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Streit um den Genossen Marx

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Die Nachricht sorgte für viel Aufregung - nicht nur in Spanien, sondern auch in den sozialistischen und sozialdemokratischen Hauptquartieren Europas: Filipe Gonzalez, populärer Führer der „Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei“ (PSOE), verzichtete nach einem innerparteilichen Ideologiestreit während des in der letzten Woche beendeten Parteitages auf seine sichere Wiederwahl als Generalsekretär.

Gegangen ist die Auseinandersetzung auf diesem 28. Parteikongreß eigentlich um einen Genossen, der längst tot ist - um Karl Marx. Oder besser: Es ging um seine Lehre, die Gonzalez nicht mehr als Leitlinie im Parteiprogramm haben wollte. Mit der ■Streichung wollte er der Sozialdemokratie in Spanien freie Bahn verschaffen.

Eine Krise innerhalb der Sozialistischen Partei Spaniens - gewiß! Aber auch Symptom einer Krise des lateineuropäischen Sozialismus. Denn die Sozialistischen Parteien Frankreichs und Italiens haben ähnliche ideologische Krankheitskeime befallen.

Sieherlich: Diese drei sozialistischen Parteien sind verschieden stark, ihre Ausgangspositionen unterschiedlich. Dennoch lassen sich ihre Orientierungskrisen auf einen Nenner bringen. Es geht in allen drei Parteien um die Frage: Sozialdemokratie oder Sozialismus, Pragmatismus oder Streben nach marxistischer Gesellschaftsveränderung.

• Die Spanische Sozialistische Arbeiterpartei war im Grunde genommen immer linkssozialistisch-marxistisch orientiert. Erst die Unterstützung durch eine relativ breite Mittelschicht bei den bisherigen Wahlen seit Francos Tod brachte die Partei in Zugzwang. Der Öffnungsprozeß, den Gonzalez mit der Streichung des Begriffs „marxistisch“ aus dem Parteiprogramm noch weiter vorantreiben wollte, ist jetzt jedenfalls auf unabsehbare Zeit unterbrochen.

• Frankreichs Sozialistische Partei verzichtete bei ihrem Neubeginn Anfang der siebziger Jahre auf marxistisches Vokabular in ihrem Programm. Dennoch traten ideologische Unterschiede auf dem letzten Parteikongreß im April in Metz ganz offen zutage.

In die Haare geraten sind sich in erster Linie der Parteichef der Sozialisten, Francois Mitterand, und der Wirtschaftspolitiker Michel Rocard. Mitterand, der mit seinem Hang zu radikalen Positionen den Kommunisten Konkurrenz zu machen versucht, gibt der zentralen Planung in der Wirtschaft Vorrang und will im Falle einer Machtübernahme sofort eine sozialistische Ordnung installieren.

Rocard erklärt hingegen, daß auch für Sozialisten der Markt ein Ort der Wahl und Entscheidung über die Qualität bleibe. Für ihn ist der Ubergang zum Sozialismus ein langwieriger Prozeß, der vorsichtig und mit kleinen Schritten durchgeführt werden müsse. • Die Sozialistische Partei Italiens (PSI) bekennt sich zwar zu den marxistischen Grundlagen ihrer Programmatik, doch die besondere Position dieser Partei zwischen den beiden großen politischen Gruppierungen Italiens, den Christdemokraten und den Kommunisten, bewirkte seit ihrer Wiedergründung 1943 einen permanenten sozialistischen Fraktionalismus. Die Anziehungskräfte der beiden Großparteien werden auf beiden Flügeln der Partei aufgenommen und prallen dann im innerparteilichen Konflikt der Fraktionen um die Bündnisstrategie aufeinander. Was dazu geführt hat, daß diese Partei einen geradezu selbstzerstörerischen Zickzackkurs zwischen Kommunisten und Christdemokraten gesteuert hat.

Offensichtlich ist es das Ziel der Reformer innerhalb dieser Parteien, die Erfolge der sozialdemokratischen Gruppierungen im nördlicheren Europa nachzuahmen. Um das zu erreichen, versuchen sie sich aus der Umklammerung des dogmatischen Marxismus loszulösen, um damit für ein breiteres Spektrum der Gesellschaft wählbar zu werden.

Freilich ist dieser Öffnungsprozeß gerade in den lateineuropäischen Ländern ein schwieriges Unternehmen. Denn hier ist die Ideologie noch allemal ein traditioneller und emotionaler Bestandteil der Politik.

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