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Arbeiter und Studenten
Einen der letzten Anlässe zu diesen Studentenunruhen gab der sogenannte „Tag des Kampfes“, der von den illegalen, auf Parteilosig-keit Anspruch erhebenden paragewerkschaftlichen „Arbeiterkommissionen“ ausgerufen worden war.
An diesem Tag mischten sich die Studenten unter die Arbeiter bei deren „gescheiterten Manifestationsversuchen“ — wie es offiziell hieß —, in deren Verlauf sich tausende Madrider Arbeiter durch die Straßen zu ihren Manifestationspunkten hinbewegten und selbstverständlich von der Polizei aufgerieben wurden.
Daß es überhaupt zu diesen „Versuchen“ und den vorangegangenen
Arbeitsniederlegungen in fünfzehn der bedeutendsten Madrider Fabriken, hauptsächlich der Metallindustrie, kommen würde, hat höchstwahrscheinlich nur die Polizei erwartet, die an den strategischen Punkten das Stadtbild beherrschte.
Denn vorher hatte die Regierung so gut wie alles in ihrer Macht stehende unternommen, um die öffentliche Ordnung zu wahren: An die dreihundert verdächtige Arbeiter, darunter nicht wenige Gewerkschaftsfunktionäre des staatlichen Einheitssyndikats, waren verhaftet worden, die Falange-Presse hatte von „kommunistischer Agitation“ gesprochen und von der „Verteidigung der
Demokratien gegen die kommunistische Subversion“. Damit waren von vornherein alle, die einen Manifestationsversuch wagten, als Kommunisten abgestempelt worden. Das Innenministerium schließlich kündigte drastische Polizeimaßnahmen und erstmalig fristlose Entlassungen an.
Die Erklärung, warum diese Abschreckungsmaßnahmen, die noch vor wenigen Jahren voll wirksam gewesen wären, nicht ausreichten, / liegt wohl darin, daß der spanische Arbeiter heute weit aufgeklärter ist als damals und es einfach nicht glaubt, daß man ihn seiner Forderungen wegen, selbst wenn sie auf unerlaubte Weise vorgetragen werden, gleich als Kommunisten verdammen kann. Denn diese Forderungen sind Gewerkschaftsfreiheit, höhere Löhne, Preis- und Massen-entlassungsstop. Forderungen also, die der Arbeiter in anderen europäischen Ländern durchaus auf die Straße tragen kann und die wohl kaum als kommunistische Ziele zu bezeichnen sind.
Selbstverständlich streitet niemand ab, daß es unter Studenten und Arbeitern kommunistische Agitatoren gibt. Doch ihr Einfluß, zumindest unter den Arbeitern, dringt kaum durch. Den Arbeiter beschäftigen soziale Probleme weit mehr als politische. Ihn interessiert viel mehr die zu Jahresende erwartete und nunmehr auf März des kommenden Jahres verschobene Neufassung des Gewerkschaftsgesetzes — selbst wenn er sich davon keine umwälzenden Neuerungen verspricht — als etwa die Umgestaltung des Parlaments, das erstmalig in seinen Mauern direkt gewählte Vertreter der Familienoberhäupter beherbergen wird.
Ein Hindernis für die Demokratisierung?
Diese zaghafte Demokratisierung des Parlaments, wie überhaupt anderer Institutionen und Bereiche, die sich seit etwa zwei Jahren in Spanien bemerkbar macht, könnte, so meinen viele spanische Politiker, durch die Studenten- und Arbeiterunruhen einen Rückschlag erleiden. Diese Befürchtung bewegte möglicherweise auch den neu ernannten Rektor der Madrider Universität ganz gegen den bisherigen Brauch zu Verhandlungen mit den aufrührerischen Studenten und zum Vermitteln mit der Polizei. Gewiß, in wohl allen westlichen Demokratien würden ein paar tausend unruhige Studenten und Arbeiter kaum als Bedrohung der Demokratie gewertet werden. Und in diesen Demokratien würde man Studenten, die erst bei Eingreifen der Polizei widerspenstig werden, ruhig Versammlungen und Demonstrationen abhalten und Arbeiter ihre Forderungen hinausschreien lassen. Mehr noch: man würde — zumindest den Arbeitern — mehr entgegenkommen. In Spanien jedoch, das eine „organische Demokratie“ ist, liegen die Dinge anders. Wenn seine Regierung nämlich beide Augen zudrückt, und die paar Tausend gewähren läßt, werden es morgen Hunderttausende sein, die nicht nur Gewerkschaftsfreiheit und soziale Verbesserungen begehren, sondern strukturelle Wandlungen, die der spanischen Staatsidee einer „organischen Demokratie“ diametral entgegenstehen.
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