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„Verlierer sind die Bünde...

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Gewiß, die Wahlen hat die österreichische Volkspartei verloren. In Wirklichkeit aber gibt es drei Verlierer, nämlich die drei die ÖVP tragenden Bünde. Dabei hatte, wie die Wahlergebnisse in den Städten und Industriegebieten zeigen, der österreichische Arbeiter- und Angestelltenbund (ÖAAB) die geringsten Verluste zu verzeichnen. Wohl ist es den Sozialisten gelungen, in die Schicht der mittleren Angestellten, die ihnen bei -früheren Wahlen verschlossen geblieben war, vorzudringen. Aber auch das wird sich statistisch kaum beweisen lassen. Man kann hier nur die im Vorjahr durchgeführten Arbeiterkammerwahlen zum Vergleich heranziehen. Damals konnte der ÖAAB bei den Arbeitern beachtliche Erfolge erzielen, kam aber bei den Angestellten nicht so gut an. Hier gab es eine weithin sichtbare Stagnation.

Der stärkste Verlierer war sicher der österreichische Bauernbund (ÖBB). Es läßt sich nicht bestreiten, daß den Sozialisten vor allem in den westlichen Bundesländern ein starker Einbruch in das Dorf gelungen ist. Die Funktionäre des BB werden sicher Überlegungen anstellen, warum das möglich war. Dabei gibt es verschiedene Ursachen. Da ist einmal der weichende Bauer, der einen Arbeitsplatz in Industrie und Gewerbe sucht. Heute wissen wir, daß die Industrialisierung auch Gebiete erfaßt hat, die noch vor wenigen Jahrzehnten reine Agrargebiete waren. Auch die Bauernsöhne wandern in Industrie und Gewerbe ab. Hier entdecken sie plötzlich eine ihnen bis dahin kaum bekannte Welt. Sie haben eine geregelte Arbeits- und Freizeit, haben den gesicherten Lohn und einen gesetzlich begründeten Anspruch auf Urlaub. Alles Dinge, die sie daheim auf dem Bauernhof nicht gekannt haben.

Diese in Industrie und Gewerbe abwandernden Bauern und Bauernsöhne werden dann sehr bald unter die Fittiche der Gewerkschaften genommen und viele Betriebsräte verstehen es meisterhaft, den einfachen Menschen beizubringen, daß der soziale Fortschritt in Österreich nur von den Sozialisten erreicht und gesichert werden könne. Solche Werbemethoden, tagtäglich sehr geschickt an den Mann gebracht, verfehlen natürlich nicht ihre Wirkung. Dazu kommt noch ein weiterer Umstand: Der in Industrie und Gewerbe abgewanderte Bauer entdeckt auch sehr bald, daß die Industriearbeiterschaft vielfach über eine wesentlich bessere Wohnkultur verfügt als der Bauer, ist doch das Badezimmer auf dem Bauernhof noch immer eine Seltenheit. Nicht zu übersehen ist auch, daß die Militärärzte bei den Musterungen immer wieder über den schlechten Gesundheitszustand der Landjugend klagen.

Der dritte Verlierer ist der österreichische Wirtschaftsbund (ÖWB). Hier hat sich in den Städten das Mietrechtsänderungsgesetz zweifellos nachteilig ausgewirkt, traf es doch vor allem die kleinen Handelsund Gewerbetreibenden. Sie können die gestiegenen Mietkosten kaum in den Preisen unterbringen, die einen deshalb nicht, weil sie in einem mörderischen Existenzkampf mit der Industrie und den immer zahlreicher werdenden Supermärkten stehen. Die anderen, vor allem die Lebensmittelhändler, konnten ebenfalls nicht in die Preise ausweichen, weil sie im wesentlichen preisgeregelte Waren verkaufen. Für diese große Gruppe der kleinen Handels- und Gewerbetreibenden bedeutete die nicht unerhebliche Steigerung der Mietkosten eine echte Verringerung des ohnehin kargen Gewinnes.

Daneben gab es hundert andere Dinge, die zu einer Abwanderung von ÖVP-Stimmen führten. Gerade in den sogenannten „bürgerlichen“ Bezirken der Bundeshauptstadt war die Zahl der NichtWähler recht erheblich. Dieser Personenkreis wollte nicht eine andere Partei wählen, aber mit seiner angestammten Partei war er unzufrieden und ging daher nicht zur Wahl. Eine der Ursachen einer gewissen Verbitterung lag beispielsweise in der Autosondersteuer. Sie traf und trifft nicht den „Großen“, denn dieser setzt sie von der Steuer ab. Aber der Lohnsteuer zahlende Autokäufer muß sie allein tragen.

Bei einigen älteren Funktionären der

Österreichischen Volkspartei kann man immer wieder den Vorwurf hören, die Kirche habe versagt. Das ist eine sehr billige Meinung. Die Kirche hat sich seit dem Jahre 1945 aus der aktiven Politik zurückgezogen und die Zeit, in der vom Pfarrhof aus für die Christlichsoziale Partei weitgehende Impulse ausgingen, ist endgültig vorbei. Die Kirche kann daher heute die Gläubigen nur aufrufen, von ihren staatsbürgerlichen Rechten Gebrauch zu machen. Das tut sie und mehr kann eine Partei von ihr nicht verlangen.

Die Österreichische Volkspartei hat keinen Grund zur Unzufriedenheit, denn der Vorsprung der SPÖ ist sehr gering, steht es doch 81:79. Die Volkspartei wäre schlecht beraten, würde sie sich jetzt in den Schmollwinkel zurückziehen. Sie muß echte Leistungen erbringen und in ihrem Lager die notwendigen Reformen durchführen. Wirft man aber jetzt die Flinte ins Korn, so darf man auch bei den kommenden Wahlen keinen Erfolg erwarten. Man wird bei den notwendigen Reformen mit überholten Tabus brechen und sich als junge Partei für neue Aufgaben regenerieren müssen, denn in der Politik — und das hat der 1. März bewiesen — zählen nicht in der Vergangenheit erbrachte Leistungen. Der Wähler will einen in die Zukunft weisenden Weg vorgezeichnet sehen.

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