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Sommerfrische4 hat ausgedient

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Endgültig vorbei scheint die Zeit, in der der Wiener knapp hinter Purkersdorf unbändiges Verlangen nach seiner „Wienerstadt“ verspürte und der Österreicher überhaupt in Ortsveränderungen Strapazen, nicht aber Erholung sah. In immer stärkerem Maße beginnt der Österreicher seinen Urlaub zu planen und seine Reisen zu organisieren. So auch vor diesem Urlaubssommer 1970. Ungefähr die Hälfte der Urlauber — so entnimmt man den Statistiken von Reisebüros — bevorzugen es, ihre Ferien im Inland zu verbringen.

Bei den ausländischen Reisezielen dominieren Italien, Jugoslawien, Spanien und in immer stärkerem Maße Griechenland. Italien, das in wenigen Jahren zum „Germanen-grill“ avancierte, verzeichnet allerdings heuer eine gewisse Trendumkehr. Die politische Instabilität, ausgelöst durch die immer raschere Aufeinanderfolge von Streiks, ist dem Fremdenverkehr abträglich. Der Urlauber fürchtet, durch Streiks bei den Verkehrsmitteln, bei Post oder Tankstellen vielleicht isoliert „hängen“ zu bleiben. Zwar verzeichnen die Reisebüros kaum Stornierungen, doch ist die Nachfrage heuer an und für sich geringer; der Österreicher weicht nach Griechenland aus. Dort ist Sonnenschein — und die Unwahrscheinlichkeit von Streiks garantiert!

Bei der Gestaltung des Urlaubes beginnt sich die medizinische Erkenntnis durchzusetzen, daß zur Regeneration des durch Berufsstreß überforderten Menschen ein zumindest dreiwöchiger Urlaub unbedingt erforderlich ist. Weiters soll dieser dem Ausspannen und nicht dem Kilometerspulen dienen. Daraus resultiert in dieser Saison die starke Zunahme der Flugpauschalreisen. Anstatt in endlosen Kolonnen gegen Süden zu kriechen und auf dem Heimweg die teuer erkauften Früchte der Erholung zunichte zu machen, wählt man den problemlosen Charterflug. Das Angebot dieser Flüge reicht vom Trip an die nördliche Adria bis zu exclusiven Weltreisen. Schlager auf diesem Sektor ist der Flug zur Expo 70 in Osaka. Zum Pauschalpreis von 29.000 S werden Kurzvisiten in Indien, Nepal, Thailand, Hongkong und Japan angeboten. Sollte die politische Situation einen Besuch in Südostasien unmöglich machen, braucht man nicht zu verzweifeln, sondern kann Fakultativtouren in Anspruch nehmen.

Ähnlich exklusiv sind Schiffsreisen, die sich heuer einer steigenden Nachfrage erfreuen.

Die steigende Reisefreudigkeit und die sich daraus ergebende Reiseerfahrung bedingt eine Aufgeschlossenheit gegenüber der nationalen Eigenart fremder Länder. Dies zeigt sich, darin, daß der Österreicher nicht mehr immer und überall „Wiener Hausmannskost“ verlangt,und statt dem Schnitzel mit steigender Begeisterung die regionalen Spezialitäten genießt. Er macht die Beteiligung an Reisen nicht mehr von Kostwünschen abhängig, sondern allenfalls vom Komfort. Ein Wandel in den Reisegewohnheiten ist besonders bei jungen Leuten festzustellen. Diese verbringen ihren Urlaub nicht mehr mit Eltern, Geschwistern und Verwandten in der klassischen „Sommerfrische“, sondern reisen mit ihresgleichen in Feriendörfer. Ein in Österreich vor zwei Jahren gestarteter Versuch, diese Art der Ferien bei jungen Leuten populär zu machen, erwies sich als erfolgreich. Man lebt in Dörfern abseits vom Touristenstrom, wohnt in Gemeinschaftsbungalows und gibt sich ungezwungen.

Soziologen widerlegten in ernstzunehmenden Untersuchungen die Befürchtungen, daß diese Art des Urlaubes in „Unmoral“ münde. Ganz im Gegenteil entsteht in diesen von jungen Leuten vieler Nationalitäten besuchten Dörfern eine selbstgeschaffene Ordnung, die Erholung, Ungezwungenheit und Urlaubsfreude nicht einengt. Die Kosten dieser „Jugendreisen mit Pfiff“ sind für die 18- bis 28jährigen Teilnehmer durchaus erschwinglich und schwanken für einen dreiwöchigen Aufenthalt zwischen 2000 und 3000 S. Der erwachsene Österreicher hingegen läßt sich den zweiwöchigen Urlaub in diesem Sommer Im Durchschnitt 2800 S kosten.

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