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Der Transmissionsriemen riß

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Rom, im April

Die diesjährigen Wahlen für die Betriebsräte in den Turiner Fiat-Werken haben der FIOM, dem Verband der Metallarbeiter im kommu- nistisch-linkssozialistischen Gewerkschaftsbund, eine neue schwere Niederlage gebracht, Es ist noch nicht zu erkennen, ob die kommunistische Gewerkschaft den bitteren Kelch ihrer dauernden Rückschläge bereits bis zur Neige geleert hat, das heißt, ob die stetig absteigende Linie bereits ihren tiefsten Punkt erreicht hat. Der Niedergang der FIOM drückt sich in diesen Ziffern aus: im Jahre 1948, zur Zeit ihrer größten Macht, erhielt sie bei den Betriebsrätewahlen in Italiens größtem Industriewerk 75,9 Prozent der Stimmen, 1955 36,7 Prozent und im Vorjahr 30 Prozent. Nun konnte sie durch den Verlust weiterer 4000 Arbeiterstimmen nur noch 21,1 Prozent erreichen. Italiens Kommunistenführer Palmiro Togliatti hat einmal in einem Anfall von Aerger über die erlittene Enttäuschung Turin den Schlafsaal des italienischen Arbeiters genannt. Welche Beschimpfung wird er jetzt für die Turiner Arbeiter bereit haben, die er in besseren Zeiten als die Avantgarde und den Stolz der italienischen Arbeiterbewegung be zeichnete?

Die Turiner Fiat-Werke beschäftigen 64.000 Arbeiter und Angestellte. Aber nicht allein die gewaltige Dimension dieses Betriebes und auch nicht die Tatsache, daß gut die Hälfte der gesamten Einwohner Turins direkt oder indirekt von dieser Industrie lebt, verleiht den Wahlen ihre große Bedeutung. Die Turiner Arbeiterschaft ist in Italien immer als richtungweisend betrachtet worden, in ihr kündigten sich die Entwicklungen an, die dann allgemeine Gültigkeit erlangten. Wenn wir heute linksextreme Blätter bemüht sehen, die Ergebnisse als eine lokale Erscheinung und auf besondere Verhältnisse zurückzuführen, so sehen wir bei den Zweigwerken der Fiat in Mailand und in Modena den gleichen Abstieg.

Was hat die Turiner Arbeiter bewogen, ihre Stimmen in zunehmendem Maße dem unter christlichdemokratischem Vorzeichen stehenden Freien Gewerkschaftsbund zuzuwenden, der heuer erstmals die absolute Mehrheit von 50 Prozent erreichte? Oder der sozialdemokratischen Arbeiterunion, die von der FIOM immer geringschätzig als die arme Verwandte betrachtet wurde und sich heuer erstmals mit ihren 28,5 Prozent den zweiten Platz sicherte? Die kommunistischen Gewerkschaftsführer haben die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Sie haben nicht rechtzeitig erkennen wollen, daß die Arbeiter Turins nicht für den politischen Kampf der KP mißbraucht werden wollen, so als sei die Gewerkschaft nichts weiter als der Transmissionsriemen zwischen der Partei und den Arbeitermassen. Sie strebten nach einer politisch unabhängigen Interessenvertretung und wendeten sich den demokratischen Gewerkschaften zu, bei denen sie eine größere Gewähr für diese Unabhängigkeit sahen. Der zweite Grund liegt in der verfehlten Taktik des kommunistischen Gewerkschaftskampfes. Er hat im Arbeiter den natürlichen Gegner des Unternehmers sehen wollen und seine Verteidigungsmittel sollten dauernde Agitationen, Streiks, Sabotage der Produktion sein. Die demokratischen Gewerkschaften haben ihm die Rolle des Mitarbeiters zuerkannt, der in seinem kleinen Kreis bewußt und aktiv an dem Aufschwung des Betriebes seinen Anteil hat. Die Vorteilhaftigkeit dieser Rolle für den Arbeiter ist ihm sehr bald überzeugend bewiesen worden. Die Löhne des Fiat-Arbeiters liegen heute um 180 Prozent über dem Niveau des

Kollektivvertrages, sein monatliches Einkommen um rund 810 Schilling über dem gesamtitalienischen Durchschnitt. Die Arbeitszeit ist bei gleichbleibenden Löhnen verkürzt worden. Es wurde eine sogenannte Ueberstundenbank geschaffen für jene, welche die alte Arbeitszeit erfüllen wollen und die bezahlten Ueberstunden zur Urlaubszeit hinzugerechnet haben wollen. Jeder Fiat-Arbeiter hat Anrecht auf 22 freie Urlaubstage. Es gibt Produktions- und I.eistungs- prämien und solche für willige Zusammenarbeit. Die Summe der Kosten der wirtschaftlichen Verbesserungen hat im Jahr 1956 drei Milliarden Lire, das sind 120 Millionen Schilling, betragen.

Wir verstehen, daß die linksextreme Presse heute in Moll gestimmt ist. Wir haben auch Verständnis dafür, wenn sie sich zur Erklärung ihrer Niederlage auf den Betriebsterror des Unternehmertums berufen will, auf Entlassungen oder Versetzungen ihrer politischen Aktivisten, auf eine Siebung neuaufgenommenen Personals nach politischen Gesichtspunkten. Es ist gar kein Geheimnis, daß die Betriebsführung den einen oder anderen Störenfried an die Luft gesetzt oder sonst unschädlich gemacht hat, weil er allzu eifrig bemüht war, Sand in das Getriebe zu streuen. Aber es hat keinen einzigen Fall gegeben, in dem die Arbeiterschaft eine solche Maßnahme als ungerecht empfunden und dagegen protestiert hätte. Sie protestierte nicht einmal in der Abgeschiedenheit der Wahlzelle, in der freien Ausübung der geheimen Abstimmung gegen den angeblichen Druck, sondern zog es vor, ihre Stimmen den demokratischen Gewerkschaftern statt den kommunistischen zu geben.

Die wirklich unbelehrbare kommunistische Gewerkschaftsführung hat zu ihren vergangenen und gegenwärtigen taktischen Fehlern einen weiteren hinzugefügt: um ihre Vorherrschaft zu sichern, hat sie auf die Kandidatenliste der FIOM unter 124 Namen nur 15 Nenni-Sozia- listen gesetzt. Es hat das dazu beigetragen, vielen sozialistischen Arbeitern die Augen zu öffnen, die sonst vielleicht bereit gewesen wären, der alten Bundestreue willen für die FIOM zu stimmen.

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