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Erste Risse im Tory-Gebäude

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Spätestens der Streik der Stahlarbeiter hat es an den Tag gebracht: Die Regierung Thatcher hat zwar, gemessen an den Vorgängern, ein revolutionäres Programm, allein ein Teil des Kabinetts verzweifelt bereits an der Wirksamkeit von Thatchers „bitterer Arznei für eine kranke Wirtschaft". Die Euphorie nach einem überwältigenden Wahlsieg hat Meinungsverschiedenheiten verdeckt, Kontroversen darüber, ob der eingeschlagene Weg den Erfolg wirklich sichert. Nach neun Monaten Tory-Regierung zeigen sich Risse im Gebäude:

Rechts steht gegen Links, Gemäßigte opponieren gegen Radikale, Tauben gegen Falken, Bedächtigkeit sucht Eilfertigkeit zu dämmen. Gegenwärtig gehört es an der Themse zum beliebten Gesellschaftsspiel, die Minister (ausgenommen Lord Soa-mes, der in Rhodesien weilt) in das Dreierschema einzureihen: unbedingte Thatcherianer, Kritiker und Opponenten der Strategie und schließlich solche, die den Ausgleich zwischen den beiden Flügeln suchen. Die Zuordnung ist nicht immer eindeutig.

Zwei haben sich freilich so weit profiliert, daß sie über jeden Zweifel erhaben sind: Schatzkanzler Howe, unbedingter Gefolgsmann der Premierministerin, wirft der „Taube" Prior, dem Arbeitsminister, vor, in der Einschränkung der überbordenden Gewerkschaftsmacht zu bedächtig und zaghaft vorzugehen.

Es ist derselbe Howe, der 1971 jenes Arbeitsgesetz konstruiert hat, das wenige Jahre später der Regierung Heath den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Prior wehrt sich und verteidigt seine Gewerkschaftspolitik. Howe habe nicht aus dem Fiasko der alten Gesetzgebung gelernt.

Arbeitsminister Prior ist überzeugt davon, daß der Vorgang, den Gewerkschaften, die praktisch über dem Gesetz stehen, Fesseln anzulegen, nicht überstürzt werden darf. Die harte Konfrontation mit den Arbeiterverbänden bleibt dem nicht erspart, der sich Hals über Kopf mit ihnen anlegt. Minimale Gesetzgebung heißt Verringerung des Widerstandes der Gewerkschaften, hält die Tür zu Verhandlungen der Tarifpartner offen. Also steht Prior in ständiger Tuchfühlung mit ihnen.

Gleichwohl ist Priors Auseinandersetzung auf zwei Fronten schwierig: Die Vertreter einer radikalen Politik werfen ihm Untätigkeit vor; die Gewerkschaften wollen von einer Anerkennung des gemäßigten Kurses nichts wissen. Zudem lehrt die Erfahrung, daß Konzessionen an die Gewerkschaften von diesen bisher immer dazu benützt worden sind, ihren Machtanteil auszudehnen, die Verhandlungsbasis zu ihren Gunsten zu verändern.

Priors erste Aktion, die nun unter Beschluß steht, ist ein gemäßigtes Gewerkschaftsgesetz, das aber von den betroffenen Verbänden einhellig abgelehnt wurde. Es geht dem sogenannten „secundary picketing" (Boykott von Betrieben, die nicht am Arbeitskonflikt beteiligt sind, durch

Posten der streikenden Gewerkschaften) zu Leibe, beschneidet das Gewerkschaftsmonopol in einem Betrieb und stimuliert geheime Abstimmungen dort, wo bisher durch Handheben votiert worden ist.

Dieses Gesetz, in einigen Monaten wirksam, hat mittlerweile Ergänzungen erfahren, die einer Ausbreitung von Streikaktionen zuvorkommen sollen. Zuletzt hat der Stahlstreik durch das gewaltsame Ubergreifen auf die private Industrie gefährliche und für die Betroffenen unerwünschte Formen angenommen. Priors Zusätze zum Arbeitsgesetz stärken das Recht von Unternehmern, Arbeitern, Lieferanten und Kunden, von einem Konflikt verschont zu werden, an dem sie nur indirekt beteiligt sind.

Margaret Thatcher hat zudem Aktionen in Aussicht gestellt, welche die Privilegien der Gewerkschaften1 weiter beschneiden. Sie will diese zur Kasse bitten für einen Scrfa'dgn,!denf sie durch den Arbeitskonflikt selbst verschuldet haben. Bis jetzt berappt der Steuerzahler für Aktionen, die den Produktionsprozeß stillegen.

Die Verluste des Stahlstreiks sind katastrophal: wöchentlich 300 Millionen Schilling. Die Eisenbahn sieht sich im selben Zeitraum um 60 Millionen Schilling geprellt - Einnahmen aus Frachtlieferungen. Die Einbußen durch den Verlust von nationalen und internationalen Marktanteilen lassen sich noch gar nicht berechnen.

Noch in anderer Hinsicht hat der Stahlstreik den Bruderzwist im Hause Thatcher genährt: Die Gemäßigten sind zutiefst beunruhigt, wie der Industrieminister Sir Keith Joseph, graue Eminenz im Kabinett, die staatliche Industrie behandelt. Sie fordern Lockerung der strikten Zweckbestimmung öffentlicher Zuwendungen auf Investitionen. Joseph aber hält sich an den Wahlauftrag, an das Gebot der „Nicht-Intervention" bei Lohnkonflikten, verweigert öffentliche Mittel für Lohnerhöhungen, die vom Arbeiter selbst durch verstärkte Leistung verdient werden können.

Zudem gerät Frau Thatcher mit ihrem Programm in Verzug, die Ausgaben der öffentlichen Hand herabzusetzen, um dadurch der Inflation Herr zu werden. Die Kritik an der Wirksamkeit dieser Maßnahme ist auch im Kabinett nicht mehr zu überhören.

Auf der Strecke bleibt dadurch ein anderes Versprechen: die schon einmal gesenkten direkten Steuern erneut herabzusetzen, zumal die Erleichterungen mittlerweile durch eine Inflationsrate, die sich flugs den 20 Prozent'nähert, aufgesaugt worden sind. Dafür steigen die Verbraucherpreise, Gas und Strom werden empfindlich teurer.

Aber Thatchers Programm ist auf Langfristigkeit ausgerichtet, erfordert Geduld nicht nur bei den Staatsbürgern, sondern auch in der Führungsmannschaft. Die Gewerkschaften bilden nur ein Problem, doch sie stehen durch die Ereignisse der letzten Zeit im Blickpunkt.

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