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Demokratie
Wer die Entwicklung der SPÖ in den letzten Jahren verfolgte, konnte sich eines gewissen Unbehagens nicht erwehren. Im allgemeinen Wandlungsprozeß des europäischen Sozialismus, in der'Afipa^* suing von Parteiprogramm und Par-teistnuktur an eine geänderte, von sozialistischen Ideen bereits durchdrungene Gesellschaft tendierten die österreichischen Sozialisten immer stärker zum traditionellen Konzept der reinen Klasseinpartei, des verschwörerischen Ghettos, das sich gegen eine feindliche Öffentlichkeit abzukapseln hat. Ansätze zu einer Öffnung, zur innerparteilichen Auseinandersetzung über prinzipielle Fragen, die das Parteiprogramm 1958 gebracht hatte, gerieten in Vergessenheit, ja wurden immer häufiger unter Berufung auf „Parteidisziplin und Geschlossenheit gegenüber dem Feind“ unterdrückt, Anwälte einer innerparteilichen Demokratie als Trojanische Pferde des Gegners verdächtigt, Befürworter neuer Konzepte zur Gründung einer „Sozialistischen Partei für Nicht-sozialisten“ aufgefordert. Ein Jahr nach der Wahlniederlage, die nicht zuletzt auf das Konto dieser anachronistischen Entwicklung ging, hatte nun der neue Vorsitzende der SPÖ den Mut, das Dilemma der Partei zwischen Öffnung und Schließung, den so oft nur mehr mit Mühe kaschierten Konflikt zwischen rechtem und linkem Flügel unter der provokanten Frage „Ist die SPÖ gespalten?“ offen zur Diskussion zu stellen. Rreisky bewies bei dieser Gelegenheit, daß seine auch vom politischen Gegner geschätzten Qualitäten — Konzilianz und taktisches Geschick — der zukünftigen Entwicklung seiner Partei van Nutzen sein werden. Daß diese Qualitäten nicht zum Synonym für Ideologischen Opportunismus zu werden brauchen, bewies die sehr klare, unmißverständliche Abgrenzung gegenüber der These von der Notwendigkeit politischer Streiks zur Korrektur der bestehenden Machtverhältnisse, wie sie der Exponent der „Linken“, Himdels, propagierte. Als zentrale Frage in der Auseinandersetzung zwischen „links“ und „rechts“ bezeichnete der Theoretiker der „Rechten“, Dr. Leser, zu Recht die Einischätzung des Marxismus als Strategie einer modernen sozialistischen Politik. Diese Gretchenfrage des Sozialismus, der gegenüber die übrigen Streitpunkte — Klassenkampf oder Sozialpartnerschaft, wirtschaftliche Mitbestimmung, Konzept der Opposition — in den Hintergrund treten, konnte zwar auch Kreisky nicht auf Anhieb beantworten; er beschränkte sich auf die Formulierung, Marx verhalte sich zu den modernen Gesellschaftswissenschaften wie Newton zu Einstein, und verwies im übrigen auf die gründliche theoretische Diskussion, die die Zukunft (und auch die „Zukunft“? Anm. d. Red.) bringen werde. Was diese Formel bedeutet, wie sie sich in politische Progriammatik ummünzen läßt und auf die Oppositionispraxis auswirken wird, muß die neue Führung der SPÖ erst demonstrieren. Eines hat sie jedoch bereits demonstriert: daß die SPÖ wieder zur innerparteilichen Demokratie zurückgefunden hart, zur offenen Konfrontation verschiedener Meinungen und Konzepte, die es in einer demokratischen Partei nicht nur geben kann, sondern geben soll.
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