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Unser täglich Brot

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Am Montag und Dienstag waren die Städter in unserem Land „brotlos“. Schon schien sich eine allgemeine Versorgungskatastrophe abzuzeichnen, als es in letzter Stunde einer Intervention des Kanzlers und des Innenministers gelang, die Verhandlungspartner wieder an den Tisch zu bringen und eine Einigungsformel zu erzielen.

Seit 1945 haben wir im steilen Aufstieg unserer Wirtschaft einige wenige Male Gelegenheit gehabt, zu bedenken, daß es auch anders werden und Versorgungszustände wiederkehrer könnten, die jenen der ersten Nachkriegsjahn ähnlich sind.

Und nun begann in diesen Tagen wieder die Vaterunser-Bitte um das tägliche Brot wörtlich • verstanden zu werden. Das Trauma des Brotmangels, seit Jahrtausenden unseren i Aengsten eingeboren, läßt für uns jede Brotverknappung symbolische Bedeutung annehmen. Die Abwesenheit von Brot auf unseren sonst noch immer reich sortierten Essenstischen scheint uns ein Menetekel zu sein. i i Der Streik der Bäckereiarbeiter war unpopulär Das hatte mit Politik nichts zu tun. Im Gegenteil. Gerade die „kleinen Leute“ fühlten sich mit Recht in ihrer Versorgung mehr gekürzt als die „Reichen". Für die Massen ist nun Brot noch immer ein Grundnahrungsmittel. Wir haben das übersehen und seit Jahren hochnäsig dem Brot eine für unsere Versorgung zweitrangige Bedeutung zugemessen. Erst jetzt, da wir das Brot missen mußten, waren wir seines Wertes gewahr. Wie es nun seit vielen Sommern beim Wasser ist.

Man ist in weiterer Folge leicht geneigt, den Unmut über den Vorenthalt von Brot in Form gewerkschaftsfeind’icher Stellungnahmen zu äußern. Nicht nur, daß man zwischen der Spitze des OeGB und einzelnen Gewerkschaften wohl unterscheiden muß, es wäre auch angebracht, sich die Lage der Bäckereiarbeiter und den Zeitrhythmus ihrer Tätigkeit einmal vor Augen zu halten: Während wir gewohnt sind, im Durchschnitt den Tag über zu arbeiten, sind die Bäcker im allgemeinen, gerade der zeit-

gerechten Versorgung der anderen wegen, gezwungen, zu nächtlichen Stunden zu werken. Ein „hartes Brot“. Uebersehen wir das nicht. Trotz allem Unmut, der uns nicht zu ungerechter Verurteilung veranlassen dürfte.

Der Streik — unser Blatt hat das immer betont — ist ein legitimes Recht der Dienstnehmer in einer freiheitlichen Ordnung. Alle Dienstnehmer haben nun das Recht, zu streiken.. Nur manchen Berufsgruppen nimmt man es sehr übel, wenn sie von diesem Recht Gebrauch machen: Jenen, die im Dienst der Versorgung mit Elementargütern engagiert sind. Hinsichtlich dieser Berufsgruppen besteht eine besondere Streikempfindlichkeit.

Wenn wir beim Streik der Bäckereiarbeiter kein gutes Gefühl hatten, so nicht allein wegen der Versorgungslücken, die wir unmittelbar und so gut wie alle in den Städten spüren, sondern weil es offensichtlich ein Streik war, dessen Opfer gerade die wirtschaftlich Schwachen waren. Sicher wurden formell die „Unternehmer“ bestreikt. Sie haben die kommerziellen Folgen zu tragen. Aber die vielen Mütter und Schwerarbeiter, die sich nicht von Schaumrollen nähren konnten, teilten das Ungemach.

Dazu kommt die Art, in welcher der Streik da und dort durchgeführt wurde, das liebevolle Pflegen des Exzesses.

Das Brot ist uns heilig. Als Symbol für Nahrung schlechtweg. Brot vernichten, ist Ausdruck von Barbarei, ein unfaßbares Vergebe , ht einer Zeit, in der noch iiftmer zwei Drittel der Menschen hungern und1 Millionen sich noch nie in ihrem Leben sattessen konnten, Brot zu „verglasen“, ist kein rauher landsknechtlicher Spaß, sondern eine Herausforderung. Derlei kann mit nichts, auch nicht mit der bekannten „Erregung“ entschuldigt werden.

Offensichtlich geht es beim Streik auch um Prestigefrage n. Das mag bei einem Streik der Kürschnergesellen angehen. Nicht aber, wenn Prestigesehnsüchte zum „Aushungern“, führen.

Die Paritätische Kommission ist eine Einrichtung, die bisher mit Erfolg das Preisgefüge in unserem Land zu stabilisieren vermochte. Zum zweiten Male seit kurzer Zeit wird nun., die Kommission übergangen. Dabei wäre es dringend notwendig, gerade der Paritätischen Kommission, die rechtlich ohnedies recht dürftig gedeckt ist, ein Prestige, der Sache der Dienstnehmer wegen, zu erhalten.

Das Recht auf Arbeit ist unbestritten und kein Privileg einer Gruppe. Lediglich das Streikrecht gibt faktisch die Möglichkeit, dieses Recht zu bestreiten: durch die Behinderung von Streikbrechern. Voraussetzung, daß der Streik selbst ein legitimer ist.

Streikbrecher können aber nur Dienstnehmer sein. Wenn Selbständige, die keine Dienstnehmer haben (die Alleinmeister) oder in deren Betrieb gestreikt wird, ihrer Arbeit nachgehen, iedoch an der Arbeitsverrichtung verhindert werden, steht hinter einer solchen Handlung kein moralischer Anspruch. Es heißt den Gewerkschaftsgedanken und das Streikrecht unnütz strapazieren, wenn man annimmt, das Streikrecht könne sich gegen alle und vor allem gegen die Ordnung und die Wohlfahrt richten.

Die Lebensmittelarbeiter hatten Solidaritätsaktionen angedröht. Das heißt: die gesamte Versorgung mit Lebensmitteln sollte gefährdet werden, jetzt, vor Weihnachten. Ob solche Solidaritätskundgebungen, die sich aber gegen alle richten, auch gegen die Frauen der Lebensmittelarbeiter, gegen rechts und links, nicht der Anfang einer unheilvollen Entwicklung sein können, wie sie mit 1927 begonnen und mit 1938 geendet hat?

Auch das sollte bedacht werden, wenn sozialistische Gewerkschafter, .aus Angst nach links weiter Stimmen zu verlieren,’ den Radikalismus in den Gewerkschaften legalisieren. Der Verlust nach ganz rechts wäre dann erheblich größer.

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