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Syndikate gegen Franco

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Seit dem 5. Juli hält in mehreren Kohlengruben des nordspanischen Asturien ein Arbeitskonflikt an, der infolge von Streiks und Aussperrungen gegenwärtig 15.000 bis 17.000 Arbeiter, etwa ein Viertel der Belegschaft, betrifft. Die Presse veröffentlicht täglich Verlautbarungen über die ständig wechselnde Lage — Arbeitsaufnahme, Arbeitsniederlegung, Sperrung von Minen, Wiedereröffnung —, doch Zusammenhänge und Hintergründe bleiben im Dunkel. Kein Wund : Regierungsstellen, Arbeiter, Unternehmer zeigen sich wenig gesprächig; Geheimnistuerei, Mißtrauen, Verbitterung machen die Kontaktnahme schwer. Mit wenig Hoffnung gehen wir in die Madrider Zentrale der offiziellen Syndikate, die bekanntlich Arbeiter und Unternehmer zusammenschließen.

Das war nicht zu erwarten!

Aber hier geraten wir in eine Atmosphäre, die vielleicht die größte Überraschung im ganzen „Fall Asturien” bildet. Einige Syndikatsfunktionäre sind von einer unheimlichen Offenheit. Llnser Erstaunen beginnt schon im Warteraum: Auf den Tischen französische kommunistische Zeitungen, mit rot angestrichenen Meldungen über Asturien, jedermann zugänglich. Überdies: Die Kommunisten sind von einer verblüffenden Mäßigung.

Kein Wunder: Dieser Streik ist nicht der ihre.

„In Asturien handelte es sich zuerst um einen reinen Arbeitskonflikt”, hören wir. „Die Regierung (lies: das Innenministerium) war schlecht beraten, als sie Gruben schloß. Sie erreichte nur, daß die Zahl der Feiernden stieg und viele nach der Wiedereröffnung der Minen sich trotzig weigern, einzufahren. Man hat so aus einem Arbeitskonflikt unnötigerweise ein Politikum gemacht. Wo die Syndikatsvertreter eingreifen konnten, kam es fast immer zu einer Einigung zwischen Arbeitern und Unternehmern. Wo man glaubte, die Guardia Civil (Gendarmerie) aufmarschieren lassen zu müssen — es kam allerdings weder zu Ausschreitungen noch zu Verhaftungen —, verhärtete sich die Haltung der Kumpels.”

Der Feind steht rechts

„Sind denn die Syndikate nicht ein Teil des Staatsapparats?” Die Antwort ist ein merkwürdiges Lächeln. — „Wer trägt also die Schuld an dem Konflikt?” fragen wir. Wie aus der Pistole geschossen: „Die Unternehmer! Rühmliche Ausnahmen abgerechnet. Diese Leute leben noch in Vorstellungen des vergangenen Jahrhunderts. Sie bilden die klassische, verbohrte Rechte unseres Landes, aber für ihre Privilegien haben Falangisten und National-Syndi- kalisten nicht im Bürgerkrieg gekämpft. Die Gefahr für Spanien steh) rechts, wenn man auch die Kommuni, sten nicht unterschätzen darf. Aba die Rechte gießt Wasser auf ihre Mühlen. Wenn es so weitergeht, sind wir wieder einmal dort, wo wir 1936 (Ausbruch des Bürgerkriegs) standen. Was wollen denn die Arbeiter? Bessere Löhne, aber nicht in erster Linie. Kumpels der oberen Kategorien verdienen 8000 bis 10.000 Pesetas (Kaufkraft 800 bis 1000 Franken), der unteren etwa 4500 Pesetas monatlich. Das geht. Aber was die Arbeiter fordern, ist eine moderne Betriebsatmosphäre, sie wollen nicht von den Launen der Senoritos (gnädigen Herren) abhängen, sie wollen vor allem Mitspracherecht in der Betriebsleitung und Anteil am Gewinn, und das ist nicht mehr äls billig. Natürlich, die Arbeiter leben heute besser als vor 25 Jahren. Aber was ist das im Vergleich zu dem, was die Unternehmer einstecken! Die sind an die schönen Zeiten der Verknappung in Krieg und Nachkrieg gewöhnt, sie wollen sich nicht mit vernünftigen Verdienstmargen begnügen, sie sind unfähig, auf einem freien Markt zu konkurrieren.”

„Könnten solche Ansichten nicht zur Sprengung der Arbeiter-Unter- nehmer-Syndikate führen?” Achselzucken.

Sonderbares Bündnis

„Wie und wo entstand eigentlich der Streik?” — „ln einem kleinen Grubengebiet, wo die Arbeiter die Haltung der Unternehmer einfach leid waren. Sie ließen sich die Hinhaltetaktik bezüglich der Auszahlung der Sonderprämien für den 18. Juli (Staatsfeiertag) nicht mehr gefallen und streikten. Natürlich erfaßten die HOAC (Katholische Arbeiterbruder- schaft, durch das Konkordat geschützte Organisation, scharfer, aber zahlenmäßig schwacher Konkurrent der offiziellen Syndikate), die in dieser Gegend gut vertreten sind, die Gelegenheit, um einen größeren Ausstand auszulösen. Das dauerte nicht lang. Dann aber brach ein Streik in einem anderen, größeren Becken aus, und dort hat die sozialistische (illegale) Gewerkschaft (UGT) die Mehrheit. Asturien ist überhaupt traditionell sozialistisch. Gewiß gab es auch da Grund zu Beschwerden, aber vor allem wollten die Sozialisten der HOAC zeigen, was ein richtiger Streik ist.

Und sie haben es ausgiebig gezeigt.” „Sind aber nicht auch die Anarchosyndikalisten beteiligt?” (Nicht zu verwechseln mit den anarchistischen Terrorgruppen.) — „Die sind zum Teil auf unserer Seite. Sie würden sich wundern, wie viele alte Anarchosyndikalisten in unserer Reihen stehen. Sie sind reine Syndikalisten, wir sind es, es gibt eine Verständigung. Natürlich legen die Kommunisten nicht die Hände in den Schoß. Alle Gruppen versuchen, aus dem Streik eine politische Angelegenheit zu machen, und die Staatsintervention begünstigt das.”

„Lösung?” — „Nationalisierung der Gruben. Manche sind rentabel, viele nicht. Man könnte sie schließen, Kohle importieren, aber das erlaubt unsere Zahlungsbilanz nicht.”

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