitsprache stärken." Auch der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn spricht sich für Zusammenhalt aus. So hofft der 73-Jährige auf "einen starken Gemeinschaftsgeist".

Für Johann Peter M., letzter Berghauptmann von Tirol und Vorarlberg, besteht die Republik aus der Bevölkerung selbst. So wünscht er sich, dass seine "Enkerl und Urenkerl weiterhin, so wie wir die letzten 70 Jahre, in Frieden leben können und weniger die materiellen, sondern mehr die ideellen Werte schätzen." Zudem hofft der 78-Jährige, dass "wieder mehr Toleranz besteht, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Es soll mehr Miteinander als Gegeneinander geben und keine Ideologien, die vehement vertreten werden und zur Zerstörung unseres sozialen Gefüges führen würden. Wir müssen aufpassen, dass die sozialen Errungenschaften, die von unseren Vorfahren mit Blut, Leben und Gefängnis erkämpft wurden, nicht den Bach hinuntergehen. Das Recht auf entsprechende Arbeitsbedingungen, angemessene Entlohnung und Urlaubsanspruch." Ähnlich sieht es der Ö1-Moderator Johannes Kaup. Nach seiner Meinung müssen die "Bürgerinnen und Bürger begreifen, wer der Souverän des Staates ist: nämlich sie selbst". Geht es nach dem 53-Jährigen, ist das Heil in der europäischen Gemeinschaft zu finden. "Tu felix Austria nube Europa! Die österreichische Republik möge sich freiwillig, mutig und ohne Angst mit Europa verheiraten, auf dass seine Menschen, Dörfer, Städte und Regionen erblühen, der Nationalstaat sich aber schrittweise zum österreichischen Kulturraum verwandelt, um letztlich in einer europäischen Republik neu fruchtbar zu werden."

Menschlichkeit bewahren

Brita Wilfling von Amnesty International wünscht sich "ein Österreich, in dem alle Menschen respektvoll und achtsam miteinander umgehen und wo jede und jeder Einzelne -unabhängig davon, wer er oder sie ist und wie er oder sie sein oder ihr Leben leben -die gleichen Rechte und Zukunftschancen hat und gemeinsam mit anderen am sozialen Leben teilhaben kann." Mit Argusaugen betrachtet die Geschäftsführerin der Non-Profit-Organisation derzeitige Entwicklungen in unserem Land. "Aktuell entfernen wir uns davon, dass diese Vision in Österreich Realität wird. Ein Grund dafür ist ein 'Wir-gegen-die-Anderen' sowohl in der Politik als auch im öffentlichen Diskurs. Daher ist es so wichtig, dass wir zusammenstehen und uns gemeinsam für die Einhaltung der Menschenrechte von allen Menschen in Österreich einsetzen."

Wünsche sind Worte, die durch Taten Realität werden können. So sind nun wir gefragt, diese und unsere eigenen Vorstellungen für die Zukunft wahr werden zu lassen. Auf ein gutes neues Jahr(hundert)!

| Die Autoren sind Studierende der Katholischen Medien Akademie. |

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