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Der Streik von Spanien

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Seit mehr als zwei Monaten steht Spanien im Zeichen eines Streiks, der zeitweise mehr als 100.000 Menschen von ihren Arbeitsplätzen fernhielt, auch jetzt noch nicht ganz abgeflaut ist, und den die ganze Nation gebannt über ausländische Sender und Zeitungen verfolgt.

700 Peseten lösen Monsterstreik aus

Eine Lappalie hatte den Streik ausgelöst: Sieben Hauer der Mine Nico-lasa in Asturien hatten am 7. April um je 100 Peseten weniger Tageslohn gutgeschrieben bekommen als sonst. Weil sie nicht nach den neuen Rationalisierungsnormen gearbeitet hätten, behauptet die Betriebsleitung. Nein, entgegneten die Hauer, weil sie auf eine absonderliche Kohlenader gestoßen seien, die normales Arbeiten nicht zugelassen habe. Arbeiter und Direktion gerieten sich in die Haare, bedrohten einander mit Sabotage und Anzeige, und schließlich trat die ganze

Belegschaft der Grube in den Streik.

Ein kleiner Lohnkonflikt also, wie sie sich jetzt in Spanien häufig ereignen, die aber vom Staat nicht mehr mit der früheren Strenge geahndet werden — Streik kann als Vergehen gegen die Staatssicherheit oder bewaffneter Aufstand unter Umständen mit dem Tod bestraft werden —, die man jedoch durch Maßnahmen beilegt, welche sich fast immer gegen die Arbeiter richten. Diesmal blieb es aber nicht bei einem „Streiklein“ machtloser Arbeiter, sondern diesmal wurde aus dem „Lohnkonflliktchen“ der Streik von Spanien, der längste in der ganzen Geschichte der spanischen Arbeiterschaft.

Ein Streik von solchem Ausmaß bricht nicht spontan aus, er muß von langer Hand vorbereitet werden. Aber es sind nicht, wie das offizielle Madrid behauptet, die Kommunisten, die dahinterstehen, es ist das, was man die „Ola Nueva“, die „Neue Welle“ in der Arbeiterschaft, genauer gesagt, in ihren Eliten nennt. Diese Eliten sind weltanschaulich und parteipolitisch weit weniger gebunden als ihre Väter. Ihnen geht es vor allem um gewerkschaftliche Probleme, um Löhne, Prämien, Sicherheit in den Betrieben, Streikrecht und gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit, und Versuche politischer Gruppen, den Streik zu einer Angelegenheit der Parteien zu machen, wurden von ihnen als verfrüht abgelehnt. Unter dieser neuen Generation begegnet man nämlich viel eher dem amerikanischen Gewerkschaftsboß als dem Parteifunktionär. Natürlich sind auch die meisten der heutigen Arbeiterführer politisch gebunden, bekennen sich zu den alten illegalen sozialistischen, anarchosyndikalisti-schen, kommunistischen Gewerkschaften oder zu der neuen Kraft in der spanischen Arbeiterschaft, zu der HOAC (Arbeiterbruderschaften der Katholischen Aktion) und den in ihrem Gefolge auftretenden kleinen, natürlich verbotenen christlichen Gewerkschaften, der FST, oder gehören zu den Reformwilligen unter den Regimeanhängern, die das Staatssystem verjüngen wollen, um es zu retten.

Aber, abgesehen von den Kommunisten, deren Einfluß in Arbeiterkreisen nicht groß ist (hingegen erheblich unter Intellektuellen!), sind die Grenzen zwischen sozialistischen, anarcho-syndikalistischen, katholischen und neutralen Gewerkschaften fließend, denn man kämpft vorerst für gemeinsame praktische Ziele, gegen einen gemeinsamen Gegner, einen Unternehmer, dessen Mentalität über die Begriffe des Paternalismus nicht hinausgekommen ist, und man kämpft gegen ein Regime, das dieses Unternehmertum stützt. Die Unterschiede verwischen sich also unter den Angehörigen der „Ola Nueva“, nicht zuletzt darum, weil in einer Diktatur keine politischen und gewerkschaftlichen Organisationen von Bedeutung aufgebaut werden können, alles im kleinsten Kreis und im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit des anderen vorbereitet werden muß. Der einstige selbstmörderische Kampf zwischen den Gewerkschaften ist damit vorerst überwunden, man ist einander Kollege und dann erst Genosse oder Bruder, wie sich die katholischen Arbeiter ansprechen, man ist nicht mehr so in doktrinäre spanische Stiefel eingeschnürt wie einst — und darum verlief auch der Streik so ruhig und diszipliniert, sieht man von ein paar unrühmlichen Ausnahmen ab.

Freilich, die Furcht vor Francos Polizei lehrte Disziplin halten, und so ist das Verhalten der illegalen Arbeiterführer während des Streiks und bei dessen Vorbereitung erst ein Anzeichen, aber noch kein klarer Beweis für die mit 25 Jahren des Schweigens erkaufte politische Reife der spanischen Arbeiterschaft.

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