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Unabhängig von der Regierung

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Am Anfang standen Mut, Zukunftsglaube und Initiative einiger weniger. Man schrieb den 12. April 1945. Teile Wiens waren von der Roten Armee besetzt worden, die deutschen Truppen zogen sich westwärts zurück. Die Kriegsfurie tobte noch und brachte Tod und Verderben, doch am gleichen und am nächsten Tag fanden bereits Besprechungen zwischen allen damals in Wien erreichbaren ehemaligen Gewerkschaftsfunktionären statt. Man war sich darüber einig, einen einheitlichen und überparteilichen Gewerkschaftsbund zu errichten. Am 30. April 1945 bewilligte die sowjetische Militärkommandantur die Gründung des österreichischen Gewerkschaftsbundes.

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Am Anfang standen Mut, Zukunftsglaube und Initiative einiger weniger. Man schrieb den 12. April 1945. Teile Wiens waren von der Roten Armee besetzt worden, die deutschen Truppen zogen sich westwärts zurück. Die Kriegsfurie tobte noch und brachte Tod und Verderben, doch am gleichen und am nächsten Tag fanden bereits Besprechungen zwischen allen damals in Wien erreichbaren ehemaligen Gewerkschaftsfunktionären statt. Man war sich darüber einig, einen einheitlichen und überparteilichen Gewerkschaftsbund zu errichten. Am 30. April 1945 bewilligte die sowjetische Militärkommandantur die Gründung des österreichischen Gewerkschaftsbundes.

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Erstmals gab es in Österreich einen einheitlichen, überparteilichen Gewerkschaftsbund, in dem alle Arbeiter, Angestellten und Beamten Platz fanden, gleichgültig, welche Weltanschauung sie hatten und welcher Partei sie angehörten Nur dieser grundlegende Wandel von den Richtungsgewerkschaften zum überparteilichen ÖGB schuf die Grundlage dafür, bei den gewaltigen Aufgaben, die vor uns standen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Erinnern wir uns doch an die ersten Nachkriegsjahre zurück: Österreichs Wirtschaft lag auf dem Boden. Ein Großteil der Produktionsstätten und zehn tausende Wohnungen waren zerstört. Hunderttausende Menschen —

wertvolle Arbeitskräfte — waren im Krieg getötet worden oder durch Verletzungen zu Invaliden geworden. Es gab kaum Verkehrsverbindungen, fast keinen Strom, sowie einen bedrohlichen Mangel an Lebensmitteln. Trotzdem gelang das gigantische Aufbauwerk. Nur durch die entscheidende Mithilfe des ÖGB war es möglich, Österreichs Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Die Arbeitnehmer unseres Landes, die zu einem Großteil dem ÖGB angehören, haben keine Opfer gescheut.

Auch als die schwersten Jahre vorüber waren, gab es noch genug Schwierigkeiten zu meistern. Der Gewerkschaftsbund und die Gewerkschaften, aus. denen er besteht, waren und sind sich stets ihrer Verantwortung gegenüber der gesamten Wirtschaft bewußt. Dabei ging man nicht zuletzt von der Erkenntnis aus, daß eine Steigerung der Produktion und eine Verbesserung der gesamten Wirtschaftslage die Voraussetzungen für die Erhöhung des Lebensstandards und die Erreichung weitgehender sozialer Sicherheiten für die arbeitenden Menschen bilden. Diese von Vernunft und Verantwortungsbewußtsein gekennzeichnete Politik hat der ÖGB nun seit mehr als 25 Jahren verfolgt — sowohl im Interesse der Wirtschaft als auch der Arbeitnehmer.

Diese Konsequenz und die daraus resultierenden Erfolge waren nur durch die Einheitlichkeit, Überparteilichkeit und Unabhängigkeit des ÖGB möglich. Der ÖGB ist keineswegs unpolitisch, denn um die Interessen der Arbeitnehmer wirkungsvoll vertreten zu können, muß er auf die Politik Einfluß nehmen. Der Gewerkschaftsbund ist aber auch eine selbständige Organisation, an keine Partei gebunden und keinen Parteibeschlüssen verpflichtet. Dieser Status gewährleistet allseitige Bewegungsfreiheit und verstärkt .das Gewicht und die Durchschlagskraft der Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Beim ersten Bundeskongreß des ÖGB im Jahre 1948 formulierte dies der damalige Bundeskanzler Ing. Leopold Figl so: „Nicht mehr durch politische Grundsätze aufgespaltene Einzelgewerkschaften vertreten die Wünsche der Arbeiter, sondern ein überparteilicher Gewerkschaft 3bund stellt eine geschlosssene Front aller Arbeiter und Angestellten ohne Unterschied der Parteirichtung dar. Der Einfluß und die Stoßkraft dieser Organisation ist naturgemäß wesentlich stärker. Wenn man noen bedenkt, daß hinter dieser einheitlichen Organisation rund zwei Drittel aller österreichischen Arbeitnehmer stehen, kann man ermessen, daß jede österreichische Regierung bestrebt sein muß, die Wünsche der Mitglieder des Gewerkschaftsbundes mit den Interessen der übrigen tragenden Schichten unseres Volkes in Einklang zu bringen.“

Seit der Gründung hat sich an der grundsätzlichen Einstellung des ÖGB zu Unternehmern, Parteien und Regierung nichts geändert. Beim sechsten Bundeskongreß des ÖGB im Jahre 1967 habe ich dies so zu skizzieren versucht: „Als freie Gewerkschaftler sind wir: unabhängig ‘ytjin’.

Staat, der Regierung, den Unternehmern und von den politischen Parteien. Der ÖGB ist weder eine Oppositionspartei noch ein Teil des Staats- und Verwaltungsapparates. Unsere Aufgabe ist es, weder aus grundsätzlichen Erwägungen der

Regierung Schwierigkeiten zu machen, noch ihr regieren zu helfen. Unsere Einstellung zur Regierung hängt davon ab, in welchem Maße diese den berechtigten Wünschen, Anliegen und Bedürfnissen der

Arbeitnehmer entspricht“

Bei einem Rückblick auf mehr als 25 Jahre konstruktiver Mitarbeit des ÖGB auf allen wesentlichen Gebieten des öffentlichen Lebens kann man feststellen, daß sich die Einheitlichkeit und Überparteilichkeit des Gewerkschaftsbundes bewährt hat. Wenn wir die großen Aufgaben unserer Zukunft lösen wollen, müssen wir so wie bisher Zusammenarbeiten. Unsere Gemeinschaft hat nach 1945 — als es galt, unser Land und unsere Wirtschaft wieder aufzubauen, und in all den Jahren seither bis zum heutigen Tag — allseits anerkannte Leistungen erbracht. Allen Funktionären, Betriebsräten, Ver- trauensmännem und Mitgliedern, ganz gleich, welcher Fraktion sie angehören, ist für dieses gemeinsame Wirken und Zusammenstehen im ÖGB zum Wöhle der Arbeitnehmer unseres Landes zu danken. Wir können trotz Schwierigkeiten und mancher Angriffe viele Erfolge verzeichnen.

Wenn ich feststellte, daß durch unsere Geschlossenheit und Zusammenarbeit viel erreicht wurde, dann möchte ich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, daß alle, denen das Wohl des ganzen Volkes am Herzen liegt, sich an unserer Zusammenarbeit^ fn Beispiel hehmėn

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