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SPÖ: Breit und tief

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Demokratie ist Wahl zwischen Alternativen. Wahl-' kämpf ist Auseinandersetzung über Unterschiede in Parteien, Personen, Programmen. Aber damit Auseinandersetzung möglich wird, ist ein gemeinsames Fundament notwendig. Davon ist in der Politik selten, im Wahlkampf nie'die Rede. Deshalb hat die FURCHE ein Experiment versucht, das es in Österreich noch nie gegeben hat. Wir haben die Obmänner der drei im Nationalrat vertretenen Parteien Um eine Kurzfassung dessen, was ihrer Meinung nach diese drei Parteien eint, gebeten. Alle drei haben geantwortet. Hier das Ergebnis:

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Demokratie ist Wahl zwischen Alternativen. Wahl-' kämpf ist Auseinandersetzung über Unterschiede in Parteien, Personen, Programmen. Aber damit Auseinandersetzung möglich wird, ist ein gemeinsames Fundament notwendig. Davon ist in der Politik selten, im Wahlkampf nie'die Rede. Deshalb hat die FURCHE ein Experiment versucht, das es in Österreich noch nie gegeben hat. Wir haben die Obmänner der drei im Nationalrat vertretenen Parteien Um eine Kurzfassung dessen, was ihrer Meinung nach diese drei Parteien eint, gebeten. Alle drei haben geantwortet. Hier das Ergebnis:

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ICH bin dem Chefredakteur der „FURCHE“ sehr dankbar, daß er in einer Zeit, wo die politischen Parteien im Wettbewerb stehen und daher vor allem unterschiedliche Positionen herausarbeiten und wechselseitig kritisieren, die Gelegenheit geschaffen hat, auf jene gemeinsamen Grundlagen unseres Staatswesens zu verweisen, die auch im Wahlkampfund erst recht in der Zeit nach dem Wahlkampf außer Streit stehen.

Versucht man nämlich diese gemeinsamen Grundwerte darzustellen, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß diese gemeinsame Grundlage alles andere als schmal und brüchig ist, sondern daß es sich um einen weiten Bereich wichtiger Prinzipien handelt.

An die Spitze möchte ich das gemeinsame Bekenntnis zu der österreichischen Bundesverfassung und den darin niedergelegten Prinzipien der parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaates stellen. In enger Verbindung damit steht das Bekenntnis zu unseren Grund- und Freiheitsrechten, wie z. B. dem Gleichheitsprinzip, der Freiheit der Person, der freien Meinungsäußerung, der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre und aller damit zusammenhängenden Grundrechte.

Die Bundesverfassung und der Grundrechtskatalog bilden jenes Gerüst, auf dem auch die Spielregeln unserer parlamentarischen Demokratie, das Zusammenwirken von Parlament und Regierung, aber auch die Kooperation der politischen Parteien in den Lebensfragen unseres Volkes ruhen.

Beispiele für diese Zusammenarbeit lassen sich insbesondere im Bereich der Außenpolitik finden, deren Fundamente, nämlich Staatsvertrag und Neutralität, zur gemeinsamen Basis der im Parlament vertretenen Parteien zählen, seit einiger Zeit aber auch erfreulicherweise in weiten Bereichen der Verteidigungspolitik.

Uberhaupt läßt sich feststellen, daß die Existenz einer Einparteienregierung, wie sie in Österreich seit dem Ende der großen Koalition besteht, durchaus nicht mit dem Ende der Konsensbereitschaft und der politischen Zusammenarbeit gleichgesetzt werden darf. Im Gegenteil: Im österreichischen Nationalrat werden nach wie vor mehr als drei Viertel aller Gesetze von allen drei politischen Parteien gemeinsam, also einstimmig, beschlossen und weniger als 10% der Gesetze von der SPÖ allein.

Es wäre durchaus nicht richtig zu sagen, daß es nur die weniger wichtigen Gesetze sind, für die ein gemeinsamer Nenner zwischen allen drei Parteien gefunden werden kann. Das Gesetz über die Volksanwaltschaft, das Gesetz über die Arbeiterabfertigung, das Konsumentenschutzge-setz, das Gesetz über die Familienrechtsreform und viele andere Mate,-rien beweisen, daß unter den wichtigen Gesetzesbesclilüssen der Prozentsatz einstimmiger Beschlüsse durchaus nicht geringer ist.

Mit dieser demonstrativen Aufzählung ist aber der Bereich gemeinsamer Auffassungen noch lange nicht erschöpft. Viele positive Ergebnisse im Bereich der Wirtschaftspolitik sind das Resultat gemeinsamer Anstrengungen, die nach wie vor funktionierende Sozialpartnerschaft entspricht der gemeinsamen Überzeugung, daß die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gut daran tun, wenn sie ihre Konflikte am Verhandlungstisch austragen.

Somit kann zusammenfassend festgestellt werden, daß mein Eintreten für die Fortsetzung der Regierungsform, wie sie sich in den 70er Jahren bewährt hat, und meine Kritik an einer Koalitions- oder gar Konzentrationsregierung nicht darauf zurückzuführen ist, daß es in der Politik keinen gemeinsamen Nenner zwischen den unterschiedlichen Auffassungen der einzelnen politischen Parteien und Gruppen gibt.

Ich bin vielmehr der Meinung, daß heute der gemeinsame Grundkonsens zwischen den demokratischen Parteien breit und tief genug ist, um die Vorteile eines konsensfähigen Parlaments mit den Vorteilen einer stabilen, entscheidungsfähigen Regierung verbinden zu können.

Die Wahlwerbung für die Nationalratswahlen am 6. Mai artikuliert selbstverständlich in erster Linie das Trennende zwischen den Parteien. Jeder will herausstellen, daß er es besser machen kann als der andere, daß der andere politische Fehler gemacht hat, daß seine Grundsätze für die Menschen ,die besseren sind als die des anderen, daß er die Probleme der Zukunft besser meistern kann.

Uber dem Konflikt in den Sachaussagen, über dem Konflikt in Fragen der grundsätzlichen Orientierung der Gesellschaft, über dem Konflikt im Stil der Machtausübung und der Kontrolle, über all diesen Konflikten, die im Wahlkampf naturgemäß artikuliert und auch ausgetragen werden, darf doch der grundlegende Konsens nicht verlorengehen:

Nur auf dem Fundament einer unangefochtenen Ubereinkunft in grundlegenden Fragen können die Auseinandersetzungen im Konkreteren geführt werden, ohne dem Staat, dem gemeinsamen, Schaden zuzufügen.

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