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Digital In Arbeit

Nicht alle über einen Kamm scheren!

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Die Kodifikation - also die systematische Erfassung aller einschlägigen Einzelnormen - des österreichischen Arbeitsrechtes stand vergangenes Wochenende im Mittelpunkt einer „gewerkschaftskundlichen Tagung“ der Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG) und des Dr.-Karl-Kummer-Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform in Wien.

Die Thematik setzte die Zielvorstellungen von Schutz und Gerechtigkeit für den einzelnen Arbeitnehmer in das Spannungsfeld „zwischen Freiheit und Kollektiv“ mit ihren Extremen der Anarchie und des Zentralismus, des Dirigismus. Auf der Suche nach der sozialen Mitte - dem Freiheitsprinzip der katholischen Soziallehre - sei weder der Liberalismus noch der Kollektivismus, sondern einzig und allein die menschliche Würde jene Instanz, die Freiheit in Gemeinschaft bestimme.

„Der Mensch kann nur Person werden in der Gemeinschaft“. Diese Einsicht verwirkliche sich einerseits in der Vernunft und andererseits im Gewissen, führte Univ.-Prof. DDr. Rudolf Weiler in seinem Referat „Grenzen der Freiheit“ aus. Weiler warnte vor Extrempositionen, durch die gesellschaftlicher Konsens genauso gefährdet sei wie die wirtschaftliche Kooperation und damit letztlich auch der Arbeitsplatz des einzelnen.

Ging es in der Geschichte des Arbeitsrechtes zunächt um reine Schutzbestimmungen, so steht heute neben Arbeitsplatzsicherung, Arbeitsmedizin und technischem Arbeitsstandard die Sinnfrage im Mittelpunkt aller Überlegungen. Die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung durch Mitbestimmung und Mitgestaltung, durch Ausüben des erlernten und angestrebten Berufes, waren Schwerpunkte der Diskussion über die einheitlichen Grundnormen des „neuen“ Arbeitsrechtes, das für Arbeiter, Facharbeiter, Angestellte, Manager und Generaldirektoren in gleicher Weise Anwendung finden solle.

Dies dürfe aber keineswegs zu der simplen Forderung führen: „Gleiches Arbeitsrecht für alle Arbeitnehmer“. Denn gerade die spezifischen Unterschiede zwischen den jeweiligen Berufsgruppen, aber auch - und darauf wurde besonderes Augenmerk gelegt - die individuellen Bedürfnisse des Arbeitsnehmers müssen der rechtlichen Verwirklichung von Chancengerechtigkeit und Persönlichkeitsentfaltung zugrunde liegen. Nur ein individuelles Arbeitsrecht könne der Entfremdung, der Manipulation am Arbeitsplatz entgegenwirken und den Menschen zu Leistung und sozialer Eigenverantwortlichkeit motivieren.

In diesem Sinne und aus aktuellem Anlaß wurde einhellig die jüngst von Sozialminister Gerhard Weißenberg vorgeschlagene Abfertigungsrege-

lung für Arbeiter abgelehnt. Es sei problematisch, das speziell für die Situation des Angestellten entwickelte Abfertigungssystem mechanistisch zu übernehmen. Hier könne man nicht undifferenziert und gedankenlos kopieren:

„Für die Arbeiterschaft muß eine adäquate Abfertigungsmodalität geschaffen werden“, in der unter anderem die jeweilige Mindestdauer eines Arbeitsverhältnisses branchenbezogen festzulegen sei, erklärte Hans Klingler, Zentralsekretär der Privatangestelltengewerkschaft. Das Beispiel des Bauarbeiters, für den gerade ständiger Dienstgeberwechsel arbeitsspezifisch sei, spreche eine deutliche Sprache. Und so gebe es viele Berufszweige, die - ohne entsprechende Detailanpassung - „durch den Rost fallen würden“.

Obwohl die Abfertigung für Arbeiter von der FCG (Fraktion Christlicher Gewerkschafter) seit Jahrzehnten gefordert worden sei, wäre der Zeitpunkt für die Einführung einer derart weitreichenden Maßnahme denkbar ungünstig; es bedürfe zahlreicher Überlegungen und Differenzierungen, die nicht einmal im Ansatz diskutiert worden sind. Im übrigen sei es fraglich, ob auf Grund der gegenwärtigen Wirtschaftslage die Firmen überhaupt imstande wären, die entsprechenden Rücklagen zu bilden: alles in allem eine überstürzte Vorgangsweise, bestenfalls eine Geste, zwangsläufig aber „Pfusch“.

Ein weiteres Anliegen der Disku-tanten war die besondere Situation der Klein- und Mittelbetriebe, gibt es doch in Österreich wenig Großunternehmen, wiewohl das derzeitige Arbeitsrecht in unverhältnismäßig hohem Ausmaß auf Gegebenheiten der Großindustrie abgestellt ist. Hier gelte es, spezifische Formen des Arbeitsrechtes für die mittelständische Wirtschaft zu finden, die bis dato bei manchen Regelungen abseits stehen mußte, lautete die Argumentation.

Uberhaupt zwängen die Vielfältigkeit des Arbeitslebens, die Berücksichtigung „sachlich begründeter Differenzierungen“, aber auch die Eliminierung von „sachlich unbegründeten Unterschieden“ und Privilegien zu einer vorsichtigen und schrittweisen Gestaltung des angestrebten Arbeitsgesetzbuches. Behutsames und an die jeweiligen Erfahrungen ständig rückgekoppeltes Vorgehen sei Voraussetzung für eine demokratische und dynamische Gesetzgebung mit dem Ziel einer humanen Arbeitswelt, in der die soziale Diskriminierung weitgehend abgebaut ist und die den erschütternden, gleichzeitig anklagend-resignieren-den Satz „Ich bin ja nur ein Arbeiter“ nicht mehr kennt.

Zur Erreichung dieses Zieles müßten die erforderlichen formalrechtlichen Regelungen vor allem von Bildung und Fortbildung begleitet sein.

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