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Das Versteckspiel

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Jeder Teilnehmer des 7. Gewerkschaftstages der Privatangestellten geht mit einem schwarzen Diplomatenkoffer nach Hause, den er von der splendiden Gewerkschaftsleitung geschenkt bekommen hat. Der Koffer ist aber bis an den Rand voll. Voll mit Leistungsberichten und einem respektablen Forderungspaket.

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Jeder Teilnehmer des 7. Gewerkschaftstages der Privatangestellten geht mit einem schwarzen Diplomatenkoffer nach Hause, den er von der splendiden Gewerkschaftsleitung geschenkt bekommen hat. Der Koffer ist aber bis an den Rand voll. Voll mit Leistungsberichten und einem respektablen Forderungspaket.

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Das neue Aktionsprogramm sieht so aus:

• Sicherung eines optimalen Wirtschaftswachstums.

• Erhaltung der Vollbeschäftigung.

• Sozial gerechte Einkommensverteilung.

• Verantwortungsbewußte Preispolitik.

• Stabile Währung.

• Ausbau einer zukunftsorientierten Berufsausbildung und -Weiterbildung.

• Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

Wen diese Wünsche etwas skeptisch stimmen sollten — ihr Motto ist anscheinend: Alles, was gut und teuer —, der wird mit den Voraussetzungen der Erfüllung der Wunschliste konfrontiert: Ausbau der Wirtschaftsdemokratie und Aufstellung eines Wirtschaftsprogramms. Näherhin: Das Mitspracherecht der Betriebsräte ist durch verstärkte Vertretung der Arbeitnehmer in den leitenden Organen der Unternehmungen zu sichern. Wahrscheinlich weiß man zuständigen Orts, wie diese Dinge zu einem nahtlosen Ganzen zu formieren sind; der Außenstehende wartet auf nähere Begründung; zur Stunde liegt sie noch nicht vor. Neben einer weiteren aktiven Gehaltspolitik, die selbstverständlich ist, legt die Gewerkschaft größten Wert auf eine gerechte Steuerpolitik. Und hier ist Angriffsziel Nr. 1 die Lohnsteuerprogression, die infolge und im Zuge der Geldentwertung die Arbeitnehmer und die Pensionisten zunehmend belastet. Die Gewerkschaft stellt die ,.wichtigste Forderung“: Milderung der Steuerprogression bei gleichzeitiger wesentlicher Ausweitung des Steuersatzes über die derzeitige Höchstgrenze. Die Progression müßte darüber hinaus in entsprechenden Zeitabständen um das Ausmaß der durchschnittlichen Erhöhung der Lebenshaltungskosten verändert werden.

Diese Forderung geht eindeutig an die Adresse der Regierung. Auch die Gewerkschaft der Privatangestellten hält an der Linie des Gewerkschaftsbundes konsequent fest und legt größten Wert auf die Feststellung, daß ihr Aktionsradius und ihre Forderungsschwerpunkte sich durch den Wechsel in der Regierung durch nichts geändert haben. Der Vorsitzende der Gewerkschaft ist freilich der Vizekanzler der Bundesregierung, Ing. Rudolf Häuser. Er wird geradezu zelebral als „Ingenieur Häuser“ angesprochen. Daß er nebenbei auch Vizekanzler ist, soll am liebsten gar nicht zur Kenntnis genommen werden. Dabei wäre es keine Schande, wenn Häuser, der schon im Parlament seit vielen Jahren Zeugnisse seiner Fähigkeiten als Politiker ablegt, ein hohes Regierungsamt bekleidet. Man kann, man darf offensichtlich gewisse Tabus eben nicht brechen: Ein Gewerkschafter muß von der Regierung fordern, er kann aber schwer von sich selber etwas mit der dazu nötigen verbissenen Energie und Eloquenz fordern. Daß der Widerspruch mit Versteckspiel nicht zu lösen ist, müßte klar sein. Vielleicht entschließt man sich bis zum nächsten Gewerkschaftstag zu einer Uberprüfung von „Strategie und Taktik“, wie es allenthalben so schön heißt, und wenn nicht, dann wenigstens der ,,Sprachregelung“.

Das Programm runden wichtige Forderungen ab, hinsichtlich der schon bekannten Wünsche des Rechtes auf Abfertigung bei Angestellten, die wegen Erreichung des Pensionsalters oder — bei Frauen — wegen Verehelichung oder Niederkunft das Dienstverhältnis lösen. Die Urlaubszeit soll bei Angestellten, deren Dienstverhältnis bereits 20 Jahre dauert, auf 30 Werktage erhöht werden. Interessante Punkte sind schließlich die Forderung des Schutzes vor nachteiligen Folgen der Automation und die Forderung einer bezahlten Freizeit für Schulungszwecke.

Mit einem gezielten Schuß lenkte übrigens der Sozialpolitische Arbeitsausschuß der ÖVP die Aufmerksamkeit auf sich. Er legte den Text eines Initiativantrages vor, in dem ein umfassendes, für alle Arbeitnehmer gleichmäßig geltendes Urlaubsgesetz gewünscht wird. Das gilt für Vor-dienstzeitanrechnung, Urlaubsteilung und so weiter. Der Wirtschaftsbund hat dazu im großen und ganzen sein Plazet gegeben.

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