6684518-1962_10_06.jpg
Digital In Arbeit

Spanien im Halbdunkel

Werbung
Werbung
Werbung

Die sozialen Unruhen im spanischen Baskenland gehen weiter und erfaßten zuletzt Großwerke in den Industrieorten Eibar und Iran. Dort sollen angeblich an die 10.000 Arbeiter durch Streiks oder Verlangsamung des Arbeitstempos ihren Lohnforderungen Nachdruck verliehen haben. Es heißt, daß der Arbeitskonflikt zur Stunde noch andauere und mindestens 14 Verhaftungen von als Kommunisten bezeichneten Personen vorgenommen wurden.

Gerüchte statt Informationen

Verärgert wird der Leser feststellen, daß diese Angaben höchst unpräzis sind und zu oft Ausdrücke wie „angeblich“, „es scheint“, „es heißt“ verwendet werden. Doch das liegt in der Natur der Sache. Die spanische Regierung hält es nämlich nicht für angebracht, die Nation über eine Sozialbewegung zu unterrichten, die gegen Ende des vorigen Jahres zu einer ersten größeren Unmutsmanifestation der Arbeiter in Ostspanien führte und bald darauf auf das nordspanische Baskenland übergriff, wo es zu den verschiedenartigsten Protestkundgebungen der Arbeiterschaft kam. „Trotz gewisser Einschränkungen der Pressefreiheit“, erklärte uns dazu ein Regierangsvertreter, „sind die Spanier doch über alle Vorgänge in ihrem Land informiert.“ Gewiß — indem sie nämlich eifrig die Sender Moskau und Prag hören.

Die Folgen davon sind auch schon bei den jetzigen Sozialkonflikten festzustellen: Anfänglich forderten die Arbeiter den Abschluß von Kollektivverträgen. Diese werden von den staatlichen Einheitssyndikaten nachdrücklich gefördert und gehören zu den besten Leistungen der offiziellen Sozialpolitik, dank denen bisher 1,3 Millionen Arbeiter oft recht ansehnliche Einkommensverbesserungen erzielten. Im Baskenland jedoch stellen jetzt immer mehr Arbeitnehmer bloß Lohnforderungen, zuweilen völlig unrealistische, lehnen aber KoHektiv-abkommen ab. Damit befolgen sie haargenau die von den, Sendern Pr-ag und Moskau ausgegebene Parole.

In den letzten Wochen zum Beispiel hörte man auch von Verhaftungen

unter der Studentenschaft Barcelonas und Madrids, von Protestkundgebungen an der Madrider Universität, von der Beschlagnahme sozialistischen und kommunistischen Propagandamaterials. Dann vernahm man, der Direktor des Zentralorgans der „Nationalbewegung“, wie sich heute die Falange nennt, des ,,Airiba'', sei abgesetzt

worden. Ideologische Abweichungen seien der Grund dafür. Endlich sickerte durch, daß der Führer einer liberalen monarchistischen Gruppe zu einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde, weil er eine Rede gehalten hatte, „die der nationalen politischen Organisation feindliche Äußerungen“ enthielt.

Nachrichten dieser Art, durch Indiskretionen entstanden und auf allen möglichen Umwegen zusammengetragen, müssen natürlich im Ausland den Eindruck erwecken, als ob hier der Teufel los sei und die Revolution unmittelbar bevorstehe. In Spanien-hingegen, wo man längst Lethargie für Bürgersruhe hält, neigt man eher dazu, die Dinge zu verharmlosen. Das Regime erscheint unwandelbar wie ein Naturgesetz, und man weiß aus Erfahrung, daß es schon' mit ganz anderem fertig wurde als mit streikenden Arbeitern, konspirierenden Studenten, unzufriedenen Falangisten oder ungeduldig nach der Rückkehr des Königs rufenden Monarchisten. Vor allem aber ist eine Militärdiktatur so lange nicht gefährdet, als die Armee hinter ihr steht, und das dürfte in Spanien der Fall sein. Doch wer vermöchte die Kräfte, die hier im Spiel sind, wirklich zu messen, wer die Tiefen mit ihren Klippen und Strudeln unter einer scheinbar spiegelglatten Oberfläche auszuloten? Nur ganz wenige, und diese sind am meisten interessiert, zu schweigen.

Fällt der „steinerne Vorhang“?

So liegt Spanien im Halbdunkel, da nur sparsamst dosiert wird, was dem In- und Ausland seihst über belanglose Ereignisse hier zu wissen frommt. Wen wundert es da, daß an Stelle der Information das Tamtam der Gerüchte tritt, das pausenlos durch den Dschungel der Spekulationen erschallt und die Verwirrung noch erhöht? Dermaßen, daß sogar ernsthafte Diplomaten periodisch seit mehr als einem Jahr über die „unmittelbar bevorstehende Madrider Regierungsumbildung“ berichten und Alarm geschlagen wird um ein Geheimtreffen Franco - Salazar, das sich dann als ein harmloses, freilich nach den Regievorschriften für eine Verschwöreroper vorbereitetes Treffen des spanischen und des portugiesischen Informationsministers zum Gedankehaustausch über — Fernsehfragen entpuppte.

Wird nun, da Spanien den ersten Schritt zur Integration in die europäische Gemeinschaft machte, der „steinerne Pyrenäenvorhang“ nicht bloß für Ackerbauprodukte, sondern auch für Gedanken und Informationen fallen, wird jetzt das Pressegesetz, das feit gut 15 Jahren in bürokratischen Kellern heranreift wie gepflegter Kognak, an das Licht der Öffentlichkeit gebracht? Oder wird de Gaulles Devise vom „Europa der Vaterländer“, die hier, aber nicht nur hier, soviel Anklang findet, dazu dienen, die Staatsräson, die Meinung der Staatsleitung also, zum Maßstab dafür zu machen, was der Bürger wissen darf und was nicht?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung