6687987-1962_25_07.jpg
Digital In Arbeit

Tragikomödie der Irrungen

Werbung
Werbung
Werbung

Diese „Ula XSueva nun erwartete angeblich seit zwei Jahren Streik oder Unruhen im asturischen Minengebiet und hoffte, sich dabei einschalten zu können. Ebensolange soll die Regierung von der Unzufriedenheit der Bergleute gewußt haben. Seit 1959 wurden die Löhne kaum verändert, und die vielen kleinen, unrentablen Gruben konnten auch kaum höhere Kosten tragen. Doch in anderen Industriezweigen kamen neue Kollektivverträge zustande, und die Mineure, früher die bestbezahlten Arbeiter, sollten sich gedulden!

Immerhin, selbst die Madrider Bürokratie befaßte sich endlich mit dem Problem. Im März hieß es, ein Kollektivabkommen sei abgeschlossen worden, nur erfuhr niemand seine Bestimmungen. Endlich aber war es wirklich soweit: Die letzte ministerielle Zustimmung für die Erhöhung des staatlich gestützten Kohlenpreises, ohne die eine Lohnaufbesserung unmöglich war, wurde erteilt — doch die Akte blieb aus Versehen sechs Wochen im Ministerium liegen!

Die Arbeiterforderungen waren erfüllt, aber die Arbeiter wußten nichts davon, und zwei Tage, nachdem die Vorbedingungen für ein Kollektivabkommen geschaffen waren, brach der Streik aus — infolge behördlicher Langsamkeit und allgemeiner Verwirrung.

Hätte der Streik also vermieden werden können? Im Grubengebiet — wahrscheinlich, in anderen Industriezweigen — kaum. Denn die Solidaritätsstreiks im April und Mai, die ja nicht aus bloßer Kollegialität ausgerufen wurden, mm$m^i lfecS< viele Forderungen unbefriedigt waren, und die „Ola Nueva“ rechnete damit, um bei günstiger Gelegenheit mehr als nur höhere Löhne durchzusetzen: nämlich Streikrecht und gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit.

EWG und Enzyklika als Streikhelfer

Diese Gelegenheit schien den Arbeiterführern gemäß der Situationsanalyse spanischer Oppositioneller aus zwei Gründen nun gekommen: Zum ersten müßte der Staat als EWG-Anwärter Rücksicht auf die öffentliche Meinung im Westen nehmen und

Lrtmifs- Avn C.tr<>iVis-n^pn nirht mit

Brachialgewalt entgegentreten. Zum zweiten wären die Enzyklika „Mater et Magistra“ und die auf ihr fußenden Hirtenbriefe einiger Bischöfe, wäre die ganze Stimmung in Teilen des Klerus und der Katholischen Aktion der beste Schutz für die Streikenden, auch wenn sie alles andere denn katholisch gesinnt seien.

Die „Ola Nueva“ wählte aber auch die ihr materiell am geeignetsten erscheinende Arbeiterschaft für den Streik aus, nämlich die wohlhabendste, diejenige Nordspaniens.

Darum geben die nach dem Schwarz-Legende-Klischee im Ausland geschriebenen Reportagen über die hungernden und zerlumpten Arbeiter Nordspaniens ein so falsches Bild der Lage. Denn wenn es auch noch viele ungenügende Löhne zwischen Stooo bis 4000 Peseten gibt, der Familienlohn, der bei 5000 Peseten liegt und das nächste Ziel der „Ola Nueya“ sowie eines Teils der Kirche ist, also bei weitem nicht allgemein erreicht wurde, so ist doch von echter Not — von Ausnahmen abgesehen — in Nordspanien keine Rede. Im Gegenteil, hier lebt, wie Lenin sagen würde, die Arbeiteraristokratie, und sie ist in der Lage, und meist auch gewillt, für mehr als nur Lohnbegehren zu streiken. Diese Arbeiter, die einen bescheidenen Wohlstand besitzen, ein Motorrad, ein Häuschen, die auch über Bildung und gewerkschaftliches Bewußtsein verfügen und also in die Nähe des Niveaus ihrer südwestfranzösischen Kollegen kommen, waren es. die meist am längsten die Streiks durchhielten, während die ärmeren, deren Ersparnisse schnell verzehrt, deren Kredite bald erschöpft waren, zu unfreiwilligen Streikbrechern wurden.

Hat die „Ola Nueva“ also ihren Streik verloren, der nach Erfüllung der meisten Lohnforderungen stark zurückging, jetzt höchstens 2000 bis 4000, möglicherweise wirklich kommunistisch geleitete Arbeiter umfaßt, begnügt sie sich mit dem materiellen Teilerfolg? Darauf läßt sich noch nicht eindeutig antworten, denn erst jetzt geht der zweite Teil des Kampfes, bei dem es sich um Streikrecht und Gewerkschaftsfreiheit handelt, über die Szene. Protagonisten in dem Streit sind die Spitzen des Regimes bis hinauf zum Staatschef, auf der anderen Seite die Kirche, genauer gesagt der hoch in den Siebzigern stehende Kardinal-Primas von Spanien, Pia y Deniel, der heute — ein durch die „Ola Nueva“ vollbrachtes Wunder — nicht nur seine katholischen Arbeiter, sondern indirekt auch eingefleischte „Rote“ verteidigt.

Was den greisen Erzbischof von Toledo zu seiner jetzigen Haltung be-wog, ist noch unbekannt, jedenfalls ist er jetzt der purpurtragende Rufei im sozialen Streit der schwarz-roten Koalition gegen das Regime, der sich in dieser Angelegenheit zumindesl zweimal mit Franco traf, mit dem Außenminister Briefe wechselte, mil den Staatssyndikaten und der Falangc verhandelt, ständig mit allen möglichen Stellen konferiert, als wäre ei Gewerkschaftspräsident und nichi Kirchenfürst.

So entspinnt sich zwischen Kirche und Staat ein „sozialer Kulturkampf“, wenn man uns diese Formulierung gestatten will, der noch geraume Zeit andauern dürfte. Dabei zeigt sich die Kirche als keineswegs geschlossene Phalanx. Msgr. Pia stehen regimetreue Bischöfe gegenüber, und die Bischofskonferenz ist weit davon entfernt, eine einheitliche Stellung zu der Frage einzunehmen. Für die „Ola Nueva“ unter den Priestern aber isi der Kardinal, der sich rühmt, dei einzige spanische Kirchenfürst zu sein, der keinen Treueeid auf den Caudillc ablegen mußte, trotz allem zu alt und zu langsam, und auch in der Katholischen Aktion herrscht keine Einigkeit, wo so manche die Hände über dem Kopf zusammenschlagen ob der unfrommen HOAC. Diese Divergenzer wären ein erhebliches Plus für das Regierungslager — wenn es nicht sc uneinig wäre.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung