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Verbrannte Haut und Hochkultur

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Nicht nur des Müllers ist des Wanderns Lust, mit bequemem Fahr- oder Flugzeug ist die Lust ganz allgemein. Und so zieht man los, gen Süden zumeist.,.Nach ur-louben gan” bedeutet „der Einladung folgen”. (Lexer, Mittelhochdeutsches Wörterbuch.) Die Länder, ihre Strände und Kulturstätten sind servierbereit.

Was erwartet der Reisende? Sonne, denn die verbrannte Haut ist die Trophäe erster Kategorie. Und ein wenig Sightseeing, denn die Trophäe zweiter Kategorie ist, dortgewesen zu sein.

An den Stätten der Hochkulturen haben sich Methoden der Massentourismus-Bewältigung entwickelt, die den Durchschnittsmenschen visuell überfordern, intellektuell frustrieren und emotionell vergewaltigen würden, wäre er nicht an das Fernsehen gewöhnt: komplizierte Inhalte in vereinfachter Kurzfassung als rasche Abfolge von Bildern - eigenes Denken ist nicht vorgesehen — in sich aufzunehmen. Und weil der Normalmensch nicht so,'schnell aufnehmen kann, muß er fotografieren und filmen.

Die paar andächtigen Kunstpilger, die jugendlichen Enthusiasten, die älteren Wiedergekommenen passen nicht in dieses System. Sie mögen dem Massentourismus einige Augenblicke privaten Schauerlebens ablisten oder die unwirtliche Jahreszeit für ihre Reise wählen.

„Geh aus, mein Herz, und suche Freud”, sagt Paul Gerhardt, aber wo? Dem Alltag zu entrinnen, darin liegt das Glück des Reisens. Das Fortsein ist wichtiger als das Dortsein. In die Fremde zu fahren und dennoch nicht allzu viel Fremdes zu erleben, dafür sorgt der Tourismus. Nicht nur unstillbares Fernweh verlangt nach exotischen Reisezielen, auch Prestigebedürfnis. Aber seitdem die Menschen als Konsumenten und nicht als Bewerber unterwegs sind, hat das Reisen viel von seiner Poesie verloren.

„In dieser lieben Sommerszeit an deines Gottes Gaben”, heißt es weiter im Text. Aber wie? Die Freude, Tochter aus Elysium, steht den Reisebüros nicht als Angebot zur Verfügung, trotz der Nachfrage. Sie kann überall sein, auf staubigen Grabungsfeldern, in kühlen Wäldern, an heißen Stränden, in Museen oder Tavernen. Am sichersten begegnet man ihr, wenn, man sie schon von zu Hause mitbringt. Geschieht Reisen aus Langeweile oder Nervosität, reisen Langeweile und Nervosität mit. Mit der Freude ist es ebenso.

Früher war ein Tourist jemand, der Naturerlebnis mit Sportlichkeit verband. Und das Reisen war den gehobenen Klassen vorbehalten. Es hatte die Aufgabe, den Horizont zu erweitern und die Bildung zu vervollständigen. Die Sommerfrische kam auf für jene, die kein Landhaus und keine Villa besaßen und den Stil der Bourgeoisie innerhalb ihrer Möglichkeiten nachahmten. Schließlich wurde der Urlaub zu einem selbstverständlichen Recht jedes arbeitenden Menschen, als Erholung von der Arbeit für die Arbeit.

Jeder Mensch braucht von Zeit zu Zeit für Leib und Seele einen Urlaub. Freie Zeit in anderer Umgebung — das schärft die Sinne und steigert die Erlebnisfähigkeit. Aber auf den Gesichtern der Passagiere, die still und geduldig in den Flughäfen der Ferienländer auf den Heimflug warten, gibt es häufig keinen anderen Ausdruck als Leere.

Haben sie nicht Knossos, Delphi, Ephesos gesehen? Sind sie nicht unter Palmen und Pinien gelegen? In Arkadien hätten sie wandeln können, um sich an Leib und Seele zu erneuern. Sie aber sind müde. Wie werden sie sich von ihrem Urlaub erholen?

Sich erholen und sich freuen — verba reflexiva: man muß es selber tun. Man kann es nicht bestellen.

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