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„Umdenken ist ein stiller Vorgang“

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Zahlen — Stimmenzahl, Mandatszahl — spielen in der Politik eine wesentliche Rolle; das soll nicht bestritten werden. Aber allein ausschlaggebend sind sie nicht, und auch Stimmen- und Mandatsgewinne oder -Verluste sagen noch nicht alles und vielleicht nicht einmal das Wesentlichste über den Zustand einer Partei und die Qualitäten und Zukunftsaussichten ihres Programms und ihrer Politikerpersönlichkeiten aus. Erfahrungen der letzen Jahre könnten diese Erkenntnis erhärten.

Generationswechsel begünstigt Anpassungsprozeß

In der österreichischen Volkspartei sind gegenwärtig einige Aktionen im Gange, die ein schon gene- rationsbedingtes Umdenken erkennen lassen und dieses nun auch zum Ziel haben: Die Volkspartei hat bekanntlich ein Strukturproblem, das freilich in guten Jahren als ihr Wesensmerkmal schlechthin anerkannt und gepriesen wurde: die hündische Gliederung. Daß hier manches durch die allgemeine Entwicklung überholt ist, weiß man längst schon auch in den Bünden. Der fortschreitende Generationswechsel in den Funktionärsrängen wird den Anpassungsprozeß an die veränderte Wirklichkeit bestimmt beschleunigen. Und die Zukunft der Volkspartei liegt sicherlich nicht in der Zerschlagung, sondern in der gesunden Metamorphose der Bünde. Diese kann nur in natürlichen Etappen, ohne sensationelle Sprünge vor sich gehen. Ein „Umdenken“ ist, wie schon das Wort sagt, meistens ein stiller Vorgang.

Der Bauernbund fand den Titel

Es war der Bauernbund, der als erster für diesen Prozeß des Umdenkens einen einprägsamen Titel fand, mit dem auch Nichtbauern etwas anfangen können: das ist der „ländliche Raum“. Der Bauernbund will sich nunmehr nicht nur um den Milch-, Fleisch- und Weizenpreis kümmern, wie wichtig diese für die von Einkommens- und Substanzschrumpfung betroffene Bauernschaft auch sind, sondern um den gesamten ländlichen Raum mit seiner Infrastruktur, mit allen seinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtungen, mit seinen Bildungseinrichtungen und Erholungsgebieten. Daß diese erweiterte Sicht natürlich auch einen neuen Typ des Politikers, des Funktionärs, neue Formen der Politikerschulung und noch manches andere mehr erfordert, weiß man im Bauernbund auch. Eine ähnliche Konfrontation mit der Wirklichkeit beschäftigt die konstruktiven Köpfe im Wirtschaftsbund. Man weiß auch dort schon längst, daß der Gewerbescheininhaber nicht mehr länger der ausschlaggebende Faktor im Arbeitsprogramm dieses Bundes sein kann, und daß aber ein einfacher Blickrichtungswechsel auf das „Management" — für viele eine modische Zauberformel, hinter der sich manchmal die krausesten Vorstellungen verbergen — die eigentlichen politischen Probleme dieses Bundes noch keineswegs lösen könnte. Das Arbeitsfeld muß viel breiter abgesteckt werden.

Vielleicht ist auch hier schon, gleichsam in der zweiten Reihe, von der Öffentlichkeit unbeachtet, vieles, ja Entscheidendes geschehen, vor allem im Erkennen der Probleme, das jeder Aktion vorauszugehen hat. Man weiß, daß die Politikerschulung und die Auswahl der Mandatare eine der zentralen Fragen ist, und daß dieses Problem bei der Aufstellung der Nationalratskandidaten in diesem Sommer keineswegs noch gelöst, aber sein Vorhandensein wenigstens schon allgemein zur Kenntnis genommen wurde. In der Zentrale des Wirtschaftsbundes ist iii den letzten Monaten das vielzitierte Teamwork in der Schulung, in der Planung und Durchführung von Hearings mit jungen Funktionären und Wirtschaftstreibenden aus ganz Österreich verwirklicht worden, und man führt Diskussionen über Sinn und Aufgabe der politischen Partei, die nicht nur „Service“, sondern auch Orientierungshilfe offerieren müßte, über das höher als die Gewinnmaximierung rangierende Ziel des Wirtschaftens, das in der „Humanisierung des Lebens“ liege (hier spielt auch das eine nun wieder wachsende Rolle, was man fälschlich „Reideologisierung“ nennt), schließlich über die wahren Gründe der „Ohnmacht des Abgeordneten“, über die notwendige „Qualitätskontrolle in der Politik“.

Man weiß schließlich, daß die neue Führung des Arbeiter- und Angestelltenbundes sich zunehmend jener Gesellschaftsschicht zuwendet, die sich in Österreich bekanntlich in allen fünf Jahren verdoppelt, nämlich der Angestelltenschicht, der sich auch die Arbeiter anschließen. Das Bestreben, dieser bedeutendsten Bevölkerungsgruppe politische Heimat zu geben, führt den ÖAAB, aber mit ihm auch die im Wandlungsprozeß befindlichen beiden anderen Bünde, in direkte Konfrontation mit der SPÖ Kreiskys.

Die Hauptfront, zumindest die sichtbarste Front zumal in der „Telekratie“, ist selbstverständlich das Parlament Das Problem des Parlamentes, nämlich in der legisti- schen Arbeit der Ministerialbüro- kratie und dn der notwendigen Kontrolle der Regierung Paroli bieten zu können, ist rein quantitativ nicht zu lösen. Nicht die Zahl ihrer Abgeordneten, sondern deren fachliche und menschliche Qualitäten sind für die Effektivität einer Partei in der Opposition entscheidend, sowie eher die Frage, ob nicht die Abgeordneten gleichzeitig noch drei andere Berufe ausüben.

Entscheidend 1st schließlich das, was in der Partei zunächst ohne viel Publizität geschieht. Das Ergebnis kann man dann in der täglichen Konfrontation im Parlament, vor dem Fernsehschirm sehen. Oder auch am Wahltag, dem nächsten oder dem übernächsten.

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