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55.000 Pfund gegen Streiklust

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Es scheint, daß das neue — von der konservativen Regierung eingeführte Arbeitsgesetz mit Erfolg angewandt worden ist. Als das Arbeitsgericht in der Frage des Bummelstreiks der englischen Eisenbahner entschieden hatte, kamen die Gewerkschaftsführer und die Labour-Opposition überhaupt erst zu der Erkenntnis, daß sie das Gesetz, so wenig es ihnen auch zusagen mag, nicht einfach ignorieren können. So wurde den Mitgliedern der Gewerkschaften geraten, der Gerichtsentscheidung nachzukommen.

Die andere Frage ist natürlich, ob sich die Gewerkschaftsführungen mit ihren Ansichten immer bei den Mitgliedern durchsetzen können. Ein Teil der Eisenbahner hat sich geweigert, die Entscheidung des Arbeitsgerichtes zu befolgen, so daß die Betriebsstörungen weitergehen.

Die Transportarbeitergewerkschaft, die größte aller britischen Gewerkschaften, hat man jetzt mit einer Geldstrafe von 55.00Q Pfund belegt, weil sie die Anweisung des Gerichts nicht befolgte, dem Boykott von Speditionsfirmen im Hafen von

Liverpool ein Ende zu machen. Wir erleben jetzt das ungewöhnliche Schauspiel, daß der Generalsekretär dieser Gewerkschaft, Jack Jones, ein Mann des linken Flügels und entschiedener Gegner der Arbeitsgesetzgebung, die Betriebsobmänner in Liverpool auffordert, den Boykott einzustellen — bisher ohne Erfolg. Eine Fortsetzung des Boykotts könnte dazu führen, daß man alle Vermögenswerte der Gewerkschaft „einfriert”. schlössen, Verhaltensregeln aufzustellen, die es den Gewerkschaften ermöglichen würden, sich vor dem Gericht zu verteidigen. Man ist der Ansicht, das Gericht habe über die Eisenbahner gewissermaßen im Abwesenheitsverfahren entschieden, weil es von den Gewerkschaften boykottiert wurde.

Die Gewerkschaften wünschen, daß eine künftige Labour-Regierung das Arbeitsgesetz wieder aufhebt; aber vorerst müssen sie sich mit ihm abfinden. Es wird der Standpunkt vertreten, dieses Gesetz sei dazu angetan, das Betriebsklima zu verschlechtern, und es lasse sich in Fällen, in denen viele Arbeiter dagegen sind, nicht aufzwingen. Wahrscheinlich ist es noch zu früh, zu sagen, ob das neue Gesetz die Hoffnungen der Regierung erfüllen und das ganze Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verbessern wird. Zweifellos werden sich bei seiner Anwendung zunächst manche Spannungen ergeben. Anderseits weiß man, wie sehr es der Öffentlichkeit

La verite

Sogar die „Unitä” hat den Protest der italienischen Journalistengewerkschaft gegen die massenhaften Entlassungen tschechischer Journalisten in Prag abgedruckt — wenn auch nur in wenigen Zeilen. Jedenfalls bemerkenswert; die Beziehungen zwischen den italienischen und tschechischen Kommunisten nach dem Fall Ochetto und der Ausweisung des „Unitä”-Korrespondenten Zidaf aus der CSSR sind ja ohnehin gespannt.

Gespannt auch wegen der Aktivität der sozialistischen tschechoslowakischen Opposition, die, von Jifi Pelikan offenbar wirksam gelenkt, in Rom die Exilzeitschrift „Listy” herausbringt. Ein Periodikum, das seit zwei Jahren kontinuierlich über die Repression auf dem politischen und kulturellen Sektor in der CSSR informiert, das Gerichtsprotokolle in Sachen neostalinistischer Justiz zugänglich macht, das, kurz gesagt, immer wieder Beispiele aus dem „Biafra der Intellektuellen” (Aragon) der Weltöffentlichkeit präsentiert.

Daß eine kritische Öffentlichkeit ein Anrecht hat, zu erfahren, was in unserem Nachbarland geschieht, ist wohl selbstverständlich. Daß jetzt in Paris eine französische „Listy”-Aus-gabe erschienen ist, ist zu begrüßen. Proclamer la verite, schreibt Ver-cors eingangs, sicherlich zum Mißvergnügen des Husäk-Regimes. Aber, um mit Antonio Gramsci zu sprechen, ist die Wahrheit nicht immer revolutionär? In der CSSR ganz sicher nicht. Da genügt heute offenbar ein Julius Fucik.

Überdies hat das Arbeitsgericht den Gewerkschaftsbund jetzt darauf aufmerksam gemacht, daß er sich mit seiner Suspendierung der Seeleutegewerkschaft wegen deren Zusammenarbeit mit dem Gericht der Mißachtung des Gesetzes schuldig machen könnte.

Boykott

All dies zwingt die Gewerkschaften, ihre Position zu überprüfen und sich zu fragen, ob sie das neue Gesetz und das Arbeitsgericht auch weiterhin ignorieren sollen. Der Gewerkschaftsbund hat bereits bemißfällt, wenn sich die Gewerkschaften allem Anschein nach außerhalb der Gesetze stellen und versuchen, einer demokratisch gewählten Regierung ihren Willen aufzuzwingen.

Daran ändert auch der neuerliche Bummelstredk der Eisenbahner nichts, der den Briten wieder bewußt macht, daß es einfach so nicht weitergehen kann. Auch die parallel eingeleitete Berufung gegen das Arbeitsgerichtsurteil macht bereits klar, daß die Gewerkschaften das Gesetz immerhin respektieren.

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