6690779-1962_37_06.jpg
Digital In Arbeit

Franco wirbt um Arbeiterschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Nach achtzehntägigem Streik haben 1 die Minenarbeiter Asturiens (Nord-' Spanien) einen spektakulären, aber keineswegs entscheidenden Sieg über die Regierung errungen. Wohl war der Ausstand für die Behörden und ihre Presse nur „ein ausschließlich politisches Manöver“, doch konnte man seinen sozialen und gewerkschaftspolitischen Aspekt bloß minimisieren, nicht aber verkennen. Sein Vorhandensein gibt nun die Regierung selbst zu, indem sie im letzten Ministerrat verschiedene Dekrete erließ, welche , die Anliegen der Arbeiterschaft, von denen man offiziell keine Kenntnis gehabt haben will, zu regeln suchen und den Wünschen der Streikenden entgegenkommen.

Einmal sollen Arbeitskonflikte künftig auf folgende Weise geregelt werden: In der ersten Phase müssen Arbeiter und Unternehmer im Rahmen der staatlichen Einheitssyndikate, die sie zusammenschließen, eine Einigung versuchen. Mißlingt diese, steht es zweitens beim Arbeitsminister, eine Entscheidung zu treffen. Wird dagegen rekurriert, kann in einer dritten Phase das Arbeitsgericht angerufen werden. Damit wird ein beweglicheres Schlichtungsverfahren als bisher geschaffen, aber der Streik abermals ausdrücklich als ungesetzlich erklärt. Werden die Arbeiter, deren illegale (sozialistische, anarchosyn-dikälistische und andere) wie legale (katholische) Organisationen außerhalb der Staatssyndikate seit langem das Streikrecht fordern, diese Lösung annehmen? Die älteren kaum, die jüngeren, unter dem Regime aufgei wachsenen, könnten versuchen, ob der nun vorgeschlagene Weg nicht doch gangbar ist.

Zum zweiten werden die Alterspensionen für Arbeiter auf mindestens 500 Pesetas monatlich (Kaufkraft etwa 400 Schilling) hinaufgesetzt, und drittens wird die Arbeitslosenunterstützung von sechs auf zwölf Monate verlängert. Besonders die letzte Maßnahme berücksichtigt ein Begehren der Bergarbeiter, in deren Industrie nur zu 85 Prozent Vollbeschäftigung herrscht, ähnlich wie in weiteren zehn von sechzehn Hauptproduktionszweigen. Doch damit ist das Reformprogramm der Regierung nicht erschöpft.

Aus Syndikatskreisen erfährt man, daß die vor zwei Jahren im Bergbau abgeschaffte Institution der „enlaces sindicales“ (Art Betriebsräte) wieder eingeführt wird. Diese „enlaces“ wurden von den Arbeitern aus ihren Reihen relativ frei, wenn auch unter Überwachung der Syndikate, gewählt und waren ihre Verbindungsleute zum Unternehmen und den Arbeitsbehörden. An ihre Stelle traten die „Betriebsgeschworenen“, meist aus dem höheren technischen Personal stammend, die kaum Kontakt zur Arbeiterschaft fanden. Der Ruf nach den „enlaces“ wurde während des Streiks laut und ist also gehört worden.

Schließlich sollen die Minen modernisiert werden. Ihr Produktionsindex beträgt 91 (1958: 100), woran die veralteten Einrichtungen und unrationellen Extraktionsmethoden schuld sind. Zudem fördern viele Betriebe nur minderwertige Kohle in ungenügender Menge, so daß sie keine besseren Löhne zahlen können. Darum wird sogar von falangistischer — staatsparteiamtlicher — Seite vorgeschlagen, solche Gruben zu schließen oder in Staatsbesitz überzuführen, damit allerdings unter regimetreuen Unternehmern Empörung ausgelöst. Doch auch in — freilich von dem Projekt nicht betroffenen — Wirtschaftskreisen stimmt man der Anregung zu. Spaniens Angliederung an die EWG müsse ohnedies zum Zusammenbruch vieler Bergbaubetriebe führen, da die ausländische Kohle billiger und besser ist, so daß es angezeigt wäre, sich ins Unvermeidliche jetzt schon zu schicken. Endlich wird noch geplant, das „Betriebsklima“ im Bergbau zeitentsprechend zu gestalten, das, nach Andeutungen von ebenfalls falangistischen Beobachtern, deplora-bel sein muß.

Alle diese beschlossenen oder noch diskutierten Reformen sind selbstredend Zugeständnisse an die Streikenden, zugleich aber auch ein geschickter Versuch, die Arbeiterschaft mit dem Regime auszusöhnen. Gelingt er, hat die Arbeiterschaft einen Teil-, die Regierung aber einen vollen Erfolg erzielt. Es scheint freilich, daß bestimmte Kreise der Arbeiterschaft auf das Streikrecht nicht verzichten,andere immer neue Lohn- und weitere Sozialforderungen durchsetzen wollen, wobei es zuweilen an Sinn für Realität mangelt. Besonders deutlich wird das bei den immer lauter werdenden,bereits in die hiesige Presse dringenden Klagen spanischer Gastarbeiter über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Fremde, vor allem in der Schweiz und Deutschland, weshalb so manche zurückkehren. Häufig hört man: „Im Ausland kann man nicht leben!. Die Preise sind ungeheuerlich, die Löhne nicht entsprechend hoch, die Anforderungen an die Arbeiter zu hart.“ Ein heimkehrender Spanier erklärte uns gar, daß er in zwei bis drei Jahren sich höchstens 100.000 Pesetas — für Spanien ein kleines Vermögen — hätte ersparen können, so daß es ihm nacht dafür stünde, im Ausland zu bleiben. Die Rückwanderer werden darum immer mehr, häufiger aber auch Streiks und andere Unzufriedenheitskundgebungen in der Heimat, da der Vergleich zwischen Fremde und Spanien doch nicht immer zum Vorteil des letzteren ausfällt.

Arbeiter wie Regime scheinen sich also in einer Sackgasse zu befinden. Jene mit ihren die Leistungen übertreffenden Ansprüchen, dieses mit seinem Dogma vom Einheitssyndikat, das den Klassenkampf überwunden habe. Einen Ausweg daraus sehen Gegner des Systems, langsam aber selbst einige seiner Anhänger, im der Bildung echter und freier Gewerkschaften, die den Arbeitern auch verständlich machen könnten, welche Ansprüche wirtschaftlich tragbar sind und welche nicht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung