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Digital In Arbeit

Alles durch, nichts gegen den ÖGB

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Der Zentralvorstand der Privatangestelltengewerkschaft, der mit immerhin 320.000 Mitgliedern größten Gewerkschaft, hat an die Mitglieder einen Entwurf für ein Aktionsprogramm für die nächsten vier Jahre ausgesandt Der Entwurf soll im Zentralvorstand Anfang Juni beschlossen werden. Auf zwölf engbedruckten Seiten wird da allerhand gefordert: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich der Privatangestellten-Chef Alfred Dallinger mit diesem Monsterpapier gegenüber seinem Konkurrenten im Anton-Benya-Nachfolgespiel, dem Metallgewerkschafts- und Fußball-Multifunktionär Karl Sekanina, deutlich profilieren möchte.

Um es vorwegzunehmen: Der Entwurf ist einerseits ein Allerweltspa-pier, in dem wohl jeder etwas Passendes für sich finden kann, anderseits zeigt sich trotz vieler Wiederholungen doch so etwas wie ein „roter“ Faden, der sich durch sämtliche Kapitel zieht. Die Gewerkschaft, nicht etwa der Betriebsrat oder gar der einzelne Arbeitnehmer, soll stärker werden, mehr Mitsprache erhalten, mehr Verantwortung im Staate übernehmen.

Die Forderungen beschränken sich nicht nur auf wirtschafts- und sozialpolitische Belange, sie erstrecken sich auch auf Themenbereiche, die auf den-ersten Blick nichts mit Gewerkschaftsarbeit zu tun haben, wie etwa auf die Medienpolitik. Wer sich noch an die unseligen Folgen der Einmischung des ÖGB in die sogenannte ORF-Reform erinnert, kann nicht umhin, nichts Gutes von derartigen Ankündigungen zu erwarten.

Ein paar Kostproben aus dem Programmentwurf machen die Intentionen des Redaktionsteams besonders deutlich:

Einleitend wird zur Wirtschaftspolitik „festgestellt“, daß die „Verflechtung des Wirtschaftsgeschehens... eine Ergänzung des Wettbewerbs durch Planung, Koordination und Steuerung der Wirtschaftspolitik unter Mitwirkung der Gewerkschaften bedingt“. Nicht nur der Mitgestaltungsanspruch der Gewerkschaft ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, sondern insbesondere die Tatsache, daß der Wettbewerb einer „Ergänzung“ durch Planung und Steuerung bedürfe.

Vordringlich sei in diesem Zusammenhang die „Förderung von Betrieben durch öffentliche Mittel zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen unter Mitwirkung und Kontrolle der Betriebsräte und der Gewerkschaften“ anzustreben.

Auch in der Mitbestimmung, die ein Hauptanliegen der Privatangestelltengewerkschaft (GPA) darstellt - wobei insbesondere auf paritätische Mitbestimmung abgestellt wird -, zeigt sich deutlich, welchen Stellenwert die Sozialisten dem vielzitierten „mündigen Bürger“ einräumen: Neben der betrieblichen Mitbestimmung ist der Programmentwurf vor allem auf die überbetriebliche Mitbestimmung durch die Gewerkschaften zugeschnitten.

Die Forderungen sind entlarvend, denn den Sozialisten geht es nicht -wie auch zahlreiche ausländische Beispiele zeigen - um die Übernahme von Verantwortung durch den einzelnen Arbeitnehmer, sondern um die zentrale Zugriffsgewalt von Staat und Gewerkschaft auf die einzelnen Bürger. Zweifellos ist dies gar kein so unpopulärer Weg, ist er doch jener der Bequemlichkeit: Mitdenken, Mitverantworten und Mitbestimmen werden uns Zug um Zug abgenommen - der große Bruder erledigt alles für uns.

Neben diesem Kernpunkt verblassen alle anderen Teile des Programmentwurfs. Selbstverständlich kommt auch die Vermögensbildung zu Ehren, eine nähere Analyse hält man aber offenbar nicht für notwendig, gibt es doch seit geraumer Zeit das Papier der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter, in dem sich diese für die überbetriebliche Variante der Vermögensbildung ausspricht.

Offensichtlich motiviert durch zahlreiche erfolgreiche Privatisierungen von gemeinwirtschaftlichen Betrieben im In- und Ausland wurde auch ein Bekenntnis zur Gemeinwirtschaft ins Programm aufgenommen, doch dürfe diese an der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht durch „Verpolitisierung gehindert werden“. Auch zum Wohnbau finden sich zahlreiche Aussagen und

Forderungen, das Wörtchen „Wohnungseigentum“ taucht bezeichnenderweise jedoch kein einziges Mal auf.

Das Bekenntnis zur Zementierung der derzeitigen Ladenschlußzeiten darf selbstverständlich auch nicht fehlen. Kündigungs- und Entlassungsschutz sollen generell auch auf Ersatzmitglieder des Betriebsrates angewendet werden; die Arbeitnehmervertreter sollen den Vertretern der Arbeitgeber in den Aufsichtsräten gleichgestellt werden; für Dienstnehmer in Betrieben mit weniger als fünf Beschäftigten soll ein spezieller Kündigungsschutz geschaffen werden: Hier kann es sich nur um eine Forderung wider besseres Wissen handeln, denn die Kleinbetriebe sind zwar Bollwerke der Arbeitsplatzsicherung, doch könnte ein wirtschaftlich gerechtfertigter aber durch eine solche

Bestimmung verhinderter Abbau von Arbeitskräften ruinöse Effekte für sämtliche Kleinbetriebe haben. Die volle gesetzliche Abfertigung soll schließlich auch bei Kündigung durch den Arbeitnehmer zustehen; die zwischen- und überbetrieblichen Lehrwerkstätten sollen ausgebaut werden.

Bei einer Reihe weiterer Vorschläge verläßt die GPA gewerkschaftliches Territorium und geht ins „Grundsätzliche“:

Die Änderung der Lehrpläne der pädagogischen Akademien wird gefordert, „damit die Lehrkräfte im Rahmen ihrer Ausbildung jene objektiven Informationen erhalten, die die Vermittlung eines demokratischen Gesellschaftsbildes sichern“. Verlangt wird auch die „Erleichte-

rung des Universitätszugangs ohne Matura“ sowie die „Beiziehung von qualifizierten Vertretern der Gewerkschaft sowohl bei der Vergabe von Forschungsmitteln, bei der Durchführung der Forschungsvorhaben als auch bei der Auswertung und Anwendung der Forschungsergebnisse“.

Die GPA hat sich ein weites Betätigungsfeld vorgenommen, nicht zuletzt tritt sie auch „für eine Medienpolitik ein, die dem Staatsbürger die notwendigen Informationen und Einsichten ermöglicht, die er zur Ausübung seiner demokratischen Mitwirkungsrechte braucht. Sie bekennt sich zu einer Medienpolitik, die der Sicherung und dem Ausbau der Meinungs- und Informationsfreiheit dient und die Demokratisierung aller Gesellschaftsbereiche fördert“. Man sollte sich hier

doch fragen, was unter „notwendigen Informationen“ zu verstehen ist - oder welche die unnotwendigen Informationen sind...

Langfristig betrachtet, wird man sich die erhobenen Forderungen merken müssen, denn die Gewerkschaften suchen sich international immer neue Einflußbereiche. Die Grundidee der Gewerkschaften, im Sinne der Arbeitnehmer die Tarifpolitik und die Qualität der Arbeitsplätze zu beeinflußen, ist für derart mächtige Organisationen - so möchte man meinen - fast ein zu banales Anliegen geworden.

Daß es heute keine politisch relevante Frage mehr gibt mit der sich die Gewerkschafter nicht befassen und die von ihnen nicht mitentschieden wird, das geben die Gewerkschaftsbosse gelegentlich selbst zu. Auf dem Weg zum Gewerkschaftsstaat sind wir in Österreich vielleicht noch nicht ganz so weit vorgedrungen, wie die Schweden, das sollte uns aber nicht hindern, immer wieder auf die äußerst bedenkliche Verlagerung des politischen Entscheidungsprozesses von den verfassungsmäßig vorgesehenen Organen in den parlamentsfreien Raum hinzuweisen.

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