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„Alle Parteien in Regierung“

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Mit der Weiterentwicklung unserer Demokratie und den Möglichkeiten einer Allparteien-Regierung befassen sich beide Beiträge auf dieser Seite. Erhard Busek, ÖVP-Vize-bürgermeister in Wien, hat in den letzten Jahren mehrfach mit ähnlichen Vorschlägen überrascht. Christof Günzl ist Leiter eines

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Mit der Weiterentwicklung unserer Demokratie und den Möglichkeiten einer Allparteien-Regierung befassen sich beide Beiträge auf dieser Seite. Erhard Busek, ÖVP-Vize-bürgermeister in Wien, hat in den letzten Jahren mehrfach mit ähnlichen Vorschlägen überrascht. Christof Günzl ist Leiter eines

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Die Sozialistische Partei Österreichs hat im vergangenen Jahr fünf empfindliche Rückschläge erlitten:

• die Lkw-Blockade,

• die Wahl Bachers zum ORF-Generalintendanten,

• die verlorene Gemeinderatswahl in Wien,

• die verlorene Betriebsratswahl in der VÖEST-Alpine,

• das „Nein“ in der Volksabstimmung über Zwentendorf.

Bei aller Verschiedenheit der Anlässe gehen diese fünf Niederlagen auf eine gemeinsame Hauptursache zurück: Die SPÖ ist in neun Jahren der Machtausübung zu einer „Partei der Funktionäre“ geworden. Die Entstehung einer „Neuen Klasse“ hat auch in Österreich begonnen. Dieser Klasse von Funktionären geht es vor allem um Erhaltung und Ausbau der Macht.

Der Mensch gilt für den Marxisten nicht als eigenverantwortliche „Person“, sondern als „Produkt der Gesellschaft“. Viele österreichische Sozialisten sind aber nach wie vor von marxistischen Denkmodellen beeinflußt und legen ihren Programmen und Aktionen daher ein falsches Menschenbild zugrunde. Sie haben die Reaktionen der Österreicher, die sich von parteipolitischen Funktionären nicht mehr widerspruchslos manipulieren lassen, falsch eingeschätzt.

Das „Nein“ zu Zwentendorf sollte aber auch den anderen Parteien zu denken geben. Die Art, wie die Volksabstimmung zustande kam und wie sich die Parteien und die anderen Organisationen verhielten, signalisiert eine Krise des demokratischen Systems.

Die Grundidee der Demokratie, alle Parteien gemäß ihrem Wähleranteil an die Verantwortung für den Staat teilnehmen zu lassen, wird durch die derzeitige Handhabung des demokratischen Systems verfälscht. Das Interesse der Parteien richtet sich immer weniger auf das Gemeinwohl und immer mehr auf die Erweiterung der eigenen Macht.

Das geforderte Umdenken darf sich indessen nicht auf Probleme parteipolitischer Taktik beschränken, sondern muß sich auf die Grundlagen unserer politischen Existenz beziehen. Dies ist um so dringlicher, als sich in unserer Zeit neue Denk-weisen oder neue Denkstrukturen weltweit durchzusetzen beginnen.

Ausgehend von der Mikrophysik, über die Kybernetik, die Ökologie und die Biologie kommen ganzheitliche oder integrative Denkformen auf, die älleine geeignet sind, die immer komplexer werdende Wirklichkeit adäquat abzubilden und zu verstehen. Auch Gesellschaft und Wirtschaft nehmen an Komplexität fortlaufend zu.

Die Lösung der. Probleme unserer Zeit kommt nicht von links, sondern aus den neuen integrativen Denkformen. Die neuen Denkstrukturen gehen von einer neuartigen Interpretation des alten Satzes „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ aus. ,

Selbstverständlich ist der Staat mehr als die Summe der politischen Parteien, und die Gesellschaft ist mehr als die Summe der Klassen und Verbände.

Sollte es nach den Nationalratswahlen vom 6. Mai eine Koalitionsregierung geben, wäre es nützlich, die Frage ihrer Zusammensetzung schon heute zu diskutieren.

• Die „Große Koalition“ aus SPÖ und ÖVP wäre zweifellos effizient, ist aber in der Erinnerung vieler Österreicher durch den Vorwurf der „Pak-kelei“,und des „Proporzes“ belastet.

• Die rot-blaue Koalition dürfte wegen des gespannten Verhältnisses zwischen Bundeskanzler Bruno Kreisky und Bürgermeister Alexander Götz kaum arbeitsfähig sein. Eine solche Koalition hat sich auch in der Bundesrepublik Deutschland innenpolitisch nicht bewährt.

• Eine schwarz-blaue Koalition ergäbe interessante neue Perspektiven, doch steht zu befürchten, daß sie wegen einer massiven Diffamierungs-Kampagne von linker Seite nicht in Ruhe arbeiten könnte.

• Die Möglichkeit einer Allparteien-Regierung wird in der Öffentlichkeit kaum diskutiert. Gerade diese Regierungsform brächte aber für die derzeitige Krisensituation eine Reihe von Vorteilen.

In den kommenden schwierigen Jahren werden unpopuläre Maßnahmen zu treffen sein, die mit den derzeitigen Regierungsmethoden kaum gemeistert werden könnten. Um also ein ruhiges und kreatives Klima zur Bewältigung komplizierter Sachentscheidungen zu schaffen und auch Zeit zu dem als unvermeidlich erkannten Umdenken zu gewinnen, sollte für die nächste Legislaturperiode eine Drei-Parteien-Regierung als „Integrations-Regierung“ ins Auge gefaßt werden.

Eine solche Regierungsform brächte für alle Parteien Vorteile: Die Freiheitliche Partei würde regierungsfähig, ohne den Vorwurf der „Steigbügelhalterei“ oder des „Bürgerblocks“ zu provozieren.

Die SPÖ hätte die Chance, ihre Reformpolitik weiterzuführen, ohne mit der Alleinverantwortung für unpopuläre Regierungsgeschäfte belastet zu sein.

Die ÖVP hätte die Chance, ihr besseres wirtschaftspolitisches Konzept zu erproben und ihr Grundkonzept der „Sozialen Integration“ gesamtösterreichisch zur Geltung zu bringen.

Das Fehlen der Oppostition müßte durch andere Maßnahmen ausgeglichen werden - etwa dadurch, daß im Parlament häufiger geheime Abstimmungen durchgeführt werden, die ein „Packeln“ zwischen den Parteiapparaten erschwerten. Auch eine vermehrte Anwendung von Volksbefragungen, ferner Bürgerinitiativen, die Personalisierung des Wahlrechts und die vermehrte Beachtung des Subsidiaritätsprinzips würden einer zentralen Machtzusammenballung entgegenwirken.

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