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Tories nicht wählbar, Labour noch nicht

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Die Briten leiden an politischer Apathie. Ihre Politiker wünschen sie zur Hölle. Der herbstliche Reigen der Parteikonferenzen offenbarte es.

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Die Briten leiden an politischer Apathie. Ihre Politiker wünschen sie zur Hölle. Der herbstliche Reigen der Parteikonferenzen offenbarte es.

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Nach 14 Jahren Herrschaft zei-gen sich bei den regierenden _L l Konservativen schwere Abnützungserscheinungen, interne Querelen und akute Führungs-schwächen. Labour hat die störrischen Gewerkschaften etwas auf Armlänge gebracht, aber noch nicht den Zuschnitt einer modernen Arbeiterpartei gewonnen.

Die von allen guten Geistern verlassenen Tories tanken seit Dienstag in Blackpool lange vermißtes Selbstvertrauen und Glaubwürdigkeit. Die Partei macht den Eindruck, wie der geschaßte Finanzminister Norman Lamont bissig bemerkte, wohl im Amte, nicht aber an der Macht zu sein.

Die Probleme beginnen an der Spitze: John Major ist der unpopulärste Führer seit Erfindung der Volksbefragungen. Heute scheint fast vergessen, daß er die Wahlen im April vergangenen Jahres für seine Partei gewonnen hat. Auch die Überwindung der Rezession wird ihm nicht gutgeschrieben. Vor drei Jahren wurde Major als Nachfolger von Maggie Thatcher gewählt, weil er allein die über Europa und die de wieder zu versöhnen fähig schien. Nichts dergleichen ist geschehen.

Auf der Parteikonferenz ist Major wenigstens ungefährdet. Es wird zu keiner Herausforderung an den Führer kommen. Er ist, wie man im Hauptquartier sagt, ein Premier auf Rewährung. Stoff für Streitigkeiten gibt es in Hülle und Fülle. Der neue Finanzminister Kenneth Clarke, erster Anwärter auf die Nachfolge, aber dem rechten Flügel suspekt, liegt sich mit seinem Vorgänger Lamont über die Art in den Haaren, wie das enorme Loch im Haushalt wenigstens annähernd gestopft werden kann: durch Anziehen der Steuerschraube, wie es Clarke für sein Novemberbudget anpeilt, oder durch Ausgabenkürzungen, wofür sich Lamont stark macht.

So oder so: Tory-Politik ist derzeit nicht mehr sonderlich gefragt: Die Volksseele kocht über die seinerzeit noch von Lamont beschlossene Mehrwertsteuer auf Brennstoff, wobei gerade die Alten und Kranken zum Handkuß kommen; über die Privatisierung von Wässer und Eisenbahn; über die Machtlosigkeit der Konservativen gegenüber dem beängstigend steigenden Verbrechen; angebliche oder wirkliche Abstriche am geliebten Gesundheitsdienst, drakonische Schließung von Kohlegruben.

Labour müßte in der Volksmeinung eigentlich die Regierungspartei uneinholbar abgehängt haben; doch der Vorsprung reißt die Bürger nicht von den Sitzen. Der Arbeiterpartei hängt nämlich immer noch das alte Vorurteil nach, sie sei altmodisch und habe keine Beziehung zur gene Woche hat Führer John Smith endlich durchgesetzt, was zeitgemäße Linksparteien schon vor einem Jahrhundert zustande gebracht haben: mehr Demokratie in der Parteiverfassung. Der übermäßige Einfluß der Gewerkschaften in Parteibelange ist etwas beschnitten worden. In der Auswahl von Parlamentskandidaten wurde den Verbänden ihre undemokratischen massiven Blockstimmen abgenommen. Gewerkschafter dürfen nur mehr individuell gewählt werden.

Der knappe Sieg über die auf ihren alten Privilegien beharrenden Gewerkschaften ist als Triumph für Smith gefeiert worden. Bei Licht betrachtet ist die Abhalfterung der Verbände, die Geld in die Labourkasse bringen, indes doch mehr kosmetisch. Den Verbänden bleibt noch ein hohes Mitspracherecht bei der Führerwahl und an den Kongressen. Die Gewerkschaftsbosse haben Macht an ihre Mitglieder verloren, dafür aber Zugeständnisse in der Parteipolitik erkauft: ein gesetzlicher Minimallohn, legaler Schutz der Arbeiter vor Entlassung, die Bückkehr des von den Tories ausgeklammerten Sozialkapitels in den Maastricht Vertrag.

Obwohl die nächsten Wahlen erst in drei Jahren fällig werden, rechnen sich auch professionelle Optimisten bei Labour keine Chancen auf die absolute Mehrheit aus. Allein kann es Smith nicht schaffen, er braucht die Schützenhilfe der in letzter Zeit so erfolgreichen Liberalen Demokraten. Insgeheim laufen die Kontakte zu Päddy Ashdown, aber ein Wahlpakt steht vorderhand nicht

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